The Zone of Interest – Kritik
Jonathan Glazer befreit Martin Amis’ Roman von allem fiktionalen Ballast und widmet sich ganz dem Alltag eines NS-Lagerkommandanten und seiner Frau. The Zone of Interest ist eine Studie über die Banalität des Bösen, die ihr eigenes Konzept immer wieder aufbricht.

Auschwitz blüht in allen erdenklichen Farben. Ein Paradies von einem Garten, sagt Hedwigs Mutter, die zu Besuch ist und mit ihrer Tochter von links nach rechts durch eine klar eingeteilte Totale schreitet: vorne das green green grass of home, in der Mitte die Mauer mit dem Stacheldraht, dahinter der Wachturm des Vernichtungslagers. An der Lagermauer will Hedwig noch Ranken pflanzen, damit „das alles etwas zuwächst“. Ihre Mutter fragt sich derweil, ob wohl ihre jüdische Nachbarin hier gelandet ist, und beschwert sich bei der Gelegenheit nochmal darüber, dass sie deren schöne Gardinen bei der Versteigerung nicht einheimsen konnte. Dann Blumen in der Nahaufnahme, noch mehr Farben, noch mehr Schönheit, dann wird die Leinwand rot, bricht der Film kurz zusammen, bevor er wieder neu ansetzt.
Das Naziglück als Big-Brother-Show

Viel von Jonathan Glazers The Zone of Interest steckt in diesen Minuten. Das kulissenhafte Setting, das die Nähe des Familienalltags zur Vernichtungsstätte ebenso wie die Trennung durch die Mauer betont; der Small Talk über das, was wir als Zivilisationsbruch zu bezeichnen gelernt haben; schließlich die wiederkehrenden Momente, in denen der Film seine Studie über die Banalität des Bösen verlässt, sein Konzept lockert, sich selbst misstraut und andere ästhetische Formen ausprobiert.

In keinem seiner Register jedoch will The Zone of Interest beruhigende Fiktion sein. Selbst seiner eigenen Vorlage, dem Roman des in diesen Tagen verstorbenen Martin Amis, hat Glazer nur das Nötigste entnommen. Keine tragische Liebesgeschichte zwischen einem SS-Offizier und der Frau des Lagerkommandanten mehr, keine drei Perspektiven, von denen eine die eines jüdischen Häftlings einnimmt. Konzentration stattdessen auf den Alltag des Lagerkommandanten und seiner Frau, die im Roman anders hießen, im Film nun aber so heißen, wie sie eben hießen: Rudolf und Hedwig Höß, gespielt von Christian Friedel und Sandra Hüller. Einziger wirklicher Plot: Rudolf, an einer Stelle gelobt als „ausgewiesener Experte fürs KL-Wesen“, soll für eine bessere Stelle nach Oranienburg ziehen, und Hedwig will nicht mitkommen, möchte das mühsam aufgebaute Heim nicht aufgeben, in dem es allen so gut geht und die Kinder prächtig gedeihen.

Akkurat nachgebaut haben Glazer und sein Team das Haus der Höß’, zehn Kameras darin installiert, damit sich die Darsteller*innen möglichst frei bewegen können. Das ganz normale Naziglück als Big-Brother-Show: Die statische Überwachungskamera-Ästhetik, die scheinbar maschinellen Schnitte von einem Zimmer ins andere, sie liefern uns nicht nur diesen Menschen aus, sondern gaukeln uns eine Übersicht vor, die uns umso hilfloser zurücklässt. Diese Ästhetik verzichtet nicht nur auf eine Haltung zu diesen Figuren, sie scheint zu sagen, dass eine solche Haltung nicht möglich oder zumindest die Frage nach ihr nicht zielführend ist. Sie waren da, das reicht erstmal aus.
Nicht hinsehen, aber hinhören

Auf der Tonspur schreit die Geschichte: Nach einer Ouvertüre von Mica Levis beklemmendem Score begleitet ein abstraktes Sound Design The Zone of Interest, das zugleich die einzigen unmittelbaren Lebens- und Sterbenszeichen von jenseits des Stacheldrahts liefert: immer wieder Schreie, mal Pistolenschüsse, die Gasöfen. Ansonsten taucht die Vernichtung betont beiläufig auf: in Kommentaren der Hausangestellten, in der Erörterung logistischer Fragen, als Asche im Fluss.

