The Lodge – Kritik

Eine Familie begibt sich zur Trauerarbeit in eine Hütte und gerät ins Fegefeuer. The Lodge rückt das alles in religionskritisches Licht, aber die Filmemacher sehen ihre Figuren schon auch selbst gerne leiden.

Eine Trauergemeinde lässt schwarze Ballons in den Himmel schweben. Nur ein einzelner sackt immer wieder ab, weil die an ihm hängende Puppe zu viel wiegt. Ballon wie Anhängsel gehören der vorpubertären Tochter der Verstorbenen. Zu Beginn des neuen Films von Veronika Franz und Severin Fiala (FilmIch seh Ich seh, 2014) erwähnte Mia (Lia McHugh), dass ihr Spielzeug wie ihre Mutter (Alicia Silverstone) aussehe, nach dem Verlust wurde die Puppe für sie zu deren Avatar. Nach wenigen Versuchen, den Ballon doch zum Steigen zu bringen, lässt sie alle Hoffnung fahren, reißt unter Tränen die Puppe ab und gewährt dem Ballon, ohne Ballast davonzuschweben.

Der Glaube befeuert den Horror

Was symbolisch in diesem Moment steckt, holt The Lodge kurz darauf unmissverständlich per Dialog an die Oberfläche. Denn im Mittelpunkt der Geschichte von Trauma und Verlust steht ein Christentum, das den Horror für die Leidenden buchstäblich befeuert. Neben dem offensichtlichen Schmerz ist das Problem nämlich, dass die Mutter sich selbst tötete. Die nicht aufsteigende Puppe macht so für die Tochter manifest, dass die Seele ihrer Mutter nicht in den Himmel aufstreben kann. Statt Trost zu spenden, führt die Ideologie der Glaubenden zur Eskalation der Verzweiflung.

Für den Großteil seiner Laufzeit sperrt The Lodge Mia und ihren Bruder Aidan (Jaeden Lieberher) mit ihrer Stiefmutter in spe, Grace (Riley Keough), in eine – durchaus luxuriöse – Hütte. Vater Richard (Richard Armitage) findet, dass seine Kinder und seine Verlobte sich am besten in seiner Abwesenheit zusammenraufen, wenn sie umgeben von Wald und Schnee isoliert aufeinanderhocken. Zum ersten Weihnachten direkt nach der Selbsttötung, versteht sich. Die Erinnerungen an die Verstorbene sind in der familiären Winterresidenz aber ebenso wenig das einzige Problem wie die Anzeichen für die Gegenwart des Geists der Mutter.

Grace ist nämlich die Tochter eines Sektenführers, der seine Gemeinde in ihrer Kindheit zum Suizid aufrief. Sie überlebte als Einzige, damit sie seine Botschaft weiterverbreite. Sie war damals diejenige, die die Toten fand. Die Gespenster dieser Vergangenheit versucht sie noch heute mit Tabletten in den Griff zu bekommen. Ihr Verhältnis zu den alltäglichen christlichen Symbolen im Haushalt ist folglich etwas intensiver, und so reagiert sie auch sehr speziell, als diese beginnen, ein Eigenleben zu entwickeln.

Der Ruf nach Buße als Klinge

Hier, im Verhältnis von Christentum zu Selbsttötungen, ist The Lodge am stärksten. Wenn die Kinder durch eine Ideologie, die in der Bibel keine Entsprechung findet, gequält werden. Wenn sich erhängte Puppen – nicht die Mutter – in sauber aufgeräumten Puppenhäusern wiederfinden und damit die Kälte reflektieren, mit der die Kinder doppelt und dreifach allein gelassen sind. Wenn Grace von den Bildern ihrer Vergangenheit verfolgt wird. Wenn ihre Realitätswahrnehmung unter Kreuzen, Heiligenbildern und Leichen zusammenbricht. Wenn der wiederkehrende Ruf nach Buße kein Tor zum Himmelreich auftut, sondern selbst wie eine Klinge wirkt, die im Namen des Glaubens in Geist und Fleisch gejagt wird.

Erzählt wird dabei ausschließlich aus subjektiven Perspektiven. Grace, scheinbarer Grund für das Scheitern der Ehe und damit für den Suizid, ist aus Sicht der Mutter und der Kinder lange nur ein Schemen. Ihr Hinterkopf verschwindet noch schnell durch das Gartentor, verschwommen sind ihre Konturen hinter milchigem Glas. Später, wenn der Film gänzlich in ihre Wahrnehmung übergegangen und die geisterhafte Präsenz, die sie zu Beginn hatte, fast schon vergessen ist, ist es nicht mehr ihre Erscheinung, die vage ist, sondern ihre Verfassung und damit das, was wir sehen. Die Situation, dass zwei bestenfalls reservierte Parteien Zeit miteinander verbringen müssen, spitzt sich in der Form noch zu. Wo die Figuren einander zunächst nur mit passiv-aggressivem Verhalten quälten, da zieht der Film nun die Daumenschrauben an, verlässt das realistische Register, lässt Proviant, Tabletten und Außenanbindung verschwinden und das Fegefeuer real werden.

Eskalation als Grundverfasstheit

Nur steckt in all dem Beschriebenen das einzige Mittel, das The Lodge kennt. Immer wird alles verstärkt und doppelt unterstrichen. Das eisige Schneetreiben draußen spiegelt das Geschehen in dem Haus. Die eingestreuten Puppenhausmobiles unterstreichen die geistige Verfasstheit der Personen. Die Twists, auf die alles hinausläuft, rücken nochmal alles ins religiöse und religionskritische Licht. An Eskalation als Grundverfasstheit ist nun gar nichts auszusetzen, nur ist diese simple Eins-zu-eins-Übersetzung etwas fantasielos. Oder anders: Wenn das Haus mit seiner Aufgeräumtheit mehr nach dem als Omen dienenden Puppenhaus aussieht als andersherum, wenn die soundsovielte Einstellung in Folge sich durch einen symmetrischen Aufbau auszeichnet, in den die Kamera langsam und bedrohlich hereinzoomt (oder aus ihm heraus), dann ist das eben enervierend und eintönig.

Es ist schade, dass dieses vor allem manieristische Element dem Film viel von seiner Eindringlichkeit nimmt. Denn so effektiv und intensiv der geistigen Zerrüttung nachgespürt wird, so sehr diese Vorhölle psychologische und symbolische Materialisierung der Verfassung der Insassen ist, so werden doch die Fäden der Marionetten spielenden Filmemacher überdeutlich. Die Fäden sowie ihre Lust daran, ihre Figuren leiden zu sehen, was noch mehr Antrieb zu sein scheint, als einem falsch verstandenen Christentum eins reinzuwürgen.

Neue Kritiken

Trailer zu „The Lodge“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.