The Wonderful Ice Cream Suit – Kritik
Direct-to-Video: An den Rand gedrängte Helden und ein magisches Kleidungsstück, das sie unwiderstehlich macht. Stuart Gordons The Wonderful Ice Cream Suit ist eine eigenwillige Mischung aus Musical, volkstümlicher Komödie und moralischem Lehrstück, die in ihren virtuosen Slapstickszenen zur Höchstform aufläuft.

„Everyone in life needs to have a dream, first you got to find one that fits you perfectly“, heißt es im mit farbenfrohen Sandanimationen gestalteten Vorspann. Ihre maßgeschneiderten Träume haben die Protagonisten aus Stuart Gordons The Wonderful Ice Cream Suit (1998) zwar schon gefunden, an der Umsetzung hapert es allerdings noch.
Verzweifelt versucht etwa der schüchterne Romantiker Martinez (Clifton Collins Jr.), die Aufmerksamkeit seiner attraktiven, sich anmutig auf dem Balkon räkelnden Nachbarin auf ihn zu ziehen. Dominguez (Esai Morales) macht mit seinen muskulösen Oberarmen und dem dicken Schnauzer zwar optisch mehr her, möchte aber lieber als Musiker begehrt werden. Doch die Mädels, denen er auf der Straße flirtend hinterhersingt, registrieren ihn nicht einmal. Und auch vom älteren Sozialisten Villanazul (Gregory Sierra) nimmt niemand Notiz, als er im Park versucht, eine politische Rede zu halten. Die Sehnsucht, endlich einmal wahrgenommen zu werden, die Enttäuschung, für ihr Umfeld scheinbar unsichtbar zu sein, vereint diese drei sehr unterschiedlichen Helden.
Eine abstrakte Wunscherfüllungsmaschine

In Gordons eigenwilliger Mischung aus spritzigem Musical, volkstümlicher Slapstick-Komödie und moralischem Lehrstück wirken nicht nur die Protagonisten an den Rand gedrängt, sondern auch der Schauplatz. Der Film beginnt mit einer Aufnahme, die sich langsam der Skyline von Downtown L.A. nähert. Doch statt im Zentrum der Stadt zu verharren, schwebt die Kamera so lange weiter, bis sie das überwiegend von Latinos bevölkerte East Los Angeles erreicht hat. Die Lebensumstände sind hier bescheiden, Englisch wird mit starkem Akzent gesprochen, und jede der gestenreichen Unterhaltungen gleicht einer spielerischen Verhandlung, bei der berechnende Schmeicheleien fließend in lautstarken Streit und ausgelassene Tanzeinlagen übergehen.
Gleich am Anfang findet ein solches Gespräch in einer Bar statt. Der aalglatte Hustler Gomez (Joe Mantegna) hat die drei Unglückseligen hierher geschleift, um sie zu einer gemeinsamen Investition zu überreden. Ein mysteriöser Anzug, der so weiß wie Vanilleeis schimmert, wird für die Anwesenden zum ultimativen Heilsversprechen. Das auf einem eigenen Theaterstück basierende Drehbuch von Science-Fiction- und Grusel-Autor Ray Bradbury hält sich dabei nicht mit näheren Erklärungen über das magische Kleidungsstück auf. Vielmehr wird es wie im Märchen als abstrakte Wunscherfüllungsmaschine hingenommen, die ihren Träger charismatisch begabt, unwiderstehlich – oder auch einfach: sichtbar – werden lässt.
Gegenstück zum American Dream