The Zone of Interest sieht nicht hin, aber hört hin, lässt die Nazis mit ihrer Vernichtung allein und rückt ihnen dann doch filmisch auf die Pelle, wenn er das Gedicht eines jüdischen Häftlings per Untertitel einer Klavierspielerei im Hause Höß hinzufügt, wenn er in abstrakten, fast animiert wirkenden Night-Vision-Aufnahmen ein junges Mädchen heimlich Essen für die Häftlinge verstecken lässt, wenn er den Kommandanten am Ende in die Zukunft der Gedenkstätte Auschwitz gucken lässt. Glazers Annäherung an die ethischen Fragen, die in Verbindung mit der Darstellung des Holocaust seit Jahrzehnten diskutiert werden, folgt einem Mittelweg. Weder produziert The Zone of Interest die Vernichtung als das große Andere, das derart unvorstellbar ist, dass sich jegliche filmische Vermittlung verbietet, noch glaubt er an die Vermittlung in einer konventionellen Filmsprache, als könne man eine solche Geschichte erzählen wie jede andere, mit Schuss und Gegenschuss, mit menschlichen Dramen und psychologisch austarierten Figuren.
Ein Medley aller Shoah-Zugänge?

Nach der Premiere las man viel von einem Meisterwerk, von einem Meilenstein in der Bearbeitung des Themas. Es ist ein wenig unfair, sich von dieser wohl etwas arg begeisterten Reaktion gegen den Film selbst einnehmen zu lassen, zumal der Kombination aus harten Filmstoffen und den Photo Calls, Standing Ovations und Auteur-Feiereien von Cannes immer etwas unbehaglich Bizarres anhaftet. Und doch ist es vor allem diese Reaktion, die mich zweifeln lässt: Kann man einem solchen Film direkt seinen Platz in der Geschichte filmischer Zugänge zur Shoah zuweisen? Und ist dieser Zugang wirklich neu oder nicht vielmehr ein Medley aller bereits ausgetesteten Zugänge?

Schließlich: Ist hier ein Film nicht doch auch sehr mit sich selbst beschäftigt, oder zumindest mit der eigenen Beschäftigung mit seinem Thema? Andererseits: Wie könnte er das nicht? Jede filmische Form, die sich reflektiert zeigt, weil sie um eine große ethische Verantwortung weiß, verweist notgedrungen auf sich selbst. Und gerade in dem, was man Glazer als ästhetische Unentschlossenheit oder gar eitles Posertum anlasten könnte – das wiederholte Verlassen des eigenen Konzepts in Richtung Poesie, Abstraktion, Dokumentarfilm – steckt wohlmöglich weniger Großspurigkeit als Bescheidenheit, oder zumindest eine Vorsicht: dass dieses Konzept, das diesen Film doch bestimmt, keinen Exklusivitätsanspruch besitzt, sich gerade nicht als richtiger, einzig möglicher, ethisch sich ziemender Zugang hinstellt, sondern als Angebot, das offen bleibt für andere Angebote.
Die Blondheit des Bösen

So bleibt vorerst nur die Flucht nach innen, die Erinnerung an die eigene Seherfahrung: die deutsche Familie beim Schwimmen und Rudern im See, die kleinbürgerliche Idylle im Haus per Reality-TV, die Blondheit des Bösen, dieses ziemlich gut getroffene, schauderhafte Deutsch, das die Figuren sprechen, kein klischeehaftes Nazi-Deutsch, auch kein heutiges, sondern wiederum etwas dazwischen, das mir nah genug ist; all das hat durchaus etwas gemacht mit mir.

Nicht zuletzt auch der Blick in einen anderen Alltag, den der heutigen Gedenkstätte, in der Tag für Tag die Schaufenster der Vitrinen gesäubert werden, um den Blick aufs Grauen zu ermöglichen, der nochmal ein ganz anderes Diskursfeld erschließt: Erinnerungskultur. Auch Filmen wie diesem wohnt die Gefahr inne, die Erinnerung als Kultur stillzustellen, das macht die Begeisterung in Cannes so ambivalent. Zugleich schlummert in ihnen das Potenzial, der Kultur aufs Neue die Erinnerung zu injizieren. Daran ist The Zone of Interest sehr ernsthaft interessiert, und das macht ihn unbedingt sehenswert.
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