The Woman in the Window – Kritik

Neu auf Netflix: Das Testpublikum tat sich schwer, reale Szenen von Fantasien der Protagonistin zu unterscheiden. Darauf wurde Joe Wrights Thriller umgeschnitten. Was von dem Problem übrigbleibt, ist das Reizvollste an The Woman in the Window.

The Woman in the Window steckt voller amerikanischer Filmgeschichte. Schon den Titel teilt er sich mit einem Exil-Klassiker von Fritz Lang. Licht und Schatten verneigen sich vorm Film noir und Hitchcock. Die alten Filme, die sich die Protagonistin Anna abends im TV ansieht, dominieren bedrohlich das Bild, während sie einschläft. Ihre Schaulust jedoch lebt sie in einem anderen Kino, den Fenstern der Nachbarschaft, aus.

Angst, das Haus zu verlassen

Allein mit ihrer Katze wohnt die Kinderpsychologin (gespielt von Amy Adams) in einem New Yorker Stadthaus. Von ihrem Mann Ed (Anthony Mackie) und der gemeinsamen Tochter Olivia lebt sie getrennt, steht aber in liebevollem Telefonkontakt zu beiden. Wie einst James Stewart in Das Fenster zum Hof (Rear Window, 1954) beobachtet sie die gegenüberliegenden Wohnungen mit ihrer Fotokamera. Im Unterschied zu ihm fesselt sie keine Beinverletzung an den Sessel, sondern Agoraphobie, und damit die Angst davor, das Haus zu verlassen. Sobald sie ihre manisch-depressiven Schübe mit Medikamenten und Rotwein kontert, macht auch die Bildgestaltung klar, dass wir den Film durch Annas Augen sehen und ihren und unseren dabei nicht immer trauen sollten.

Für die gegenüber eingezogene Familie Russell entwickelt sie ein besonders starkes Interesse. Zu Sohn Ethan (Fred Hechinger) und Mutter Jane (Julianne Moore) baut sie eine Bindung auf, die Vater Alistair (Gary Oldman) bedrohlich überschattet. Ihr Voyeurismus macht Anna zur Zeugin eines Mordes im Haus der Familie.

Paranoia und Unsicherheiten

Die bisherige Arbeiten des Regisseurs Joe Wright – die Literaturverfilmungen Stolz und Vorurteil (2005), Abbitte (2007) und Anna Karenina (2012) – handeln von starren sozialen Normen und der Frage, was in ihnen möglich ist. The Woman in the Window blickt auf die andere Seite der Medaille: Relativ frei von äußeren Zwängen und sozialen Verbindlichkeiten ringt Anna mit der Instabilität ihres Inneren.

Das streng häusliche Setting mag einen Bezug zur Corona-Pandemie nahelegen, doch war der Film bereits 2019 fertiggestellt und hätte damals auch veröffentlicht werden sollen. Aufgrund des Aufkaufs der 20th Century Fox durch den Disney-Konzern im selben Jahr verzögerte sich das Release. Nachdem Testpublika sich schwertaten, im Film reale Szenen von Annas Einbildung zu unterscheiden, fanden Nachdrehs und Umschnitte statt. In dieser Fassung erscheint der Film nun auf Netflix. Dabei ist das, was von der Schwierigkeit dieser Unterscheidung übrigbleibt, mit das Reizvollste an The Woman in the Window.

Die Inszenierung ist ganz auf Paranoia und Unsicherheiten ausgerichtet. Neben den von Kameramann Bruno Delbonnel gefilmten klassischen dutch angles und verheißungsvollen Schatten gewinnt Wright auch dem Digitalen visuellen Schrecken ab: stock photos als eigenschaftslose Horde, der Zoom auf der Landkarte als Sprung in den Tod.

Was tun nach dem Twist?

Wrights Könnerschaft im Umgang mit künstlichem Licht und starken Farben zeigt sich in jeder Szene. Auch wird er in den richtigen Momenten inszenatorisch aggressiv und treibt die narrativen Unsicherheiten auf die Spitze. Dazu ein raffiniertes Sounddesign, die angespannte Musik Danny Elfmans, ein konzentriert-mitreißend spielendes Ensemble: All das verheißt einen stilbewussten Thriller mit psychologischer Tiefe und Reflexionen über visuelle Lust im Kino. Diese Herausforderung bürdet sich The Woman in the Window schon mit seinen (bereits in A.J. Finns gleichnamiger Romanvorlage enthaltenen) filmhistorischen Bezügen auf, die jedoch nur schlaff herumliegen. Die psychologischen Aspekte sind höchstens behauptet und kaum durchdacht, und katastrophalerweise macht der Film die Frage danach, was eingebildet und was real ist, zu seinem Hauptanliegen. Darauf gibt er eine eindeutige Antwort, während er sich bis dahin hauptsächlich durch ebendiese Unsicherheit am Leben hielt.

Wie so viele Thriller muss sich The Woman in the Window fragen: Was tun nach dem Twist? Mehr Twists nachreichen und sich in Action flüchten ist die Antwort, wodurch die letzte halbe Stunde zur beschämend leeren Thrillerroutine gerät, die die bis dahin angedeutete Tiefe Lügen straft. Dabei noch dazu so krampfhaft den Altmeister des Suspense und des Psychothrillers zu beschwören, wirkt vermessen. Denn während bei Hitchcock im Keller das freudsche Es lauert, hockt in The Woman in the Window dort nur der Untermieter David und rattert den nächsten plot point herunter.

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