The Nest – Alles zu haben ist nie genug – Kritik

Zurück ins Overlook-Hotel: Sean Durkins The Nest lässt eine amerikanische Familie in ein Haunted House wie aus Shining übersiedeln. Was sie heimsucht, ist aber nichts Übernatürliches, sondern nur der Geist der 1980er Jahre.

Die ersten Bilder künden von kommendem Unheil: Eigentlich scheint das Leben von Allison (Carrie Coon), Rory O’Hara (Jude Law) und ihren beiden Kindern geradezu fehlerfrei zu verlaufen. Rory kann seinen Job als Makler zu Hause per Telefon erledigen und die Kinder zur Schule bringen, während Allison als Reittrainerin ihre Leidenschaft auslebt. Zwischendurch spielt Papa mit Sohn Benjamin (Charlie Shotwell) ein bisschen Fußball, übt die pubertierende Tochter Samantha (Oona Roche) mit ermutigender Trainerin das Turnen in der Highschool, und abends wird gemeinsam am Esstisch herumgealbert. Doch Sean Durkins zweiter Spielfilm The Nest insistiert von Anbeginn auf eine Entrücktheit der Harmonie: Laute Klavieranschläge auf tief dröhnenden Klängen, Schatten und spärliches Licht am helllichten Tag, aufgezwungen wirkende Zooms lassen das Vorstadtleben Anfang der 1980er nie zur Idylle werden.

Wer oder was die O’Haras heimsucht, daraus macht Durkin kein großes Geheimnis: Die Radionachrichten von den neusten Reformen der Reagonomics können zwar noch vom Küchengerät übertönt werden, aber der unternehmerische Zeitgeist hat den aus Großbritannien stammenden Rory längst angesteckt. Er will zurück nach London, das etablierte amerikanische Leben wieder hinter sich lassen, neue Chancen und Risiken suchen. Das Versprechen, sein eigener Boss im Unternehmen seines alten Chefs zu werden, ist eine unwiderstehliche Verlockung, und so kauft er für die Familie ein Haunted-House-Horror-reifes Anwesen am Rande der Metropole.

Der neoliberale Fluch des Overlook-Hotels

Im Jahr 2012 hat Durkin für das Sight & Sound Magazine an einer Umfrage zu den besten Filmen aller Zeiten teilgenommen und dabei unter anderem The Shining (1980) in seine Top 10 gevotet. Und tatsächlich erinnert die Art, wie der Regisseur das neue O’Hara-Anwesen zeigt, stark an die filmische Auflösung des Kubrick’schen Overlook-Hotels: In den Innenaufnahmen sind Böden, Decken und Wände stets überpräsent, dominieren Weite und Größe der Räume noch vor den Figuren das Bild. Manche Außenaufnahmen rund um das Anwesen herum erinnern mit ihrer schrägen Vogelperspektive, die das weite Land in seiner Abgeschiedenheit zeigt, ganz unverhohlen an das berühmte Intro des Horrorklassikers. Zwar ist nichts Übernatürliches an diesem Ort, der tatsächlich nur ein altes Anwesen mit Geheimtüren, langen, dunklen Gängen, creepy Einrichtungsgegenständen ist. Aber doch gewinnt das Haus durch diese filmische Technik eine Art Eigenleben, erdrückt die O’Hara-Familie durch seine schiere Präsenz, schließt sie in sich ein, bietet genug Platz für die stetig wachsende Distanz zwischen allen Familienmitgliedern, die sich immer öfter alleine in den dunklen Bildern wiederfinden.

Nie nutzt Durkin die Steilvorlage, die dieser Drehort bietet, um wirklich in die Genrewelt abzudriften, und trotzdem ist die Reminiszenz an ganz unerklärliche Dinge, die außerhalb der Kontrolle der Figuren liegen, hier keineswegs fehl am Platz. Vielmehr die passende Beschreibung einer westlichen Gesellschaft zu Beginn der 1980er Jahre, die vor lauter Deregulierung der Märkte nicht mehr weiß, wie ihr geschieht. Für Rory und seinen neuen Job heißt das: Neue, bald boomende Märkte müssen vorhergesehen und erschlossen werden, das eigene Überholtwerden durch zur Monopolisierung tendierende Unternehmen muss durch Fusionspläne mit anderen big playern verhindert werden, und die dabei realisierten Gewinne müssen wiederum in die eigene Lebensqualität zurückfließen, etwa in Form einer neuen Wohnung innerhalb Londons. Dass er dabei jederzeit das gesamte Geld seiner Familie aufs Spiel setzt, das Unternehmertum eigentlich von Beginn an über seine privaten Beziehungen stellt und sogar noch das Trauma seiner Frau, ihr beim Umzug gestorbenes Pferd, als Kosten-Nutzen-Verhältnis behandelt: Dabei macht sich The Nest in puncto Figurenmotivation oder narrativer Plausibilisierung denn auch recht wenig Mühe. Es ist vielmehr, als würde das unternehmerische Diktat des „Immer-weiter-weil-immer-mehr“ wie ein unkontrollierter Fluch über dieser Familie kreisen und vor allem den wie besessenen Rory zu Handlungen zwingen, die längst nicht mehr in seinem, noch im Interesse seiner Familie sind.

