La Gomera – Verpfiffen und Verraten – Kritik

VoD: Den Gefängnisausbruch mit antiker Pfeifsprache deichseln. Corneliu Porumboiu hat eine Komödie über das Rumänien von heute gedreht.

Cristi, ein Mann um die 50, Glatze mit wenig weißem Resthaar, graue Miene, schlechte Kondition, lernt in The Whistlers (La Gomera) auf den Kanaren das Pfeifen. Die ersten Bilder, die wir von Vlad Ivanov in dieser Rolle des abgehalfterten Polizisten sehen, sind beschwingt, getragen von Iggy Pops Hitsong „The Passenger“. Bei der Vorführung in Cannes bricht spontaner Szenenapplaus aus, noch bevor der Film richtig begonnen hat. Die Vorfreude teile ich.

Noir-Motive im Humorarsenal

Corneliu Porumboius letzter Spielfilm Der Schatz (Comoara) lief 2015 in Cannes in der Nebenreihe Un Certain Regard und hat mich in seiner Mischung aus Sozialdrama, Abenteuerfilm und komödiantischer Fantastik wie wenig anderes in dem Jahr affiziert, umgehauen, begeistert. In seine Welt sehne ich mich gern zurück. Seine stärker intellektuellen, distanzierten Filme wie Police, AdjectiveFilm (Politist, adjectiv, 2009) und seine Essayfilme wie The Second Game (Al doilea joc, 2014) sind für mich in aller Regel kein geringeres Vergnügen, nicht zuletzt weil die Blickarrangements und Perspektiven, die er einnimmt, Analyse mit Witz verbinden.

The Whistlers ist nun sogar in erster Linie Komödie, genauer gesagt eine Gangsterkomödie. Motive aus dem Film noir wie die Femme fatale Gilda (Catrinel Marlon) und die Passivität des Helden, der in den Kriminalplot hineinzustolpern scheint, tauchen früh auf, dominieren den Film in seiner oft schwer zuzuordnenden Form aber nicht. Zum humoristischen Arsenal tragen sie mit aus dem Nichts auftauchenden Bösewichten, recht willkürlichen Wendungen und selbstverständlich korrupten Polizisten dennoch ziemlich viel bei. Wobei das besondere Element, das auch im Titel steckt, nämlich das Pfeifen, als irgendwas zwischen absurdem und sozialrealistischem Detail behandelt wird.

Verführung und Überwachung

Man muss die Pläne der Ganoven ohnehin nicht nachvollziehen können, um Spaß mit der Prämisse des Films zu haben. Cristi soll auf La Gomera die dort traditionsreiche Pfeifsprache lernen, um beim Ausbruch eines Häftlings zu helfen, weil das Pfeifen die Kommunikation über weite Distanzen erlaubt (die Sprache gibt es tatsächlich, seit 2009 wird sie als immaterielles Weltkulturerbe von der UNESCO geschützt). Porumboiu liebt den Schwebezustand, bei dem sich Authentisches und Erfundenes treffen. Nicht genau zu wissen, was man glauben soll, ist deshalb die perfekte Voraussetzung, um The Whistlers zu begegnen.

Straff entwickelt der Regisseur die Intrige, setzt erklärende Rückblenden ein und springt von einer Figur zur nächsten, um den ganzen Umfang des Dramas zu entfalten. Mehr als in anderen Filmen setzt er dramaturgisch auf betonte Momente der Enthüllung von Informationen. Gilda lernen wir erst auf La Gomera kennen, sie erinnert an ein Treffen in Rumänien, Schnitt: Gilda und Cristi treffen sich dort und spielen Geliebte. Mit dieser ersten Rückblende landen wir nicht nur in einer seltsamen Form von Verführungsspiel, das sich als Transaktion ausgibt, sondern vor allem mitten in einem der zentralen Motive, Cristi wird nämlich überwacht.

Das Publikum wird Teil des Spiels

Weil Gilda weiß, wo die Kameras versteckt sind, macht sie sich einen Spaß daraus, sie anzuspielen, raucht in Richtung Gemälde, steht lange nackt vorm Spiegel. Die Beobachtung ist für sie kein Hindernis, sondern eine Chance. Vom Spiegel dreht sich Gilda zu Cristi und damit zu uns, aber nicht ohne genau im richtigen Moment einen Briefumschlag vor ihr Geschlecht zu halten. Das Bewusstsein fürs Publikum, innerhalb der Geschichte und außerhalb, stellt Porumboiu offensiv zur Schau. Schauspiel erscheint hier sowohl als zweite Natur des Menschen wie als Verabredung mit dem Zuschauer, der die Inszenierung durchschauen soll und selbst Teil des Spiels wird.

Im fragmentarisch umkreisten Mittelpunkt von The Whistlers steht ein korrupter Staatsapparat, der mit derselben Selbstverständlichkeit und lakonischen Unbekümmertheit Schmiergeld annimmt, Kollegen anschwärzt, Drogen bei Verdächtigen platziert und Morde plant. Das ist Mittel zum Zweck der Gangsterkomödie und des Neonoirs, zugleich aber stets auch verfremdender Blick auf Rumänien, der die Verhältnisse karikiert und damit offenlegt. Auch das macht Spaß, wirkt aber mitunter etwas ausgestellt. Wie überhaupt Porumboiu hier wenig auf Auslassung vertraut und auf Intensivierung einzelner Momente, sondern eher der Anhäufung von Wendungen und einem Panorama von Eindrücken verfällt. Die Lockerheit, die er dabei an den Tag legt, ist Fluch und Segen zugleich. Verstrickungen sind schnell wieder aufgelöst, sind ja alle korrupt.

Der Film steht bis 19.04.2022 in der Arte-Mediathek.

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