Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall – Kritik

Auch wenn diesmal kein Soju fließt, sondern Makgeolli, weckt auch Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall das Gefühl des ewig Gleichen. Doch durch ihre Ähnlichkeit entstehen zwischen Hong Sang-soos redseligen und oft ähnlich besetzten Filmen Echos, die jeden einzelnen von ihnen bereichern.

Es beginnt meist mit der Begegnung zweier Leute, oft alte Freunde, die sich nach geraumer Zeit wiedertreffen. Sie werden reden und trinken. Dazwischen kommt es zu Nebensächlichkeiten wie Sex. Oder jemand entkleidet sich betrunken vor flüchtigen Bekannten. Oder eine Katze läuft durch den Schnee. Vor allem aber sitzen Leute nebeneinander oder einander gegenüber und reden. Je mehr sie reden, desto mehr offenbart sich, was sie und was ihre Beziehungen untereinander ausmacht. In langen Einstellungen klebt die Kamera dabei an ihnen – und doch klaffen zwischen den genau dokumentierten Einzelteilen riesige Lücken. Zuweilen wird sich einer Form von Katharsis und Auflösung angenähert, nie wird sie erreicht. Das Kino Hong Sang-soos ist damit ein offenes und deutungsreiches.

Kein einziger Schauspieler neu besetzt

Auch Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall (So-seol-ga-ui yeong-hwa) funktioniert nach genau diesem Muster und unterstreicht, dass Hong immer wieder den gleichen Film dreht. Schriftstellerin Kim Jung-hee (Lee Hye-yeong) sucht erst eine alte Freundin (Seo Young-hwa) auf, die Seoul verlassen hat. Beim anschließenden Sightseeing begegnet sie zufällig dem Regisseur Hyojin (Kwon Hae-hyo) und dessen Frau (Cho Yun-hee). Zu dritt treffen sie wiederum Schauspielerin Kil-soo (Kim Min-hee). Während Jung-hee immer wieder mit emotionalen Tiraden die Bekannten vergrault, schafft sie es, Kil-soo zu überreden, gemeinsam einen Film zu drehen. Nicht ohne zuvor in einer Gruppe zusammenzusitzen und Unmengen an  Makgeolli zu vertilgen.

Das Gefühl des ewig Gleichen wird noch dadurch unterstrichen, dass Hong wieder einmal nicht einen Schauspieler besetzt, mit dem er noch nicht gedreht hat. Manche im Cast sind schon seit Jahrzehnten Teil seiner Stammbesetzung, manche sind erst seit ein, zwei Filmen dabei. Kim Min-hee beispielsweise gibt nicht das erste Mal eine Schauspielerin mit problematischem Verhältnis zu einem Regisseur, Ki Joo-bong spielt abermals einen etwas lottrigen Poeten. Indem sich die Rollen gleichen, entstehen Echos zwischen den Filmen, die jeden einzelnen über die eigentliche Handlung hinaus bereichern. Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall ist, je nachdem ob man ihn als ersten Hong-Film überhaupt sieht oder als neuen Beitrag zum Gesamtwerk, schlicht ein anderer Film. In keinem Fall besser oder schlechter, aber definitiv anders.

Eine dicke Schneeschicht über allem

Bestimmt wird dieser Film nun von Leuten, die ihren Zenit überschritten haben. Die mit ihrer Karriere abgeschlossen haben oder unter Blockaden leiden, die sich über verpasste Chancen unterhalten, über Sackgassen, in denen sie selbst stecken oder es anderen unterstellen. Zu diesen problematischen oder auch grundsätzlich scheiternden Versuchen einer zwischenmenschlichen Annäherung, von denen Hongs Filmen immer handeln, gesellen sich nun noch die Widrigkeiten gesellschaftlicher Regelungen – Mund-Nasen-Masken, Rauch- und Essverbote –, die die Vereinsamung, Entfremdung und Orientierungslosigkeit der Figuren noch verstärken.

Der bisher größte Bruch in Hongs Gesamtwerk ist der Wechsel vom analogen zum digitalen Film. Die inzwischen hyperreale Schärfe steht den Filmen dabei sehr gut zu Gesicht. Die stets schon herrschende Kälte ist nun noch klirrender. Die Unbeholfenheit der Protagonisten in der dokumentarischen Klarheit noch deutlicher ins Bild geschrieben, die Menschlichkeit noch mehr in eine banale, unglamouröse Welt gesteckt. Und das Schwarzweiß von Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall wird zudem noch von so starken Kontrasten beherrscht, dass die Details wie weggefressen erscheinen. Als ob eine dicke Schneeschicht über allem liegt.

Ein unwahrscheinlicher Funken Wärme

Eine andere wiederkehrende Eigenschaft der Filme ist, dass sie über Brüche strukturiert werden. Mal legt mittendrin ein Schnitt auf eine im Kino sitzende Figur nahe, dass alles Bisherige ein Film im Film war. Oder das Geschehene geschieht einfach nochmal – mit einer Handvoll Variationen. Oder es sind Rückblenden, die das Jetzt in ein anderes Licht rücken, die dem Film durch das Pendeln zwischen damals und heute eine feste Form geben. Und wenn sie wegfallen, lassen sie den Film in Leere laufen. Oder es wird zwischen Männern und Frauen, zwischen Verlassenden und Verlassenen hin und her gewechselt.

Da sich dies- und jenseits der Brüche aber alles um die gleichen Motive und Erlebnisse dreht, entstehen wiederum Assoziationen und damit Echos in den Filmen. Wir haben es dabei mit einem Kino des Bedauerns und Bereuens zu tun, weil immer wieder zu sehen ist, dass es anders hätte laufen können, dass alles nicht so hätte kommen müssen. Weil zu sehen ist, weil darüber geredet wird, weil im Alkohol ertränkt wird, was alles schiefgelaufen ist. Andererseits ist es aber auch ein Kino der Möglichkeiten, in dem nichts feststeht und in dem der Zuschauer genau so viel Einfluss hat wie der Regisseur und Drehbuchautor Hong Sang-soo, der es genießt, das Gleiche immer wieder geschehen und variieren zu lassen. So wie er sich ausprobiert, so kann der Zuschauer mit den Filmen spielen.

Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall besitzt nun aber keine Rückblenden und großen Brüche. Am Ende ist (wahrscheinlich) der Kurzfilm von Schriftstellerin Jun-hee zu sehen, aber ansonsten folgen wir einer mehr oder weniger geradlinigen Geschichte, die aus vereinzelten Momenten besteht, aus vereinzelten Menschen, die sich noch so oft in Gesellschaft befinden können und doch allein bleiben. Wie bei Hotel by the River (Gangbyeon hotel, 2018) scheinen wir an einem Endpunkt angelangt, in dem keine Wärme mehr möglich ist, in dem die herzliche Absurdität dieses Kinos sich auf ein Minimum beschränkt, in dem es keinen großen Bogen mehr gibt, sondern nur noch banale Fragmente. Und doch ist es der naive, simple Kurzfilm, der als kleiner Flecken Einfachheit doch wieder die Wende hinbekommt, dass Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall kein (nur) deprimierender Film ist, sondern einer, dem es mit seiner ständigen Kälte doch um diesen unwahrscheinlichen Funken von Wärme geht.

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