The Painted Bird – Kritik

VoD: Ein jüdischer Junge wird während des Zweiten Weltkriegs irgendwo in Osteuropa von der einen Obhut in die nächste geschleudert – grausam wird es immer. Doch Václav Marhouls dreistündige Tortur The Painted Bird ist mehr als nur eine Reise ins Herz der Finsternis.

Zu Beginn verbrennt ein weißer Iltis, und ein Schiffchen mit weißen Segeln fährt den Bach hinab. Doch noch zwei Stunden wird es dauern, bis der namenlose Junge (Petr Kotlár) seine Unschuld vollends verliert: Von der nymphomanen Labina (Julia Valentova) um seine Jungfräulichkeit gebracht, tötet er seinen Nebenbuhler, einen Ziegenbock. Derartiges stellt in der Welt, die Václav Marhoul in The Painted Bird (Nabarvené ptáče) präsentiert, eine Anpassung an den Gang der Dinge dar. Auch wir, das Publikum, werden erschreckend schnell abstumpfen bei dem, was wir in diesem Film erleben.

Der Junge ist Jude, zur Zeit des Zweiten Weltkrieges irgendwo in Osteuropa. Bald stirbt die Tante, bei der ihn seine geflohenen Eltern untergebracht hatten. Fast drei Stunden und fast zwei Jahre wird er in nach seinen verschiedenen ‚Vormündern‘ benannten Episoden Grausamkeit auf Grausamkeit erfahren, mitansehen und später auch verüben. Fast jede dieser Figuren wird ihn und andere auf ihre Weise ausnutzen und misshandeln. Da ist der Müller (Udo Kier), der seinem Knecht aus Eifersucht die Augen ausschabt, und Garbos (Julian Sands), der den Jungen sexuell missbraucht und von ihm dafür in eine Grube voller Ratten gerissen wird. Für jede Figur ist der Junge aus einem anderen Grund ein „painted bird“, wie jener Vogel mit bemalten Flügeln, der in einer Episode von seinen Artgenossen zerfetzt wird. Weil er Jude ist, weil er jung ist, weil er allein ist; weil er der andere und der Schwächere ist.

Nazis als Zivilisationsträger

Marhouls Film, eine Adaption des Romans von Jerzy Kosiński, ist mehr als eine Reise ins Herz der Finsternis und bewegt sich zivilisatorisch nicht gradlinig rückwärts. Dem großmütterlichen Heim der Tante mit Sauberkeit, Beethoven und Gaslampe folgt zwar das Kräuterweib und mit ihr Gewalt, Mystik, Natur und Krankheit. Doch nach Mühle und Vogelfängerhütte finden wir uns in Stadt, Kirche und Militärlager wieder. Nachdem wir einige Zeit im Dickicht des Waldes und den mittelalterlich anmutenden Dörfern verbracht haben, erscheinen uns die Nazis mit ihren Motorrädern, Autos und Flugzeugen beinahe als Zivilisationsträger. Die Grausamkeiten nehmen jedoch eher noch zu und gipfeln in der militärischen Auslöschung eines Dorfes.

Ambivalente Momente der Zufriedenheit bestehen im prekären Kontrast zur brutalen Normalität. Ruhe finden wir etwa in einem Scharfschützennest in den kurzen Minuten vor den ersten Schüssen auf Zivilisten. Doch sind selbst diese freundlich daherkommenden Szenen bald geprägt von einer unsicheren Ahnung (die immer mehr zur Gewissheit wird), dass gleich alles ins Schreckliche umschlägt. Tanz und Gesang in einer Wirtschaft sind mit einer solchen Intensität gefilmt, dass einem angst und bange wird. Kaum nötig zu erwähnen, dass auch diese Szene wieder in einer Tortur endet.

Die Scham der Kamera

Während in Elem Klimows Komm und sieh (Idi i smotri, 1985), dessen Hauptdarsteller Alexei Kravchenko auch hier auftritt, die filmische Form den Krieg in einer Rückwärtsmontage ungeschehen machen soll, leistet diese Form auch in The Painted Bird das, was eigentlich nicht mehr möglich ist: Aller filmischen Realität zum Trotz bewahrt sie einen Rest an Pietät und Grazie, den wir entweder als humanistischen Hoffnungsschimmer oder zynische Verblendung lesen können. Das Schwarz-weiß der Bilder entzieht dem Film Wärme und Realismus und verleiht den Gesichtern, Räumen, Landschaften, Details und Schlachten gleichermaßen eine Schönheit und Größe, die im Kontrast zu den Gräueln fast ebenso schwer zu ertragen sind wie diese.

So explizit viele Szenen sind, so verschämt blickt die Kamera an anderen Stellen weg oder blendet ab. Diese Zurückhaltung delegiert nicht einfach das Geschehen an die Publikumsfantasie oder dient gar dem Kinderschutz, sie ist Teil der Haltung von The Painted Bird. Komm und sieh zog viel seiner erschütternden Wirkung aus dem schreckentstellten Gesicht seiner adoleszenten Hauptfigur, das unabwendbar im Mittelpunkt der Inszenierung stand. Größte Bedeutung hatte der kindliche Wunsch nach Wiedergutmachung. Marhoul dagegen zwingt uns immer etwas Distanz auf, eine vermeintlich erwachsenere Haltung im Wechsel von Ertragen und Abwenden.

Schwer anzusehen und schwer zu fassen ist dieser Film. Was er uns zeigt, ist denkbar simpel in seiner Grausamkeit und zugleich in jeder Hinsicht herausfordernd. Von den Fragen, die er aufwirft, ist die quälendste die, ob hinter all diesen hasserfüllten Blicken etwas schlummert, was man einen Menschen nennen möchte.

Der Film steht bis 18.03.2024 in der 3Sat-Mediathek.

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