Entscheidend für die Story ist, dass sich die abgebrannten Männer diesen Wunsch nur erfüllen können, wenn sie zusammenlegen. Jeder darf den Anzug nur für eine Stunde tragen. Während also Martinez endlich seine Nachbarin bezirzt, Villanazul die Massen mit einer emotionalen Rede begeistert und Dominguez mit der Gitarre eine Horde sichtlich erregter Damen zum Tanzen bringt, müssen die jeweils anderen in einem schäbigen Hotelzimmer warten.
Bradbury schafft damit eine Art Gegenstück zum amerikanischen Traum, der Selbstentfaltung über gesellschaftliche Zusammenhänge stellt. Das eigene Glück setzt in The Wonderful Ice Cream Suit unweigerlich den Verzicht der anderen voraus. Mit der Zeit finden die Männer jedoch heraus, dass nicht nur der Anzug magisch ist, sondern auch durch den freundschaftlichen Zusammenhalt vieles möglich wird, was dem Einzelnen vorenthalten geblieben wäre. Das muss selbst der wenig vertrauenswürdige Gomez einsehen, der eigentlich mit dem Anzug durchbrennen will, im letzten Augenblick aber von vorwurfsvoll dreinblickenden Graffitis zum Umkehren bewegt wird.

Ganz ohne Widerstände funktioniert der Film aber natürlich nicht. Weil der Gruppe noch 20 Dollar für den Anzug fehlen, schmuggelt Bradbury noch einen fünften in die ansonsten recht harmonische Zweckgemeinschaft. Vamanos (Edward James Olmos) wirkt mit seinen wild wuchernden Haaren, der zentimeterdicken Dreckschicht auf der Haut und dem schwer verständlichen Gegrunze nur wie ein halber Mensch und kommt bei seinem ersten Auftritt passenderweise aus einer Mülltonne gekrochen. Von den anderen wird er die meiste Zeit mit Ignoranz gestraft; ähnlich wie sie selbst von ihrem Umfeld wie Luft behandelt werden. Aber es hilft nichts: Irgendwann ist auch Vamanos an der Reihe, den Anzug zu tragen.
Stuart Gordon, der zuvor für Science-Fiction- und Horrorfilme wie Re-Animator (1985) bekannt war, nimmt das zum Anlass für eine schamlos überdrehte Karnevalsnummer, in der unter anderem ein tropfender Taco, eine überschminkte, großbusige Nachtclubgröße sowie ihr kraftmeiernder und schwer eifersüchtiger Freund eine zentrale Rolle spielen. Überhaupt läuft der Film mit seinen manchmal etwas statischen Zwischenszenen immer dann zu Höchstform auf, wenn er sich ganz seinen fantasievollen Einfällen und der virtuosen Körperkomik hingibt.
An Disneys Knickrigkeit gescheitert

Immer wieder arbeitet The Wonderful Ice Cream Suit mit sehr einfachen Settings, Wiederholungen und Variationen (nicht selten schlägt sich das auch in den stilisierten Dialogen nieder: „Calm Down!“, „Calm Down?“ „Ooooh, Caaalm Dooown“). Gleich den Kauf des Anzugs inszeniert Gordon wie eine stummfilmartige Slapstick-Nummer: Gerade als die beiden jüdischen Besitzer die Auflösung ihres Shops bekanntgeben wollen, stürmt einer der Protagonisten hektisch in den Laden und sofort wieder hinaus. Dann folgt der Nächste, darauf zwei weitere zusammen und schließlich die ganze Gruppe. Die anfängliche Freude der verdatterten Verkäufer über Kundschaft weicht dabei schnell der Angst, ausgeraubt zu werden.
Obwohl The Wonderful Ice Cream Suit auf Festivals wie Sundance gut aufgenommen wurde, relativ prominent besetzt ist und den angesehenen Bradbury als Ass im Ärmel hatte, erschien er nur auf dem Videomarkt. Der angebliche Grund dafür: Produzent Disney hätte bei einer Kinoauswertung die Gagen der Darsteller erhöhen müssen. Es ist nicht frei von Ironie, dass ausgerechnet ein Film, der Freundschaft über alles Materielle stellt, wegen der Knickrigkeit eines großen Studios um einen Teil seines Erfolgs gebracht wurde.
Anmerkung: Laut einem Post des Filmhistorikers Joseph McBride scheiterte der Kino-Release weniger an zu hohen Gagen als an der Tatsache, dass die Protagonisten Latinos sind.
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