The Old Oak – Kritik
„Solidarity, not charity“. In seinem möglicherweise letzten Film lässt Ken Loach eine Gruppe syrischer Neuankömmlinge die Stammkundschaft des Pubs The Old Oak entzweien.

Bei Jean-Luc Godard hieß es einst, es gehe darum, „politisch Filme machen“, mit den Bildern, in der Form zu denken – und nicht um Filme über politische Themen. Ken Loach, sieben Jahre nach Godard geboren, befindet sich wohl eher auf der anderen Seite des Spektrums. Politisch sind seine Filme erstmal auf inhaltlicher Ebene. Klassische Working-Class-Themen stehen in seinem Schaffen im Vordergrund, lebensnah und sozialrealistisch von links beleuchtet. In The Old Oak, laut eigener Aussage Loachs vermutlich letzter Film, ist das erst einmal nicht anders. In einem ehemaligen Grubendorf im Nordosten Englands ist ebenjene Working Class numerisch stark vertreten, tatsächlich scheint kaum etwas außer ihr übriggeblieben zu sein, an einem Ort, der schon optisch zum Wegziehen einlädt.
Solidarität statt Almosen

Eine andere Gruppe kommt gerade erst an: In der Eingangssequenz des Films fährt ein Bus syrischer Geflüchteter in den Ort ein. Die Probleme sind vorgezeichnet, die Neuankömmlinge entzweien die ‚heimischen‘ Arbeiter. Wir haben ja selbst nichts, schallt es von der einen Seite, während die andere sich an einer Willkommenskultur versucht. Im Zentrum des Ganzen steht der titelgebende Pub The Old Oak und dessen Besitzer TJ (Dave Turner), auch er von Schicksal und Wirtschaft gebeutelt, aber der Willkommenskultur-Fraktion angehörig. „Solidarity, not charity“ wird zu seinem Motto, als er beginnt, gemeinsam mit den syrischen Familien kostenloses Essen für die gesamte Nachbarschaft zuzubereiten. Denn „when you eat together, you stick together“, wie es auf einem im Pub platzierten Blechschild heißt.
Diese Kalendersprüche lassen bereits ahnen, dass Loach seine Anliegen in The Old Oak nicht gerade durch die Blume kommuniziert. Das muss er auch nicht, so hatte diese direkte Erzählweise etwa in Loachs letztem Film Sorry We Missed You (2019) durchaus seinen Reiz, weil Loach durch die symbolische Figurenkonstellation Machtdynamiken und Widersprüche zu fassen bekam, also den Überschlag vom Individuellen aufs Systemische beleuchtete, anstatt in rein moralischen Kategorien zu agieren.
Abwesenheit des Politischen

In The Old Oak wird die Unterkomplexität der Repräsentation aber vor allem auf Seiten der Geflüchteten problematisch. So werden diese – vor allem Fotografin Yara (Ebla Mari), die als Vertraute TJs maßgeblich am Essens-Projekt beteiligt ist – mitunter als das Gute in Person porträtiert, eine Darstellung, die mit der Figur des ‚guten Migranten‘ klüngelt, dessen gesellschaftliche Teilhabe kaum mehr politische Aufgabe, sondern Angelegenheit der Gutmütigkeit der Zivilgesellschaft ist.
Andererseits kann gerade diese Abwesenheit des Politischen dem Film auch als desillusionierter Kommentar ausgelegt werden. So wird die englische Kleinstadt nicht nur als weitestgehend verlassen, sondern politisch vergessen dargestellt. Institutionen, an die man sich wenden könnte, gibt es keine mehr, selbst das Abschließen einer ordentlichen Versicherung ist etwas für Gutverdiener geworden. Die Grundstückspreise sinken, weswegen der Ort eben als günstige Option zur Unterbringung Geflüchteter dient. Sich ohne Sicherheitsnetz balancierend selbst oder gegenseitig helfen, andere Optionen scheint es nicht zu geben.
Falsche Tränen

In diesem Bereich des Zwischenmenschlichen aber mag sich in The Old Oak kein komplexeres Bild ergeben als das von herzensgut gegen kurzsichtig, Solidarität gegen Ressentiment. Nicht nur narrativ ist die systemische Ebene abwesend, auch der Film thematisiert kaum Zusammenhänge – oder löst diese in weiteren Sprüchen auf: Die Leute träten halt nach unten, weil das leichter ist.
Natürlich ist gegen die Botschaften, die Loach betont, nichts einzuwenden. Nett sein, zusammenkommen, Vorurteile abbauen – schön, gut und richtig. Loachs utopischer Gestus appelliert ans Herz, was sich auch im Soundtrack widerspiegelt, der klare emotionale Marker setzt. So funktioniert The Old Oak auf einer affektiven Ebene, doch den hervorgerufenen Tränen haftet etwas Falsches an. Die Bilder verschwimmen fast, weil der Film zu nah rückt, um wirklich noch etwas erkennen zu lassen.
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