Die Frau, die rannte – Kritik
Neu auf MUBI: In Die Frau, die rannte finden alte Freundinnen behutsam wieder zueinander, während von draußen eine weinerliche Männerwelt aus anderen Filmen von Hong Sang-soo herüberschwappt. Das Menschsein steckt dieses Mal ganz in der Katze.

Gam-hee (Kim Min-hee) ist nur zu Besuch. Ihre Gastgeberin Young-soon (Young-hwa Seo) hat gerade noch – als wolle sie uns versichern, dass wir tatsächlich in einem Hong-Sang-soo-Film sitzen – ihre verkaterte Nachbarin Su-young (Song Seon-mi) verabschiedet und sitzt nun neben ihr auf der Couch. Dazu gibt es einen Soju-Longdrink. Young-soon verträgt ihn zwar nicht mehr gut und bis zum Mittag ist noch etwas Zeit, aber sei’s drum.
Ein Zoom rückt die Freundschaft zurecht

Anders als in anderen Filmen von Hong Sang-soo lockert der morgendliche Drink nicht direkt die Zunge und führt auch nicht direkt in den lallenden Gesichtsverlust. Die Frauen müssen, vielleicht auch weil nur eine Flasche Soju mitgebracht wurde, erstmal einmal die Vertrautheit wiederfinden, in der sie sich das letzte Mal verabschiedet haben. Die Frau, die rannte ist ein Film über das behutsame und holprige Wiederzueinanderfinden: Die Gespräche kommen nur langsam von der Stelle, der Small-Talk dauert ein bisschen zu lange, das Thema dreht den einen Kreis zu viel und endet in einer Pause, die dann auch wieder ein bisschen zu lang steht. Die Annäherungsphase ist eine klassische Hong-Einstellung. Eine Totale, die zwei Menschen einschließt und so lange verharrt, bis der erste Moment, diese kurze Phase der Annäherung vorbei ist. In eben diesem Moment rückt ein Zoom das alte Bild der Freundschaft wieder zurecht. Es schrumpft nur ein bisschen zusammen. Genau dieses Bisschen, das es braucht, um die alte Vertrautheit wieder herzustellen.

Diese Vertrautheit muss gleich mit der nächsten Begegnung wieder neu errungen werden. Denn als nächstes ist Gam-hee mit der verkaterten Nachbarin Su-young verabredet. Auch hier erwähnt sie, dass dies der erste Tag seit fünf Jahren ist, den sie tatsächlich getrennt von ihrem Mann verbringt. Das Essen ist diesmal nicht so gut, aber immerhin musste diesmal kein Rind sterben. So wird auch dieses Beisammensein spätestens mit ein paar Schlucken Weißwein zur wohligen, vertrauten Angelegenheit. In der Nähe des ländlichen Wohnhauses, das einen wunderbaren Ausblick auf eine Bergkette gibt, gibt es nämlich auch eine Bar. Zwar wird keine von Gam-hees Gastgeberinnen sie dort hinführen, aber der Gedanke, dort Stammgast zu werden, steht für die Anwohner immer als verführerischer Gedanke im Raum. Wäre da nicht der junge Dichter, mit dem Su-young einmal, motiviert von deutlich zu viel Soju und der Hoffnung, er würde danach Ruhe geben, geschlafen hat. Eben dieser Dichter ist dann auch derjenige, der die heimelige Atmosphäre stört. Er wird gar nicht erst reingebeten, sondern vor der Haustür abgewimmelt. Durch den digitalen Türspion beobachtet Gam-hee das Streitgespräch als perfekt kadriertes Bild. Was Hong Sang-soo nie durch Schnitte innerhalb einer Szene stört, wird in Die Frau, die rannte stattdessen von einer nervigen, weinerlichen Männerwelt bedrängt, die aus anderen Hong-Filmen herüberzuschwappen scheint.
Katze im Mittelpunkt

Neben dem allzu anhänglichen Dichter ist da noch der neue Nachbar. Auch er klingelt sich in das Beisammensein. In der wohl schönsten Szene des Films ist es die Mitbewohnerin der Gastgeberin, die ihm und seinem Anliegen die Tür öffnet. Auf seine Forderung, man solle doch die streunenden Katzen aus Rücksicht auf die Ängste seiner Frau nicht füttern, folgt ein leises, mit Lächeln und Zuspruch ausgetragenes Ringen um die Deutungshoheit, das sich respektvoll an die Höflichkeitsregeln unter Fremden hält. Als der sanfte Druck der Bedürfnisse schließlich im Patt endet, ist es erneut ein Zoom, mit dem die Kamera die Magie ins Bild holt. Die Katze, die bisher kein Mitspracherecht an der Diskussion ihres Schicksals hatte, rückt in den Mittelpunkt. Ihr Auftritt setzt den wunderbaren Schlusspunkt dieser so einfachen und doch so unendlich reichen Szene. Für ein paar Minuten scheint das ganze Menschsein in der Katzenfrage zu stecken, die allein der kleine Streuner beantworten kann. Der allerdings ist hier nur zu Besuch.
Den Film kann man gerade bei MUBI streamen.
Der Text erschien ursprünglich am 25.02.2020.
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