The Room Next Door – Kritik
Sterben in Primärfarben: Pedro Almodóvar lotet das Thema Euthanasie aus, nähert sich dabei aber auch der Intimität einer langen Freundschaft. Manche Dimensionen des Todes überschminkt The Room Next Door aber auch.

Ingrid (Julian Moore) ist eine bekannte Autorin, die auf einer Lesung überraschend erfährt, dass ihre ehemalig beste Freundin Martha (Tilda Swinton) sich im Krankenhaus befindet. Als Ingrid sie besucht, vertraut Martha ihr an, dass sie an Krebs erkrankt ist. Sie finden erneut zusammen. Die Kostüme, die Bina Daigeler für Martha wählt, bestechen dabei von Anfang an in ihrer Farbstärke. So sehr Ingrid den Tod auch fürchtet, gestorben wird in The Room Next Door in Primärfarben, gelitten in intensivem Pink.
Der ausgeklammerte Film

Der Rhythmus, den Pedro Almodóvar für diese Beziehung findet, ist sehr lebensnah, fühlt in Bildsprache und Dialogführung einer zeitgenössischen Freundschaft nach. Ingrid und Martha telefonieren, spazieren, besuchen und erinnern sich. Die für die späteren Filme von Almodóvar üblichen Rückblenden sind hier alle auf den Anfang ausgelagert, verlieren aber nichts von ihrer Bildwucht und Melodramatik. Kalamiten verlieben sich auf Missionarsreisen. Ein Mann fährt durch die Leere des mittleren Westens, sieht ein brennendes Haus und rennt hinein, um zu retten, was nicht existiert. Er verbrennt vor der Treppe.

All das, was viele thematisch ähnlich gelagerten Filme konventionell auserzählen – die Diagnose durch einen Doktor, das Scouting eines Airbnb, Gespräche mit Nebenfiguren – wird hier weggeschnitten oder im Dialog aufgelöst. Martha und Ingrid sitzen im Park und Martha zeigt sich hoffnungsvoll, was ihre neue Therapie angeht. In der nächsten Szene ruft sie Ingrid an und berichtet, dass sie Metastasen in ihren Knochen hat und nur noch wenige Wochen leben wird. Es ist ein Schnitt, der so drastisch wie menschlich ist.

Exemplarisch dafür ist die Szene, in der Martha Ingrid in ihren Euthanasieplan einweiht. Martha befindet sich in der großflächigen Lobby des Kinos im Lincoln Center. Ihr Blick geht hoch zum Bürgersteig, wandert über die hässliche Betonfassade und die darauf drapierte Film at Lincoln Center-Werbung. Ingrid setzt sich zu ihr. Die Kamera wechselt zu einer Seitenperspektive, um beide gleichzeitig ins Bild zu bewegen. Martha weiht Ingrid in ihren Plan ein, fragt um Hilfe. Sie erklärt, dass Ingrid nicht die erste Wahl war, sie ihre anderen Freundinnen zuerst fragte, doch diese ablehnten. Ingrid überlegt. Der Schnitt wechselt zu Einzeleinstellungen, zeigt alternierend die Gesichter der beiden in Nahaufnahmen. Plötzlich öffnet sich das Bild wieder und wir befinden uns in Marthas Apartment. Der Film, der dazwischen gesehen oder nicht gesehen wurde, ist ausgeklammert. Die Zeit ist still vorangeschritten und das Gespräch wieder zu Marthas ursprünglichen Anliegen gewechselt. Ingrid willigt ein.
Lästige Libido

Was Almodóvar an Zwischenszenen zulässt – Gym-Sessions, Polizeiverhöre, alte Lieb- und neue Freundschaften – arbeitet sich stets diskursiv am Thema Euthanasie ab, findet Parallelen, bietet Alternativen und zeigt Konsequenzen. „I think I deserve a good death“, sagt Martha leise. „People should see this as my way of fighting. Cancer can’t get me if I get it first“, sagt Martha später in einem Anflug von Ärger. Ingrid umarmt sie. Wie schon in Leid und Herrlichkeit (Dolor y gloria, 2019), wie in Almodóvars gesamtem Werk, ist auch die Libido immer da, lästig zwischen der Trauer und dem Tod, aber hier immer aktiv negiert. Almodóvar lässt den Film niemals in eine Liebesgeschichte abdriften, aber schafft es dennoch, die Freundschaft von Martha und Ingrid in all ihrer Intimität darzustellen.

Es geht daher weniger darum, das Thema Euthanasie auf einer moralischen oder spirituellen Ebene auszuloten, sondern um eine Pragmatik des Sterbens. Eine Zeichensprache, die das Unaussprechliche darstellbar macht. Will Martha erst, dass Ingrid neben ihr schläft – in dem wörtlichen Zimmer nebenan – findet sich bald ein anderes Arrangement. Ingrid schläft im Untergeschoss, Martha im Obergeschoss. Sollte Marthas Tür in der Früh nicht offenstehen, bedeutet dies, dass sie ihre Todespille geschluckt hat und Ingrid dem ausgiebig durchgesprochenen Protokoll folgen soll. Es folgen Komplikationen und Missverständnisse, die Almodóvar mit einer humorvollen Trockenheit überzeichnet. Martha vergisst die Pille in ihrem alten Apartment, woraufhin beide noch einmal zurückfahren müssen. Später weht ein Windhauch versehentlich die Tür zu, und Martha kündigt sich als Geist an.
Unerbittlicher Schneefall

Generell lagert Almodovar viel auf die Natur aus. Die Wohnung ist mit großen, modernen Glaswänden ausgerüstet, die die Kamera von Eduard Grau so aufweicht, dass die Protagonistinnen die sie umgebenden Bäume berühren könnten. Vogelgesang mischt sich unter den orchestralen Score. Der unbenutzte Pool schwabt gemächlich im Sonnenlicht. Dreimal zitiert Almodóvar dabei das Ende von James Joyces The Dead, das im Schneefall dieselbe Unerbittlichkeit, aber auch Egalität findet, die auch der Tod in sich trägt:

Yes, the newspapers were right: snow was general all over Ireland. It was falling on every part of the dark central plain, on the treeless hills, falling softly upon the Bog of Allen and, farther westward, softly falling into the dark mutinous Shannon waves. It was falling, too, upon every part of the lonely churchyard on the hill where Michael Furey lay buried. It lay thickly drifted on the crooked crosses and headstones, on the spears of the little gate, on the barren thorns. His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly through the universe and faintly falling, like the descent of their last end, upon all the living and the dead.

Es fühlt sich dennoch so an, als würde Almodóvar damit bewusst die materielle Wirklichkeit des Sterbens überschminken. Ähnlich wie Wes Anderson wäre Almodovar nicht Almodóvar ohne einer Armada von Designern, Innenarchitekten, Kostümbildnern, Malern und Handwerkern, die die Welt seiner Vision angleichen. Martha Tod ist ein Ideal, ist Melodrama, kämpft nur gegen philosophische, soziale oder theologische, aber keine materiellen Widerstände. Die Frage nach Geld, nach der materiellen Grenze von Euthanasie wird nie gestellt, was den Ton hier am Ende doch verfälscht.
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