Der geheimnisvolle Blick des Flamingos – Kritik

In einer Siedlung inmitten der chilenischen Wüste herrscht der Glaube, dass der Blick einer Transfrau krank macht. Der geheimnisvolle Blick des Flamingos gestaltet diese Idee zu einer Ergründung von Liebe und Isolation aus, in der das Magische und das Körperliche verschmelzen.

Der Wind wirbelt grobkörnigen Staub auf, der an keiner Pflanze Halt findet, dafür aber an den kurzen, durchnässten Haaren des 12-jährigen Mädchens Lidia (Tamara Cortes). Eine aggressive Jungsgruppe hatte sie soeben in einen kleinen See geworfen – eine kärgliche Oase mitten in der chilenischen Wüste. Über Sandflächen macht sich Lidia auf den Heimweg in die kleine Bergbausiedlung, wo sie, als Baby von ihren leiblichen Eltern versetzt, eine Ersatzfamilie gefunden hat. Diese Familie setzt sich aus einer Gruppe Transfrauen zusammen, die unter der Führung von Mama Boa (Paula Dinamarca) am Rande der Siedlung leben. Sobald Lidias Ziehmutter Flamenco (Matías Catalán) vom Überfall erfährt, zieht sie mit einigen Mitstreiterinnen los, um die Jungs zur Rechenschaft zu ziehen.

Vereinsamtes Flachland

Diese Einstiegsepisode verdeutlicht bereits die zentralen inhaltlichen Interessen von Der geheimnisvolle Blick des Flamingos: die Erfahrung gewalttätiger Ausgrenzung einerseits, das souveräne Zusammenfinden und gemeinsame Ankämpfen dagegen anderseits. Im Folgenden konkretisiert Regisseur und Drehbuchautor Diego Céspedes diese Anliegen noch weiter und setzt sich ganz direkt mit den Auswirkungen von Homophobie und Transfeindlichkeit auseinander. Die Leere der leblosen Wüstensteppe betont dabei die von Isolation geprägte gesellschaftliche Stellung der Transfrauen, indem die Bildkompositionen des Kameramanns Angello Faccini die Figuren oft alleine vor niedrigem Horizont und schier endlosem Himmel platzieren. In dieser Kargheit kann sich der Blick an nichts außer an die Menschen heften, wodurch die Warmherzigkeit, die die Frauen untereinander zeigen, umso wertvoller erscheint.

Das von Céspedes geschriebene Drehbuch folgt dabei einer losen, eher episodischen Struktur und so bietet die Wüste als weltentrücktes Flachland im Laufe des Filmes eine Bühne für ganz unterschiedliche, kleinere und größere Dramen. Nachdem sie mit ihren Freundinnen der Jungsgruppe erfolgreich eine Abreibung verpasst hat, trifft Flamenco in einer Bar auf den Minenarbeiter Yovani (Pedro Muñoz), mit dem sie in der Vergangenheit eine widerborstige Liebesbeziehung verbunden hat. Yovani ringt mit seinen noch bestehenden Gefühlen für Flamenco, spricht gleichzeitig aber auch von einer nicht näher erläuterten Seuche, mit der Flamenco ihn angesteckt haben und von der sie ihn nun wieder befreien soll.

Blicke der Ausgrenzung

Damit spricht Yovani ein zentrales Motiv des Filmes an, das auch in seinem Titel anklingt: Als sich die Frauen am Anfang des Film auf den Weg zum See machten, drehten sich alle anderen Einwohner:innen der Stadt von ihnen weg und legten demonstrativ die Handrücken auf ihre Augen – denn es geht der Glaube um, dass allein der Blick der Frauen andere krank machen kann. Dieses Motiv des ansteckenden Blicks wird in Der geheimnisvolle Blick des Flamingos zu einem Sinnbild für die Liebe. Der bloße Blick ist bereits eine intime Begegnung und ein emotionaler Kontaktpunkt, der einen tiefen, auch gefährlichen Austausch zwischen zwei Menschen ermöglicht. Yovanis Bitte, den Fluch wieder aufzuheben und seine Erkrankung wieder verschwinden zu lassen, lässt Flamenco wie eine Magierin wirken, die ihren Zauber kontrollieren und jederzeit beenden kann.

Doch eine solche einfache Lösung ist in diesem Fall nicht möglich, denn die durch den Blick übertragene Krankheit ist eben nicht nur ein magisches Motiv und eine abstrakte Liebesmetapher – sie ist auch eine ganz reale Krankheit, die in ihrer Symptomatik deutlich an AIDS erinnert. Klugerweise entscheidet sich Der geheimnisvolle Blick des Flamingos nie ganz für eine realistische oder eine metaphorische Interpretation: eindringlich und nüchtern beobachtet der Film das stärker werdende Husten der erkrankten Figuren und ihre fahler werdende Haut, gleichzeitig stellt er in einer Rückblende den Moment der Ansteckung überhöht dar, indem er wabernde Strahlen aus Flamencos Augen in die von Yovani fließen lässt. Das Magische und das Körperliche bleiben in Céspedes’ Film stets untrennbar miteinander verwoben.

Scherben in der Wüste

Doch genau diese Ambivalenz lässt den Film mit zunehmender Laufzeit in eine Abfolge allzu ungenauer Szenenfragmente ausfasern. Neben der Überlagerung von metaphorischer und realer Krankheit weiß Der geheimnisvolle Blick des Flamingos leider nicht viel mit seinen Figuren und seiner Handlung anzufangen. Nachdem die Liebesgeschichte in einen tragischen Todesfall mündet, der Lidia dazu bringt, den Ursprüngen der geheimnisvollen Krankheit nachzugehen, springt der Film immer wahlloser von Idee zu Idee und Figur zu Figur. An einer Stelle beschließen die Bewohner:innen der Stadt, die Transfrauen einzusperren und ihnen durch das Verdecken der Augen ihre scheinbar magischen Kräfte zu nehmen. Doch auch dieser an sich interessante Einfall, der immerhin an das Motiv des gefährlichen Blicks anknüpft, wird ohne dramaturgisches Gespür binnen einer Szene wieder aufgelöst: Die männlichen Bewacher erkennen ganz plötzlich die Individualität der Frauen an und feiern mit ihnen ein Fest.

Die zahlreichen Registerwechsel der Handlung sollen vielleicht den Eindruck einer souveränen Wandelbarkeit der Figuren und Ereignisse erzeugen, wirken aber leider letztlich doch nur wie ein zielloses Zerstreuen. Die einzelnen Handlungsscherben hängen zwar insofern zusammen, als dass sie allesamt von Formen der Liebe und vom Zusammenhalt einer bedrängten Gemeinschaft erzählen, können aber aufgrund des immer gehetzteren Erzähltempos nicht genug Eigenständigkeit entwickeln, um diese Themen gehaltvoll auszugestalten. Die anfangs angeschnittene Ergründung der gesellschaftlichen Mechanismen von Transfeindlichkeit und Homophobie verliert sich somit im Wusel halbgarer Ideen. Statt genau hinzusehen, schaut Der geheimnisvolle Blick des Flamingos irgendwann nur mehr unkonzentriert an den Dingen vorbei.

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