Das Salz der Tränen – Kritik
VoD: Der sanfte Killer. In Philippe Garrels neuem Film ist alles wie immer, aber einiges klarer. Das Salz der Tränen ist harsch gegenüber der Feigheit der Männer und doch eigentümlich einverstanden.

Wie gewohnt handelt Philippe Garrel das Kennenlernen so charmant wie zügig ab: Ein Landei in der Hauptstadt fragt die junge Frau an der Bushaltestelle erst nach dem Weg und dann nach dem Date. „Du bist ein Sanfter“, sagt Djemila (Oulaya Amamra) zu Luc (Logan Antuofermo), als sich die beiden im Café gegenübersitzen, meint wohl noch bewundernd, was der Film irgendwann zur Anklage macht. Die sentimentale Klaviermusik will von aufregendem Kennenlernen schon hier nichts wissen, ihr schwant Ungutes, und auch der Erzähler im Voice-over beschränkt sich beim Schließen der Ellipsen mit betont nüchternem Duktus aufs Wesentliche.
Der Unterschied zwischen sanft und zerbrechlich

Sie kann ihn nicht mit nach Hause nehmen, so bleibt es bei winterlichen Umarmungen, Stirnen berühren sich häufiger als Lippen, die sich vielleicht schon bald Liebenden sind erst mal nur Passanten in Renato Bertas Schwarz-Weiß-Halbtotalen des Garrel’schen Spätwerks, schwarze Senkrechten zwischen anderen schwarzen Senkrechten, den Laternen, Pfosten und Bäumen eines unprätentiösen Pariser Stadtteils. Aus dem muss Luc schon bald wieder verschwinden, der Kunsttischler war nur zu einer Aufnahmeprüfung in der Stadt.
Bei Garrel bleibt es selten zu zweit, und wenn doch, dann ist alles ungleich: Sie ist sehr jung und noch Jungfrau, und als ein intimer Raum dann doch mal gefunden wird, will sie das Eine nicht (man könne doch auch sonst was tun), und er merkt da vielleicht, dass er doch nur das Eine wollte. Ein paar Briefe und eine Verabredung am Telefon später wird Djemila jedenfalls vergeblich warten. Irgendwann geht sie runter zum Empfang, bekommt vom alten Portier erniedrigenderweise eine Zigarette, aber kein Feuer – und dann noch gesagt, er habe schon Frauen gesehen, die ihr ganzes Leben auf einen Mann gewartet haben. Im abrupten Schnitt mitten hinein in Djemilas verzweifeltes Gesicht wird endgültig klar: Es gibt einen Unterschied zwischen sanft und zerbrechlich, und er hat mit Macht zu tun.
Die sanfte Diktatur feiger Männer

Steiler als in Garrels letzten Filmen scheint dieses Machtgefälle in Das Salz der Tränen, vor allem zieht es sich dominanter als sonst durch das zusammen mit Jean-Claude Carrière und Arlette Langmann verfasste Drehbuch. Das Schöne bei Garrel ist ja eigentlich, dass hier niemals fertige Menschen sich begegnen und Erfahrungen machen, sondern die Begegnungen und Erfahrungen vor unseren Augen Menschen machen. Die Figuren handeln nicht souverän, sondern machen, so gut es geht, mit, wenn sich da was ergibt. Weder Schicksal noch Zufall, irgendwas dazwischen. Fast erschrickt man deshalb, als die Bekanntgabe einer Schwangerschaft mit Arschlochreaktion dort unnötig strenge Linien zieht, wo sonst alles angenehm diffus ist. Andererseits ist das der springende Punkt: das Leben sich ergeben lassen, neue Wellen so nehmen, wie sie kommen, das muss man sich erlauben können.
Einmal heißt es aus dem Voice-over, Luc habe das Gefühl, seine Feigheit hätte entschieden, nicht er selbst. Während Djemila im Hotel wartete, ist Luc nämlich bei Geneviève (Louise Chevillotte) geblieben, einer alten Schulfreundin, die er kurz nach dem Paris-Abenteuer wiedertraf und mit der er sich sofort hineinstürzte in eine Liebe, die die große nur für eine von beiden ist. Die Feigheit der (natürlich immer: heterosexuellen) Männer, ihre emotionale, ihre sanfte Diktatur, das ist das große Thema im Spätwerk Garrels, und sein neuester Film ist da so deutlich wie nie.
Nichts Neues in der Liebe

Doch scheint sich diese selbstkritische Ader, diese Kritik auch an romantischen Logiken, die das Kino noch immer so viel lieber bestätigt als ihnen auf den Grund geht, mit einer merkwürdigen Form der Altersmilde zu beißen. Das Salz der Tränen ist das alte Lied feiger Männer und verletzter Frauen, vorgetragen, um anzuklagen, schon klar, aber auch um einzufordern und aufzubrechen? Bekommen wir etwas vorgeführt, oder sehen wir nur Ewiges bestätigt?
„Warum hast du nur getischlert und keine eigenen Möbel kreiert?“, fragt Luc seinen Vater einmal. „Ach, bei den Möbeln ist doch alles schon erfunden,“ antwortet der. Und dieses Abwinken scheint auch die Geste von Das Salz der Tränen zu sein. Selbst in der Liebe, dieser Feier des Neuen an sich, scheint es für den Regisseur nichts Neues mehr zu geben. Vielleicht ist Garrels neuester Film dann doch selbst etwas zu sanft und zu wenig zerbrechlich.
Der Film steht bis 21.03.2023 in der Arte-Mediathek.
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