Auferstehen – Kritik
Grobe Jungs üben sich in transzendentalem Gesang. In Auferstehen erzählt Cédric Kahn von einem Ex-Junkie, der zu Gott findet – und gibt der Religion dabei ihre Sinnlichkeit wieder.

Wenn das erste Mal herzlich losgelacht wird, ist schon der halbe Film vorbei. Die Jungs aus einem katholischen Heim für Ex-Junkies proben gerade ein Stück, in dem Jesus Lazarus von den Toten auferweckt. Ein bisschen hat diese biblische Episode auch mit ihnen selbst zu tun. Sie haben mit ihrem alten Leben abgeschlossen, um zu neuen, besseren Menschen zu werden. Zurückgezogen in den französischen Alpen gibt es für sie von nun an nur noch Gott und die Ersatzfamilie. Es ist ein Alltag fern von allen Versuchungen, strukturiert durch harte körperliche Arbeit und das wiederholte Beten. Die Jungen leben den totalen Verzicht, weil es für sie als Süchtige die einzige Alternative ist. Und wenn sie dann wie in diesem Moment kurz kichern und herumalbern, dann ist das nur ein flüchtiger Augenblick der Hingabe, auf den sofort wieder jene Selbstbeherrschung folgt, die das Fundament ihrer Wiedergeburt ist.
Kampf den eigenen Schwächen

Auferstehen handelt von dem heroinsüchtigen Thomas (Anthony Bajon), der sich nach anfänglichen Schwierigkeiten in diese Gemeinschaft einfügt. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird er nicht nur zu Gott finden, sondern auch zu sich selbst. Doch genau wie der Film von einer persönlichen, durch Rückschläge und Zweifel erschütterten Reise erzählt, rückt er auch das soziale Gefüge ins Zentrum, das diese Entwicklung erst ermöglicht. Das Unerhörte ist, dass sich Regisseur Cédric Kahn weigert, die Heilsversprechen des Christentums zu demaskieren. Sein Blick auf die Figuren ist wertfrei und gerade dadurch zutiefst menschlich.

Auch wenn der Film vielleicht selbst nicht glaubt, so zeigt er doch sehr genau, welch stabilisierende Rolle die Religion in einer Gesellschaft einnehmen kann. Die Jungen aus dem Heim kommen aus schlechten Verhältnissen. Sie sind ein wenig rustikal mit ihren rasierten Schädeln, den Tattoos, die eher nach Knast als nach Lifestyle-Statement aussehen, und ihren grob geschnittenen, teilweise auch vernarbten Gesichtern. Aber sie wirken dabei eher sanft als aggressiv. Der Kampfgeist gilt nicht den Anderen, sondern nur den eigenen Schwächen. Und doch gibt es auch eine selbstlose Bereitschaft, den anderen zu helfen, eine bedingungslose Brüderlichkeit und Nächstenliebe, die diese Gemeinschaft überhaupt erst zum Funktionieren bringt. Der Glaube ist in Auferstehen ein Mittel, Ordnung in ein unaufgeräumtes Leben zu bringen und diese Ordnung schließlich auch zu bewahren.
Sinnliche Religion

Kahn erzählt auch von einer irdischen Liebe, und so ganz lässt sie sich nicht von der religiösen Erweckungsgeschichte lösen. Die Archäologie-Studentin Sybille (Louise Grinberg) bringt den ausgerissenen Thomas zurück ins Heim, während wir den Bach-Choral „Bist du bei mir, geh ich mit Freuden“ hören. Das Mädchen ist jedoch keine idealisierte Marienfigur, sondern eher eine Art Schutzengel, der zeigt, dass im Glauben auch Raum für das Erotische ist. Später lässt der Film Hannah Schygulla eine Nonne spielen, und man bekommt das Gefühl, die mit zunehmendem Alter immer noch ein wenig entrückter säuselnde Fassbinder-Veteranin hätte nie etwas anderes gespielt. Gerade bei ihr zeigt sich der Hang zur sexuellen Verklärung, der im christlichen Ritual stecken kann, ohne dass dabei die repressiven Tendenzen der Kirche geleugnet würden. Wenn man Schwester Hannah beobachtet, wie sie heimlich vor sich hin betet, wirkt es fast, als würde sie gerade masturbieren.

Der Film erscheint auch deshalb so ungewöhnlich, weil er der Religion jene Sinnlichkeit zugesteht, die einen maßgeblichen Teil ihrer Verführungskraft ausmacht. Gerade weil die Jungen sich in fast militärischer Disziplin üben müssen, keine Drogen oder Frauen haben und es in den Bergen Spaß ohnehin nur in homöopathischen Dosen gibt, ist die Rolle der Musik so bedeutend. Es sind ungemein andächtige und berührende Momente, in denen die groben Jungs ihre zarten Stimmen erheben und im transzendentalen Gesang ein Ventil für ihre unterdrückte Begierde gefunden haben – so wie vermutlich schon die vielen Mönche Hunderte von Jahren vor ihnen.
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