The Mastermind – Kritik
Ein Familienvater versucht in den 1970ern mit einem Kunstraub seine Midlife-Crisis zu überwinden. Kelly Reichardts The Mastermind rückt das Scheitern des Einzelnen inmitten historischer Umwälzungen ins Zentrum.

So dezent kann ein Kunstraub sein: Langsam schlurft J.B. (Josh O’Connor) in dem nur spärlich besuchten Museumssaal zu einer halbhohen Glasvitrine. Ohne hinabzublicken öffnet er den Verschluss und zieht den beweglichen Boden, auf dem einige Holzfiguren arrangiert sind, ein paar Zentimeter heraus, gerade so weit, dass er mit den Fingerspitzen in die Vitrine fahren kann. Nur mit den Fingerkuppen berührt er den Kopf einer der Figuren – und hebelt sie dann mit einer plötzlichen Bewegung ins Innere seiner Handfläche. Schnell ist die Figur in einem Etui verstaut und die Vitrine unauffällig wieder verschlossen. Die Beute ist eingesackt, das schlendernde Verlassen des Museums an dem überkorrekten Wachmann vorbei nur mehr Formsache.
Kelly Reichardts The Mastermind ist formell ein heist movie; das heißt, die Struktur des Films wird bestimmt durch die Vorbereitung und Durchführung eines methodisch durchgeplanten Raubes und den Umgang mit unvorhergesehenen Hindernissen und Folgen. Doch wo diese Faktoren klassischerweise im Vordergrund stehen, widmet sich Reichardt ganz der Dynamik des Kleinen, Unscheinbaren. Das wird schon deutlich in der filigranen Art, wie sich der Diebstahl der Holzfigur vollzieht, aber auch, als J.B. seine Ambitionen ein wenig ausweitet: In dem Museum mit seinen laxen Sicherheitsvorkehrungen befinden sich auch mehrere Gemälde des (real existierenden) modernistischen Malers Arthur Dove. Arbeitslos und auch sonst vom Leben gebeugt, sieht J.B. in dem Diebstahl und Verkauf dieser wertvollen Werke den vielleicht letzten verbliebenen Weg zu ein wenig Reichtum und Selbstermächtigung.
„Weird times, huh?“

Das Zentrum von The Mastermind bildet somit die mid-life crisis eines amerikanischen Vorstadtmenschen. Doch diese private Suche nach Stabilität vollzieht sich in einer Welt, die zunehmend aus den Fugen geraten ist. Reichardts Film spielt 1970, der Vietnamkrieg eskaliert immer weiter, wütende Proteste füllen die Straßen – doch von all dem scheint J.B. nichts mitzubekommen. Der turbulente Lauf der Zeitgeschichte ist in dem Film allgegenwärtig, aber stets am Rande, knapp außerhalb des Bildes oder als Detail im Hintergrund. Nie dringt er ins Zentrum des Bewusstseins seiner Hauptfigur. Als J.B sich nach dem missglückten Raub in einem Hotel versteckt, sieht man durch zwei Fensterrahmen hindurch im Nachbarhaus einen Fernsehbericht über die Bombardierung Kambodschas. Das laute Rattern eines Helikopters dringt durch die Wände, während J.B. weiterhin konzentriert einen Ausweis fälscht um seine Flucht fortsetzen zu können. In einer anderen Szene sitzt er in einer engen Kneipe, während, von ihm unbeachtet, einige Soldaten am Nebentisch Erinnerungen an ihre Ankunft im Armee-Ausbildungszentrum Parris Island austauschen. Es sei der Moment gewesen, sagt einer von ihnen, an dem die Realität eingesetzt hätte – „things got real“.
The Mastermind bezieht seine Spannung aus dieser Dezentralisierung seiner Hauptfigur. J.B.s Unglück besteht nicht etwa in einer Ungeschicktheit oder in äußeren Zufällen, die seine sorgfältig ausgearbeiteten Pläne zunichtemachen. Es liegt vielmehr in seiner Unfähigkeit, einen genauen Blick für die Realität zu entwickeln, in der er sich befindet. Ganz auf sich allein gestellt, versucht er, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und verkennt dabei die größeren, über-individuellen Kräfte, die den Gang der Welt bestimmen und auch Jahrzehnte später noch nachhallen.
Herbst in Neuengland

Doch auch wenn diese Spannung für die Struktur des Films zentral ist, bleibt sie in ihrer Wirkung letztlich doch etwas diffus. Das liegt vielleicht daran, dass einem die in sich zusammengesunkene, nur manchmal von einem verzweifelt-charmanten Lächeln durchbrochene Mimik Josh O’Connors die Hauptfigur nicht wirklich nahebringt. J.B.s innere Beweggründe und seine nervöse Zwanghaftigkeit – man vermutet sie anhand der äußeren Konstellation der Ereignisse als (dramaturgisch wie psychologisch) naheliegendste Erklärung für sein Verhalten. Aber einen direkten affektiven Zugang zu seinem Innenleben erhält man nicht.
Dadurch bleibt auch die Haltung des Films zu seiner Hauptfigur konstant in der Schwebe. Nimmt er J.B.s Unzufriedenheit und Verzweiflung für bare Münze oder betrachtet er sie als das narzisstisches Gekränktsein eines Mannes, dem es so schlecht nicht geht? Ist J.B.s hilfloses Handeln eine Tragödie oder doch eher eine Farce? Man mag diese Mehrdeutigkeit als eine Qualität begreifen, sie ist sicher beabsichtigt – aber sie führt letztlich dazu, dass dem Film auf der einen Seite ein wenig die emotionale Resonanz und auf der anderen Seite die satirische Schärfe fehlt.
So ist The Mastermind am wirkungsvollsten in der Art, wie er eine Atmosphäre des permanenten Übergangs erschafft. Der Film spielt in einem scheinbar immerwährenden Herbst, der mit seinem trüben Schleier auch die Innenräume der Häuser zu durchdringen scheint. Eine niedrigstehende Sonne wirft überall tiefe Schatten, ihr weiches Licht suggeriert gleichzeitig Wärme und Kälte. Durch diese Welt, die in ihrem Verschwinden auszuharren scheint, lässt sich J.B. zunehmend ziel- und willenlos treiben. Überall bedecken verfärbte Blätter die Gehsteige und wenn man nah genug an sie heranrückt, hat es den Anschein, als würde ihr Flattern eine mächtige Umwälzung darstellen. Aber sie sind auch nur die Überreste einer Zeit, die mittlerweile vergangen ist, und bewegen sich schon längst nicht mehr aus eigener Kraft.
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