Macbeth – Kritik
Apple TV+: English Gothic, Expressionismus, Film Noir. Joel Coens Macbeth ist eine einzige Synthese der Traditionen, in der sich zusammenfügt, was vielleicht ohnehin zusammengehört.

Es klingt überraschend: Der neue Coen-Film ist kein Gebrüder-Coen-Film, sondern stammt von Joel Coen allein. Er ist außerdem keine Tragikomödie, sondern eine Tragödie par excellence, eine Shakespeare-Verfilmung. Das wirklich Überraschende an The Tragedy of Macbeth ist aber, dass dieses Aufeinandertreffen der Shakespeare’schen Fantastik mit dem postmodernen Coen-Universum – das man sich kaum anders vorstellen konnte denn als geräuschvollen Zusammenprall – das genaue Gegenteil davon ist. Es scheint vielmehr, als hätte zwischen diesen zwei Welten schon immer eine heimliche Allianz bestanden, als fügte sich jetzt etwas zusammen, das nur zufälligerweise bisher nicht miteinander in Verbindung gebracht wurde.

Macbeth ist eine der düstersten Tragödien Shakespeares. Die schauderhaft-allegorischen Bilder Johann Heinrich Füsslis und die Literatur der Schwarzen Romantik wären kaum vorstellbar gewesen, hätte Shakespeare mit der mörderischen Welt von Macbeth nicht den Grundstein gelegt. Düster ist dabei nicht nur, dass besonders viele Figuren sterben, düster sind vor allem die Dissoziierung des Ehepaars Macbeth in ihrem dämonischen Machtstreben, die Lügen und Intrigen, die zahlreichen Omen und Vorahnungen, Visionen und Halluzinationen. Trotz aller Kalküle und Zufallvermeidungsstrategien, trotz aller hoffnungsspendenden Prophezeiungen, die die Laufrichtung des Geschehens bestimmen, rollt die Gegenwart einer dunklen und furchtbaren Zukunft entgegen.
Gothic Shakespeare

Von der Aussicht auf die Königskrone berauscht und zugleich von Selbstzweifeln geplagt, schleicht der Vasall Macbeth (Denzel Washington) mit einem blitzenden Messer in der Hand durch einen langen Gewölbegang, der durch ein rekursives Schattenmuster in hermetische Endlosigkeit gezogen wird. Die Kamera Bruno Delbonnels begleitet unaufdringlich, aber unerbittlich das Geschehen und fängt alles ein, was sich rührt. Die königlichen Hallen sind karg, sie bestehen im Grunde nur aus schlichten Wänden, Treppen, Säulen und Fenstern, die in kontrastvolles Schwarzweiß getaucht sind. Die Kargheit ist allerdings durchsetzt von scharfkantigen Schatten, die nicht nur das Sichtbare und das Verborgene strikt voneinander scheiden, sondern Räume in abstrakte geometrische Formen verwandeln.

Man kennt dieses Verfahren, das vor allem der Vermischung der psychischen mit der äußeren Welt dient, bereits aus älteren Shakespeare-Verfilmungen: Macbeth von Orson Welles und Hamlet von Laurence Olivier, beide aus dem Jahr 1948, konstruieren karge Traumräume, in denen alles sichtbar und zugleich alles verborgen ist. Doch in Coens Tragedy of Macbeth kommt der englische Gothic Horror stärker zum Vorschein als in jeder anderen Shakespeare-Verfilmung: die Ausstülpung der Psyche mit ihren Ängsten, Begierden, Geheimnissen und Sünden zu einem geometrischen Raum der Allegorie. Deshalb fühlt sich der Film auch an wie back to the roots, deshalb wirken die Rabenschwärme, die das Bild verdunkeln, oder die Schreie der psychotischen Lady Macbeth (Frances McDormand), die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, keineswegs unpassend oder übertrieben. Wir kennen sie bereits von den Füssli-Zeichnungen, die zahlreiche Shakespeare-Ausgaben illustrieren.
Traditionssynthese

Coen treibt das geometrische Hell-Dunkel-Spiel aber noch weiter und erprobt in aller Selbstverständlichkeit die Tauglichkeit des deutschen Expressionismus der 1920er Jahre wie auch des amerikanischen Film Noir der 1940er für das Shakespeare-Universum. Alles fügt sich dabei so wunderbar zusammen, als wären diese Genrewelten nichts anderes als Variationen desselben, und vielleicht sind sie das ja auch. Hier findet man auch die Brücke zu Coens bisherigem Schaffen, vor allem wenn man sich den Neo-Noir-Thriller The Man Who Wasn’t There (2001) in Erinnerung ruft: scharfkantig-schwarzweiße Bilder, Geheimnisse und fatale Konsequenzen, Großaufnahmen von Gesichtern, dunkle Schatten und Klaustrophobie.

The Tragedy of Macbeth ist eine meisterhaft präzise Inszenierung. Nichts ist dem Zufall überlassen, alles im Studio gefilmt. Ein Albtraum in einer genauestens vermessenen Welt, in der auch das Tempo einen metronomisches Takt hält. Der Film ist kein Experiment, vielmehr bedient er sich verschiedener Traditionen. Die Synthese, die dabei herauskommt, erscheint fast logisch, erweckt den Anschein, sie wäre schon immer da gewesen.
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