The Rider – Kritik

Wofür es sich zu überleben lohnt. Chloe Zhao beobachtet in ihrem Rodeo-Film The Rider einen jungen Mann, der nicht mehr tun soll, was er als Einziges tun will.

Das Halfter richten, den Sattel festschnüren. Ganz nah ist die Kamera bei Mensch und Tier. Dieses eingespielte Team, dessen Routine von gegenseitiger Vertrautheit zeugt, sehen wir im nächsten Moment als eine Gestalt durch die weite Steppe ziehen. Den elliptischen Close-Ups werden Totalen in Zeitlupe entgegengesetzt. Der Topos der Freiheit wird vom pathetischen Potenzial der Musik getragen. Den Wind im Rücken spüren, das Glück der Erde. Wie könnte man weiterleben wollen, wenn einem dies verwehrt bliebe. „No more riding, no more rodeo.“ Eine Diagnose, die kein Reiter nach einem Unfall so leicht einsehen möchte.

Riding through the pain...

Um ihr Selbstbild als starke Männer aufrechtzuerhalten, lautet die Devise von Brady (Brady Jandreau) und seinen Cowboy-Kumpels stets: durch den Schmerz reiten. In der Provinz von South Dakota gibt es für die unausgebildeten Twens, die Chloe Zhaos The Rider bevölkern, keine Alternative, als sich in einer Karriere als Rodeo-Held zu versuchen und damit das eigene Leben für etwas Ruhm und Anerkennung aufs Spiel zu setzen. Die eigenen Körper durch die Gegend schmeißen lassen, um mitzupokern um das bisschen Preisgeld, das sie aus ihrer Lage herausholen könnte.

Cause I’m a gambling man: Singend ums Lagerfeuer wird der Zusammenhalt der Jungs getrübt durch ihre Unfähigkeit, sich Niederlagen einzugestehen. Hauptsache wieder Rodeo. Die Artikulation gegenseitiger Fürsprache übergeht tatsächliche Fürsorge. So bestärken sie sich gegenseitig, immer wieder weiterzumachen, auch wenn sie damit alles riskieren. Denn was passieren kann bei diesem waghalsigen Hobby, das ihre Lebenswelt bestimmt, musste ihr Freund Lane längst erfahren: Nach seinem letzten Sturz hat sein Gehirn einen derart großen Schaden erlitten, dass er nun nicht einmal mehr sprechen oder gehen kann.

Keine Perspektive, aber eine Vorstellung

Zhao, die selbst aus dieser Gegend kommt, lässt eine besondere Nähe zu diesem Ort und seinen Personen entstehen, die quasi ihr eigenes Schicksal nachspielen. The Rider setzt der vorgeblichen Perspektivlosigkeit die Weiten des Lakota-Reservats entgegen. Die trockene Fläche der amerikanischen badlands wird zur Seelenlandschaft des Protagonisten. In den dämmerigen Abend- und Morgenstunden erwächst in Brady eine tiefsitzende Traurigkeit erloschener Hoffnung. Mal ganz in Rot, mal in Blau oder Lila, Farbe wird zum tragenden Element. Die Brüchigkeit der Topografie legt Bradys eigene Verletzlichkeit offen. The Rider zeichnet einen erodierten Körper in der Einöde der Steppe nach.

Eine große Narbe am Kopf und eine Metallplatte im Schädel erinnern Brady an diese Verwundbarkeit: Nach einem Sturz und einer schweren Kopfverletzung kann er nie wieder Rodeo reiten, so er weiterleben möchte. Nachdem etwas Zeit vergangen, die Haare gewachsen und die brutale Narbe verdeckt ist, kann er zwar sagen: „I’m healing up.“ Doch trägt er eine Aura der Niedergeschlagenheit mit sich. Im Zwielicht, beim Aufwachen aus schlechten Träumen, sind wir Bradys bewegungslosem Gesicht ganz nah. Der Atem seines Pferdes hallt noch nach, die Geräusche der Umgebung dringen in die Leere. Im schwachen Licht wird seine Haut Teil der Umgebung und bietet so nicht länger Schutz vor dem Außen.

Als müsse er sich ab und zu vergewissern, wer er ist, schaut er sich Internetvideos seiner Rodeo-Wettkämpfe an. Auch seine traumatische Situation stellt sich für uns nicht über Flashbacks her, den Unfall selbst sehen wir nur über sein Handydisplay. Diese Bilder lassen für einen kurzen Moment die Illusion entstehen, alles wäre so wie früher, und die stupide Hartnäckigkeit, mit der an dieser Illusion festgehalten wird, erweist sich als Kraft spendendes Vorstellungsvermögen.

Sturheit als Empfindsamkeit

„Go kill yourself!“ Der unsichere Vater hat keine anderen Worte, um mit der unreifen Entschlossenheit umzugehen, mit der Brady wieder an einem Wettkampf teilnehmen möchte. Emphatisch verfolgt die Kamera dessen Sturheit, die zunächst wie eine Maske wirkt, aber eigentlich eine starke Empfindsamkeit offenlegt. So zeigt sich seine jugendliche Verzweiflung als eine tiefgreifende Identitätskrise. Dem männlichen Unvermögen zu sprechen stellt The Rider Bradys Pferdeflüsterei gegenüber. Höchst einfühlsam spricht er zu diesen scheuen, oft traumatisierten Tieren, auf deren Rücken sich sonst niemand wagen würde.

Wie im neuen Film von Lynne Ramsay wird auch in The Rider Männlichkeit neu verhandelt. Wo A Beautiful Day von einem suizidalen Auftragskiller erzählt, der ein junges Mädchen aus den Fängen krimineller Sexhändler und Kinderschänder befreit, unterlaufen auch bei Zhao traumatisierte, empfindsame Körper das vermeintlich unverwundbare Männerbild. The Rider entscheidet sich gegen Mut und für Umsicht. Dass es nicht nur um das eigene Ego geht, erscheint als Lektion dieses ereignislosen Films. Die anfängliche Haltung der Rodeo-Reiter erfährt ihre Umkehrung. „Ride through the pain.“ Das Leben als schmerzhafter Ritt, dem man sich stellen muss.


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