The Nightingale - Schrei nach Rache – Kritik
DVD: Eine Strafgefangene und ihr Aborigene-Führer schlagen sich in Jennifer Kents historischem Rape-and-Revenge-Film durch die tasmanische Wildnis. So einig sich die beiden in ihrem Hass auf die englische Kolonialmacht sind, so uneins sind sie sich darüber, wer mehr Leid ertragen hat.

Clare (Aisling Franciosi) stammt aus Irland. Als Waise musste sie sich schon als Kind alleine durchschlagen. Wegen einer Straftat ist sie in den 1820er Jahren in die Strafkolonie Australien gekommen, genauer gesagt ins heutige Tasmanien, wo sie zwar nicht im Gefängnis sitzt, aber dennoch mehr Leibeigene als freier Mensch ist. Armeeoffizier Hawkins (Sam Claflin), der sie in der Hand hat, weil er über ihre Rehabilitation entscheidet, missbraucht sie regelmäßig. Aidan (Michael Sheasby), der Ehemann, den sie trotz alledem fand, wird von Hawkins und seinen Lakaien im Streit getötet. Das gemeinsame Baby von Clare und Aidan gleich mit.

Billy (Baykali Ganambarr) ist Aborigine. Auch er ist Waise, im Gegensatz zu Clare bekam er aber eine Erziehung. Gewaltvoll sollte ihm die westliche Zivilisation eingetrieben werden. Als Erwachsener fühlt er sich nun von seinen Wurzeln getrennt, mit den „shit ways“ der Weißen kann er aber genauso wenig anfangen. Schon allein, weil er ständig erlebt, dass er in ihren Augen immer potenzieller Vergewaltiger und Verbrecher oder gar ein Tier bleibt. Um ihn herum werden alle Menschen, denen er sich verbunden fühlt, wie Freiwild getötet. Als Tagelöhner muss er sich durchschlagen, unter dem Radar all der Leute mit Gewehren bleiben, für die seine Tötung kaum mehr wäre als das Zertreten einer Kakerlake.
Abneigung am Lagerfeuer

Clare und Billy sind die Protagonisten von The Nightingale und zusammen auf dem Weg durch die Wildnis Tasmaniens. Sie hat ihn als Führer angeheuert, damit er sie zu Hawkins und ihrer Rache führt. Eine reine Zweckgemeinschaft bilden sie. Auch weil Clare in ihm eben nur einen potenziellen Vergewaltiger und Verbrecher sieht und Billy in ihr nur eine weitere Vertreterin des verhassten Westens. Wenn beide sich nun am Lagerfeuer gegenübersitzen und ihrer gegenseitigen Abneigung Ausdruck verleihen, dann keifen sie sich ihre Lebensläufe entgegen, als ginge es darum zu bestimmen, wen es schlechter getroffen hat. Wer mehr Grund hat, diese Welt im Allgemeinen und die Kolonialmacht England im Speziellen zu hassen. Das privilegierte Gegenüber – das sorglose Tier beziehungsweise die weiße Unterdrückerin – soll sich mal nicht so haben.

Zwei nicht deckungsgleiche, aber doch parallele Biografien stehen sich gegenüber, eine Parallelität, die der Film immer wieder betont – auch durch die Entführung und Vergewaltigung einer Aborigine durch Hawkins und seine Untergebenen, wobei deren Kleinkind alleine in der Wildnis zurückgelassen wird. Doch die Macht der rassistischen Ideologie, mit der die Kolonialherrschaft ihre Taten (Ausbeutung, Umerziehung, Genozid) legitimiert, lässt die beiden ihre Differenzen deutlicher erkennen als ihre Gemeinsamkeiten. Nur langsam nähern sich Clare und Billy also an, während sie nicht nur ihren Peinigern, sondern auch der Natur ihrer Unterdrückung auf den Fersen bleiben.
Kammerspiel im Dschungel

