The Sadness – Kritik

Robert Jabbaz' Horrorfilm handelt von einem Virusausbruch der brutalsten Sorte. The Sadness wartet nicht nur mit Gewaltexzessen auf, sondern trifft gleich mehrere Nerven der Gegenwart.

Bereits seit Monaten eilt Rob Jabbaz’ The Sadness ein Ruf voraus, nach dem sich wahrscheinlich jeder Horrorregisseur die Finger leckt. Nach der Premiere auf dem Fantasy Filmfest Deutschland im letzten Jahr startet der als Normenbrecher gehandelte Streifen jetzt ungeschnitten in den deutschen Kinos. Gleich zweimal ist der Film durch die FSK-Zulassungsverfahren gerasselt und wird voraussichtlich durch die SPIO mit dem Siegel „keine schwere Jugendgefährdung“ für den Heimkinomarkt versehen. Aber The Sadness auf seine Rohheit zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht. Unter den Gewaltexzessen brodelt es.

Die Tränen des Virus

Genreüblich beginnt auch hier alles mit einer Zärtlichkeit, die schnell gebrochen wird. Jim (Berant Zhu) erwacht bei morgendlichem Sonnenschein neben seiner Freundin Kat (Regina Lei). Ruhe durchzieht die Einstellungen, ein normaler Tag scheint für das Paar zu beginnen, obwohl die aktuellen Nachrichten beim Frühstück anderes ankündigen. Ein Virus breitet sich aus. Während Wissenschaftler davor warnen, schaltet Jim schon nach den ersten Sätzen ab und plauscht lieber mit dem Verschwörungstheoretiker von gegenüber, der das Virus für eine Erfindung hält.

Kaum hat Jim seine Freundin mit dem Mofa zur U-Bahn gefahren, bricht die Krankheit endgültig aus. Einmal infiziert, kullern den Erkrankten Tränen die Wangen herunter, bevor sich ihre Augen schwarz färben. Danach verlieren sie ihre Hemmungen und ihre Moral – aber nicht ihre Fähigkeit, zu denken. Alle verachtenswerten Gewaltvorstellungen werden präzise am nächstbesten Opfer ausgeübt – alle Gedanken und Dialoge der Infizierten kreisen darum. Wildgewordene Mobs stürmen die Straßen, und der Asphalt bekommt einen neuen Anstrich von herausgerissenen Gedärmen und zerfetzten angefressenen Körpern.

Infizierte radikalisieren sich, legen ihren Fokus auf animalische Triebe, auf Instinkte, sind demnach keine rational agierenden Menschen mehr. Sie löschen unter extremer Gewalt Nicht-Infizierte aus oder übertragen das Virus noch rechtzeitig. Zwei Lager sind das Resultat, und das Fortbestehen der Menschheit mit ihrer Moral- und Normvorstellung wird zum Überlebenskampf.

Visualisierte Fackelrufe

The Sadness ist dabei gesättigt mit aktuellen Diskursen. In den Gewaltorgien sind die Parallelen zu realen Geschehnissen kaum zu übersehen. Sieht man sich Aufnahmen des Kapitol-Sturms in Washington oder der versuchten Reichstagsinvasion in Deutschland an, sind die Infizierten in The Sadness nur eine konsequente Visualisierung etwa der Fackelrufe der Kapitolstürmer oder der Ankündigungen aus verschwörungstheoretischen Telegram-Gruppen, was man mit Schlafschafen oder Regierungstreuen alles anstellen will.

Zugegeben – subtil ist diese Metapher nicht. Dafür kommen zu viel Blut oder Äxte, Vergewaltigungen, sogar eine Heckenschere zum Einsatz. Wenn der infizierte Verschwörungsnachbar dem Protagonisten zwei Finger abschneidet, springt einem die Analogie zur Gesundheitsgefährdung der Gesellschaft durch rasende Corona-Leugner direkt an.

Gleiches gilt für patriarchale Strukturen oder das Regierungsmanagement. In einer Szene steigt Jims Freundin Kat in eine U-Bahn und wird von einem älteren Mann bedrängt. Schon da kann man sich vorstellen, was er anstellen will, nachdem das Virus die U-Bahn erreicht hat und Blutlachen im Waggon zum Ausrutschen einladen. An anderer Stelle wird die Notfallübertragung für eine patriotische Ansprache genutzt anstatt Tacheles zu reden mit der Bevölkerung – wodurch das Virus sogar die Zeit bekommt, die Regierung zu infiltrieren.

Finale zum Schaudern

Mit dieser Art von Metakommentar ist Jabbaz bisher allein auf weiter Flur. Aktuelle Kinofilme spielen selten in der Pandemie, sondern entweder vor ihr oder in einer fiktiven Jetztzeit, in der Corona nicht existiert. The Sadness trifft den aktuellen Nerv daher im doppelten Sinne, wird hier doch nicht nur die Pandemie, sondern auch ihre Wirkung als Radikalisierungsbeschleuniger für die Gesellschaft thematisiert.

Jabbaz zeigt die metaphorisch aufgeladenen Geschehnisse durch die sich abwechselnden Perspektiven seiner beiden Hauptfiguren. Schutz- sowie machtlos fliehen sie in meist weinroten Setpieces vor den ungestümen Horden. Weil der Film selten direkt Stellung bezieht, die Figuren mehr beobachtet und oftmals nicht zum Gegenangriff ausholt, bewahrt er sich seinen flüchtigen Blick auf gesellschaftliche Diskurse.

Interessant ist dann das Finale, in dem es nur eine Dialogzeile von Jim und eine Aktion von Kat benötigt, um eine (freilich überaus offensichtliche) Haltung preiszugeben, die zum Schaudern einlädt. Während Infizierte die Brutalität als Mittel für ihre Gewaltfantasien sehen, sind es die Gesunden, die ihrem Überlebenstrieb mit blutigen Taten Folge leisten müssen. Eventuell unterscheiden sich die beiden Lager nur anhand ihrer blutbeschmierten Gesichter.

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