Einen Film ausbrennen lassen

Die Hinwendung einer Gesellschaft zum Unternehmertum übersetzt Durkin hinein in das private Modell der Familie, die sich in The Nest wie das globale Finanzsystem der Zeit selbst immer entfesselter, immer deregulierter verhält. Ist dieses Prinzip einmal nach circa der Hälfte des Films aufgestellt, nimmt es seinen Lauf: Während der sonst so schüchterne Benjamin aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeit seiner mit sich selbst beschäftigten Eltern anfängt, sich in der Schule zu prügeln, verfällt Samantha langsam den Lastern der englischen Eighties-Jugend aus Party, Drogen und New Wave. Am interessantesten ist hier sicherlich noch, wie Allison im goldenen Käfig der nicht-arbeitenden Mutter langsam eingeht und Carrie Coons Schauspiel virtuos pendelt zwischen der Sorge um die Kinder, der schleichenden Verzweiflung gegenüber der eigenen Unfreiheit und der bis in die Boshaftigkeit reichenden Wut gegenüber Rory. Darüber hinaus aber weiß Durkin mit dem eigentlich ziemlich interessanten Zusammenschluss von Film- und Gesellschaftshistorie als Prämisse gar nicht mehr so viel anzufangen. Einmal ein Feuer innerhalb des Familiengefüges entzündet, lässt er seinen Film über die zahlreichen Psycho-Gefechte zwischen Jude Law und Carrie Coon und der Verrohung ihrer Kinder eher langsam ausbrennen – bis seine Schauwerte am Ende nur noch auf Sparflamme wirken.

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Kommentare


fifty

Ihre Formulierungen verleiten ein wenig dazu, den Film zu unterschätzen. Da Kino Ideologie ist, wie wir spätestens seit Slavoj Žižek wissen, sehen wir dort ja ständig die Sehnsüchte des Zeitgeists, d.h. große Autos und Häuser, in denen die Figuren verschwinden. Hier jetzt ein Film, der das mit dem Haus bewusst überzeichnet und seine Handlung in den 80ern spielen lässt, was sofort fragen lässt: Ist das neoliberale Glücksversprechen des unendlichen Wachstums hier vielleicht noch so jung, dass es naiv und unschuldig sein könnte? Der Film erteilt die Absage: Gier und Ignoranz verderben das Glück zu allen Zeiten. Und sowieso werden wir als Betrachtende zu denen, die es besser wissen: Die protzigen Autos von damals wirken heute fast niedlich, das monumentale Haus ist wahrlich ein Schreckgespenst gegenüber heutigen Filmhäusern und die viele Raucherei steht dieser Tage für den ungesunden Irrtum schlechthin. Wie schon sein Vorgängerfilm kennt dieses Werk sich mit der Loslösung von Holzwegen aus bevor sie zu Autobahnen ausgebaut werden. Sein Ende ist herrlich lakonisch und sympathisch wie überhaupt alles in ihm sehr elegant und konzentriert von Unvernunft versus Bodenständigkeit zu erzählen weiß. Die unaufdringliche Botschaft: Es macht keinen Sinn, vor sich selbst zu flüchten, sich neue Häuser zu kaufen, sich auszudehnen, in der ganzen Welt zu Hause zu sein, Nester zu bauen, die man nicht braucht oder die so groß sind, dass nur heiße Luft darin Platz hat. Die Selbstverwirklichung als Selbstzweck bietet keine Nestwärme, sondern ist destruktiv und lebensfeindlich gegen das eigentliche Nest: Einmal die eigene Familie, die ja immer aus der eigenen Herkunft als auch der Zukunft der Nachkommen besteht. Aber auch das Nest des Planeten, sprich die Umwelt oder Schöpfung, die wir uns untertan und dienlich gemacht haben, die durch den von uns verursachten Stress vor unseren Augen zusammenbricht. Der schlechte Umgang mit dem (unbezahlbaren) Wert des Lebens drängt sich seinen Verursachern auf und diese Wahrheit lässt sich weder begraben noch leugnen. Der Ausweg: Mut zur Ehrlichkeit und die Absage an die Hybris.






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