The Woman with a Knife – Kritik

Neu auf MUBI: Es beginnt mit einem Duschvorfall wie in Psycho, nur ohne Schnittgewitter und Stichwunden. Selten wurde so sachlich und entspannt über die seelische Zerrüttung einer Figur erzählt wie in dem ivorischen Film The Woman with a Knife (1969).

Es beginnt mit Psycho (1960). Der namenlos bleibende Protagonist (Regisseur Timité Bassori) duscht, eine Frau sticht auf ihn ein. Nur ist das nicht mit dem Schnittgewitter aus Hitchcocks Film, sondern in zwei, drei affektlosen Einstellungen dargestellt. Die Zustechende ist zudem eher lethargisch, und der Mann erwacht auch wieder in der Wanne – ohne Stichwunden. Schließlich muss er sich eingestehen, dass er keinen leibhaftigen Menschen gesehen hatte. Ort der Handlung ist Abidjan, die damaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste, in der der Mann beheimatet ist. Er hat aber auch schon in Frankreich gelebt. Das Problem der unwirklichen Frau mit dem Messer könnte er also auf unterschiedliche Weise angehen. Er entscheidet sich aber – sehr zu seiner eigenen Überraschung – für den Gang zum Medizinmann.

Die Mittel des Affektkinos finden keine Anwendung

The Woman with a Knife (La femme au couteau, 1969) endet mit einer abermaligen Anlehnung an Psycho. Der Protagonist muss erkennen, dass ihn ein sexuell konnotiertes, mit seiner Mutter verbundenes Trauma beherrscht. Dies bedingt, dass ihm die Frau mit dem Messer immer dann begegnet, wenn er erregt ist. Die Mittel das Affektkinos finden bei dieser Erkenntnis aber wiederum keine Anwendung – vielmehr ist die Szene gerade deshalb faszinierend, weil wohl selten so sachlich und entspannt eine seelische Zerrüttung diagnostiziert wurde. Beginn und Ende bleiben vergleichsweise so ruhig, weil weder die Frau noch die Lösung(-sversuche) des Problems – durch Aberglauben oder Psychologie – besonders wichtig für dem Film sind. Diese beiden Ansätze versinnbildlichen jedoch die Zerrissenheit der Hauptfigur zwischen Tradition und Moderne, zwischen Afrika und Europa, zwischen Beginn und Ende.

Während Hitchcock seinen Film stringent und entlang seines Horrorplots entwirft, herrscht in The Woman with a Knife vor allem Verwirrung. Nach dem anfänglichen Duschvorfall dauert es eine Weile, bis der Film genug Hinweise darauf gibt, wie die Erzählsituation weiterverläuft. Ein Off-Kommentar erzählt über eine assoziative, langsame Montage, aus der sich nur langsam ein Dialog entwickelt, der uns Sicherheit gibt, wer das Subjekt der Erzählung ist, wer hier redet. Bis eine ausladende Traumsequenz – sie wird nie eindeutig als solche gekennzeichnet, ergibt aber am ehesten Sinn, wenn es sich um einen Traum handelt – mehr am Verschleiern und Erfahrungen von Dissoziation interessiert ist. Sobald die Wirklichkeit (womöglich) wieder übernimmt, wird die Handlung zwar einfacher lesbar, aber nie zur geradlinigen (Genre-)Erzählung. Gerade weil nicht immer sicher zwischen realen Personen und Geistern/Einbildungen zu unterscheiden ist.

Der Horror sozialen Unbehagens

Am ehesten lässt sich The Woman with a Knife als Ansammlung beschreiben. Hier ein Sketch über einen Mann, der mit einer imaginären Frau redet und damit den Taxifahrer verängstigt. Da der Horror sozialen Unbehagens einer Party oder einer Beziehung, die unter dem Druck der wiederholt auftauchenden Frau mit Messer für den Mann nicht funktionieren wollen. Mal wird ein alter Bekannter gesucht, mal jemand in einer Irrenanstalt gefunden. Mal sehen wir ein aggressives Ankämpfen gegen die Entfremdung von der Tradition wie von der Moderne – wenn verzweifelt die Namen der französischen Städte geschrien werden, in denen man schon war, als werde man dadurch unangreifbar –, mal in sich zurückgezogenes Hadern. Hier die Suche nach Wissen aus Strukturen im Sand, da eine psychologische Landkarte eines Verlorenen, der sich selbst in eine andere Persönlichkeit imaginiert – wobei er mit einem angeklebten Bart und einem unproportionierten Frack herumläuft, wie eine Mischung aus Thelonious Monk und einem Pimp.

Nonchalance der frühen Nouvelle Vague

Die Aufbruchsstimmung, die Verspieltheit und die Nonchalance der frühen Nouvelle Vague sind dabei deutlich zu spüren. Nicht nur, weil sich in einem persönlichen Film an den Möglichkeiten filmischen Erzählens versucht wird, sondern auch, weil die Dialoge improvisiert wirken und das fehlende Budget zum eigenen Stil gemacht wird. Nur fehlt Timité Basson das übermäßige Wissen um Filmgeschichte – oder er hängt es eben nicht an die große Glocke. Würden hier mehr Sex, Gewalt und Drastik angedeutet oder abgebildet, The Woman a the Knife gäbe trotz seiner Tendenz zur artifiziellen Psychedelic einen passenden Roughie ab. Gerade das eher amateurhafte Sounddesign, das über ohne Ton gedrehte Bilder gelegt wird, teilt sich der Film mit diesem Genre. Mit seinem offensiv eingesetzten Dilettantismus stellt er so jedenfalls schön vor Augen, wie schmal die Grenze zwischen sogenanntem Schund und sogenannter höherer Kunst ist.

Im Soundtrack ist unter anderem John Coltrane zu hören – wenn ich mich nicht irre –, dessen Jazz nach seinen Wurzeln in Afrika sucht. Aber wie The Woman with the Knife geht er seine Entfremdung von Vergangenheit und Gegenwart nicht klagend oder wütend an, sondern macht sie zur Grundlage einer Forschung und eines aufgeregten Fühlens, was der ganze komische Kram, der unterwegs gefunden wird, mit einem anstellt. Und wenn The Woman with a Knife eben an diverse andere filmische Stile gemahnt, dann liegt sein hoffnungsvolles Moment darin, dass er kein singuläres Werk ist wie Psycho, sondern in Kino und Musik seiner Zeit und Welt Anschlusspunkte findet und eben nicht allein und verloren dasteht.

Den Film kann man bei MUBI streamen.

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