The Survival Of Kindness – Kritik
Berlinale 2023 – Wettbewerb: Eine Frau in einem Käfig in der Wüste – und dann noch Pandemie und Postapokalypse. Rolf de Heer will ziemlich viel. Seine dystopische Rassismus-Parabel The Survival of Kindness ist aber am stärksten, wenn am wenigsten passiert.

Wie lange überleben Nächstenliebe und Solidarität, wenn die Menschheit sich in einen Hobbes’schen Naturzustand zurückkatapultiert? Diese Frage wird häufig im postapokalyptischen Kino verhandelt. Rolf de Heer verpflanzt sie in The Survival of Kindness (2022) in den Kontext eines Rassenkrieges, der womöglich von einer Nuklearkatastrophe ausgelöst wurde. Die Weißen tragen Gasmasken und machen Jagd auf die Schwarzen, um sie anzuketten.
Schon nach wenigen Minuten ist die Grundsituation skizziert – sie ähnelt diversen klaustrophobischen Horrorfilmen: Mitten in der Wüste haben weiße Männer einen rostigen Käfig abgestellt, darin gefangen eine schwarze Frau (Mwajemi Hussein), die – wie alle Figuren – keinen Namen hat, und erst im Abspann als BlackWoman benannt wird. Allein gelassen und zum Sterben verdammt, rüttelt die Frau an den Eisenstangen des Käfigs, malträtiert den Holzboden und versucht, das Türschloss aufzubrechen. Doch es gibt kein Entkommen.
Minimalistischer Beginn

Der Film nimmt sich Zeit, diese ausweglose Lage fühlbar zu machen: Mehrere Zeitraffersequenzen blicken auf die unerbittliche Sonne, die Kamera tastet das Gesicht der Frau ab, blickt in die karge Landschaft, vermisst den engen Käfig. Und dann sind da noch die Ameisen: Eine Makrokamera schaut zu, wie sie aus dem ausgetrockneten, rötlichen Lehmboden kriechen, in den Käfig vordringen oder miteinander bis zum Tode kämpfen. Die Spezialkamera lässt sie riesengroß erscheinen – und wenn sie ihre Kneif- und Beißwerkzeuge gegeneinander einsetzen, klingt es, als würden Messer auf Fleisch einstechen. Dieser detaillierte Blick, der geduldige Rhythmus und der zur Einöde passende Minimalismus des Plots erzeugen in den ersten 30 Minuten einen immensen Sog.
Da sich so aber kaum eine Geschichte erzählen lässt, gelingt es der Frau irgendwann doch, sich aus dem Käfig zu befreien. Man mag sich zunächst fragen, wohin sie läuft und läuft und läuft, warum sie nach mehreren Tagen im Käfig kein Essen benötigt, weshalb sie keinen der ihr begegnenden Menschen um Hilfe bittet und woher sie plötzlich klettern kann wie Alex Honnold in Free Solo (2018).
Doch diese Lücken im Plot wiegen weniger schwer als die einander überwuchernden Subtexte. De Heer verwendet bewusst keine Namen, keine echte Sprache und lässt auch das Setting so uneindeutig wie möglich. Gedreht wurde der Film zwar in Australien, doch die Landschaftsbilder und die historischen Anleihen bedienen sich nicht nur bei der australischen Geschichte, sondern auch bei der südafrikanischen Apartheid und der Sklaverei in den US-amerikanischen Südstaaten. Kurzum: Der Film soll als dekontextualisierte und damit allgemeingültige Parabel fungieren – deshalb erscheint der Titel-Schriftzug auch gleich auf Arabisch, Chinesisch, Hindi, Englisch und Russisch.
Überladenes Finale

Das ist alles ein bisschen viel: Die Abwesenheit von Sprache wirkt zunehmend gekünstelt. Die grandiosen Ameisen-Bilder verlieren an Eigenwert und werden als Gleichnis auf die Geschichte der Menschheit instrumentalisiert. Und weil die rassistische Ausbeutung schwarzer Menschen und der Hobbes’sche Krieg aller gegen alle als erzählerischer Hintergrund anscheinend nicht ausreichen, streift das Drehbuch auch noch Parallelen zur aktuellen Pandemie und zu existenziellen Bedrohungen durch Klimawandel und Nuklearenergie. Je komplexer der Film wird, je mehr de Heer will, desto schwächer wird The Survival of Kindness. Das gipfelt leider in einem Finale, das sich entweder zu einem arg um Provokation bemühten Statement versteigt oder – schlimmer noch – den abgegriffensten aller Tricks des Horrorgenres als cleveren Twist verkauft.
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Kommentare
Alexander von Goch
Sie haben den Film nicht verstanden. Zumindest hat man den Anschein, wenn man ihre Kritik liest. Die Gefangene hat keine Chance aus diesem Käfig zu gelangen. Sie verdurstet. In ihrer Agonie entstehen diese Bilder, die ihre Befreiung und ihre Flucht vorgaukeln, aber in alptraumartigen Szenen enden. Bis sie sich ihrem Schicksal ergibt. Und die Agonie im Tod endet
1 Kommentar