The Plough – Kritik

Philippe Garrel dreht mit seinen drei Kindern einen Film über eine Puppenspieltruppe.

Kein Witz, nirgendwo: Oma pinkelt hinter einen Grabstein, ein Trauergast kommt zu spät, aber dafür im Vollsprint zur Beerdigung gerannt, eine Handpuppe spricht die ersten Worte am offenen Grab. Als wäre das Familienporträt The Plough (Le Grand Chariot) eine quirky schwarze Komödie, lässt Philippe Garrel ausgerechnet in der Szene der höchsten tragischen Zuspitzung die Sau raus.

Puppenspiel gegen den Tod

Doch sind diese Momente nicht nur mit größtmöglichem Ernst in Szene gesetzt, sie ergeben sich auch ganz organisch aus der Handlung des Films: Der Tod ihres Sohnes beschleunigt nun einmal Großmutters (Francine Bergé) Weg in die Demenz; der angerannt kommende Freund der Familie Pieter (Damien Mongin) ist nun einmal ein ziemlicher Tunichtgut, der nicht nur die Beerdigung, sondern auch eine große Karriere als Maler verpassen wird; und der Verstorbene (Aurélien Recoing) war nun einmal Leiter einer Puppenspieltruppe. Die hinterbliebenen Kinder Louis, Martha und Lena, die selbst Teil der Truppe sind, verlieren also nicht nur ihren Vater, sondern auch ihren künstlerischen Leiter.

Für die Trauer hat The Plough keine Zeit: Das Tolle bei Garrel ist ja ohnehin, dass unabhängig von der Fallhöhe kein Sturz einfach mit dem Aufprall endet, sondern immer genügend mit sich reißt, um den Plot voranzutreiben; die schwarzen Löcher seiner Filme sind stets produktiv. Und hier ist die zumindest laut Film erste Reaktion auf den Tod des Puppen-Patriarchen ein trotziges neues Puppenspiel über den Tod, der besiegt wird. Aus seiner Erstaufführung speist sich eine der vielen schönen Performance-Sequenzen, in denen Renato Bertas so souveräne wie lebendige Kamera sich stets mehr als für die Puppen für die Puppenspieler*innen interessiert, die hinter der Kulisse angemessen selbstergriffen in ihren Figuren aufgehen, zwischendurch mal ein Schnitt zu Kindern mit weit aufgerissenen Augen.

Keine Vergänglichkeit, keine Nostalgie

Das Puppentheater als Familienaufstellung, das ist natürlich ein metaphorisches Sonderangebot, das hier auch noch biografisch aufgeladen ist. Denn Louis, Martha und Lena werden von Garrels Kindern Louis, Esther und Lena gespielt, und so scheint in The Plough auch eine Reflexion über das eigene Ableben und Nachleben durch. Doch zum Glück ist der Film weit entfernt davon, selbstbezügliche Fragen von Vergänglichkeit und der eigenen Familie ins Zentrum zu stellen, ebenso weit entfernt ist er von einem bloßen Klagelied über das gute alte verschwindende Handwerk, auch wenn es der Truppe nach dem Ableben ihres Leiters nicht sonderlich gut ergeht: Dem ältesten Sohn Louis wird erst in Abwesenheit seines Vaters klar, dass Puppen nichts mehr für ihn sind, Martha und Lena halten den Laden zu zweit am Laufen, solange es noch irgend geht.

Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs

Nebenbei befinden sich alle weiterhin in einem Film von Philippe Garrel, dürfen sich also amourös verstricken, und die Männer können nicht anders, als den Frauen zu schaden. Gerade Pieter ist eine fürs Garrel’sche Spätwerk typische Figur: ein begehrter Mann, der einem Unabhängigkeitsideal hinterherhechelt und damit diejenigen beschädigt, die sich gegenseitiger Abhängigkeiten sehr bewusst sind. So schlägt er, obwohl er dringend Geld benötigt, ein Angebot aus, eines seiner Bilder zu verkaufen, weil er es mit vollem Künstlerstolz für noch nicht fertig erachtet, und bringt seine Freundin damit endgültig zur Trennung und sich zum Nervenzusammenbruch.

Es ist diese Ebene, die mich in Garrels Filmen trotz der handwerklichen Meisterschaft, trotz der grandiosen Schauspielführung, trotz der feinen Komik, die niemals einfach nur aus gut geschriebenen Dialogen besteht, sondern immer das Bild für ihre Vollendung benötigt, stets etwas ratlos zurücklässt. In den gender politics der (Post-)Nouvelle-Vague-Tradition, aus der Garrel kommt, waren Cinephilie und Chauvinismus kaum voneinander zu trennen und Frauen häufig genug Deko wie Spielmaterial männlicher Identitätskrisen und -findungen. Ein wenig mutet es zwar an, als würde Garrel diese Tradition reflektieren wollen, indem er etwa die Geschlechterklischees nicht setzt, sondern markiert. Zugleich ergehen sich die entsprechenden Beziehungen noch immer in einem dieser Tradition eigenen versöhnenden Fatalismus: So sind sie nun mal, die Männer und die Frauen, sie tun sich weh, aber erlöst werden sie trotzdem.

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