Während ihrer gemeinsamen Reise bleibt Clares Leid aber ein individuelles, das noch dazu mit der Zeit verblasst. Lediglich die nächtlichen Albträume reißen die Erinnerungen aus der Verdrängung heraus, die diese Suche nach Vergeltung eben auch ist. Billys Leid ist hingegen ein kollektives. In dem Maße, wie Clare Billy kennenlernt, wird das schrecklich beiläufige Morden an den Aborigines, ihre zunehmende Auslöschung, für sie sichtbar und rückt folglich ins Zentrum. So kann sie einerseits Individuum bleiben, andererseits verschwindet dahinter ihre systematische Entwertung als Irin. Oder anders: Wenn sich beide am Ende gegenüberstehen, hat die white guilt gewonnen, wo es doch eigentlich nicht darum gehen sollte, wer mehr und wer weniger Leid erträgt.

Der Rape-and-Revenge-Film The Nightingale ist dabei sehr ruhig. Ein Kammerspiel mit zwei Figuren, die durch Affekte in den Dschungel getrieben werden und dort einen anderen Blick auf ihre Umgebung bekommen. Trotz allen Details bei der Gewaltdarstellung geht es deshalb nicht um eine physische Erfahrung der Brutalität dieser Welt, sondern um eine spirituelle Reise, bei der die Gejagten immer mehr zu Dämonen werden und die Verfolger mit sich ins Reine kommen. Die tasmanische Wildnis ist dabei das stärkste erzählerische Mittel des Films. Dass nicht das Outback gewählt wurde, nicht die gängigen Bilder, sondern etwas, das fast ein mitteleuropäischer Urwald sein könnte, ist eine der besten Entscheidungen von Regisseurin Jennifer Kent (Der Babadook, 2014). Statt drückender Hitze finden sich hier Nässe, Schwüle und Kälte – und eben frische Luft. Eine Weite beherrscht den labyrinthischen Dschungel von The Nightingale, die mehr Chance als Bedrückung ist.
Verschwindende Perspektiven

Im Kleinen findet sich das Problem des Films aber in seinen Vergewaltigungsszenen wieder. Viele der Möglichkeiten, eine solche Gewalttat zu zeigen, werden genutzt. Mal zeigt die Kamera lediglich das Gesicht des Täters, mal nur die Decke aus einer wankenden, traumatisierten Perspektive, mal Nahaufnahmen unzusammenhängender Details. In gleicher Form schneidet The Nightingale unterschiedliche Problemlagen an. Mal gibt es den genaueren Blick auf den Täter, der seine Probleme an anderen abreagiert – bevor er jede zivilisatorische Beschränkung verliert und satanischer Machtmensch wird, der über alles Schwächere herfällt. Mal sehen wir die Verführung eines Jungen zur toxischen Männlichkeit. Mal Clares Ignoranz gegenüber den Ureinwohnern, wobei auch eine Verbrüderung mit den Machtstrukturen sichtbar wird, um nicht das Ende der Hackordnung zu sein. Mal das Wirken des Rassismus, wenn Clare und Billy immer wieder vor einer Berührung zurückschrecken und erst in einer ausgestellten „beiläufigen“ Geste ihre Hände berühren. Mal die Traumata, welche die gewaltvolle Rache statt Befriedigung hervorruft.

All diese verschiedenen Perspektiven verschwinden aber immer wieder hinter dem dominierenden Blick auf die Opfer. Die Kamera zeigt bei den Vergewaltigungen bevorzugt die Gesichter von Clare und ihrer Aborigine-Leidensgefährtin sowie die Qual, die sich darin abzeichnet. So kann The Nightingale tatsächlich eine sehr versöhnliche Geschichte erzählen, da eben alles Weitere hinter dieser Perspektive zurücktritt und fallen gelassen wird. Eine Perspektive, mit der Clare und Billy zueinanderfinden können, da sie sich in ihrem Opfersein als gleich erkennen. Mehr möchte The Nightingale dann auch nicht. Die spannende Unfokussiertheit, die Weite der Erzählung, all das gerinnt dann doch zu einer wenig spannenden Eindimensionalität. Oder wie ein User so treffend auf der Filmplattform Letterboxd schrieb: „A bit like Driving Miss Daisy with added rape & gore.“
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