Der Leuchtturm – Kritik

Willem Dafoe und Robert Pattinson gehen als Leuchtturmwärter im Alkoholdelirium aufeinander los. Nach dem hehren Ernst des Vorgängers The VVitch beschwört Robert Eggers eine sagenhafte Vergangenheit diesmal auch mit groteskem Humor.

In rasendem Zorn schlägt der Leuchtturmwärterlehrling die Möwe, die ihn angegriffen hat, am Rand der Zisterne förmlich in Fetzen. Keine gute Idee, denn laut der Coleridge-artigen Schauermär seines Meisters stecken in den Vögeln die Seelen verstorbener Seeleute und bringt es Unglück, sie zu töten. Doch die Warnung scheint Winslow (Robert Pattinson) eher noch Ansporn, als er die wochenlang aufgestaute Aggression gegen den alten Tyrannen Wake (Willem Dafoe) an dem Tier auslässt. Die Strafe lässt nicht auf sich warten; ein Sturm bricht aus, das angekündigte Versorgungsschiff kommt nicht, die beiden Männer, in inniger Feindschaft liierte Trinkkumpanen, sitzen auf der Insel fest, einander und ihrem wachsenden Wahnsinn ausgeliefert.

Nebelhorn und Möwengekreisch

Nicht nur das Faible für unverwandt starrende Tiere mit dämonischen Absichten erinnert an Robert Eggers’ großartiges Debüt The VVitch – die Möwen stehen dem schwarzen Ziegenbock von damals an Menschenfeindlichkeit in nichts nach. Auch in seinem zweiten Langfilm Der Leuchtturm (The Lighthouse) beschwört der Filmemacher in historisch akkuraten, kunstvoll gestalteten Bildern eine schattig-sagenhafte Vergangenheit Neuenglands herauf, auch diesmal präsentiert eine Texttafel im Abspann stolz und ehrfürchtig die zitierten Originalquellen (hier unter anderem: Herman Melville, reale Aufzeichnungen von Leuchtturmwärtern), entsprechend hat auch diesmal das Drehbuch eine Schwäche für ein archaisches Englisch mit vielen „thys“ und „yers“, in dem Willem Dafoe als – nur knapp diesseits der Parodie angelegter – Prototyp des alten Seebären hier seine Trinksprüche durch den Vollbart schnarren lässt. Und mit seinem fast quadratischen Bildformat (das vor allem in der Übergangszeit zum Tonfilm verwendete 1:1,19) und dem expressionistischen Schwarzweiß bringt Der Leuchtturm sein Setting in eine noch strengere Form als sein Vorgänger.

Damit erzeugt Eggers von der ersten Einstellung an, in der das Boot mit den beiden Männern sich im grauen Nebel auf die Insel zubewegt, die Atmosphäre eines Albtraums, wozu die akustische Ebene mit ihrem klagenden Möwengekreisch und dem repetitiv dröhnenden Nebelhorn genauso beiträgt wie die beengende Kadrage und der titelgebende Schauplatz, der wie vorgefunden aussieht, aber tatsächlich eigens für den Film errichtet wurde. Hier soll Winslow, so ist es anfangs vorgesehen, vier Wochen bei Wake in die Lehre gehen. Den Zugang zum Leuchtfeuer allerdings verwehrt ihm der Alte (ein Licht übrigens, in das Kamera und Figuren, entgegen seinem eigentlichen Zweck, hineinstarren, statt ihm zu folgen, aber von außen kommt ohnehin nichts), verdonnert ihn zu harter körperlicher Arbeit, bei der ihn Winslow nie zufrieden stellen kann. Die anfangs zu erwartende Gut-Böse-Verteilung zwischen drangsaliertem Diener und drangsalierendem Herren weicht spätestens, als Winslow seinen Widerstand gegen die gemeinsamen Saufgelage aufgibt, einem Kräftemessen zweier vor Weltunversöhntheit brodelnder Männer, bei dem sich Winslow schließlich sogar als der explosivere, noch unberechenbarere Part erweist.

Captain-Ahab-Horseshit

Wo The VVitch, hierin eher klassischer Horror, das Übernatürliche als real setzte, koppelt Der Leuchtturm den Einbruch des Unheimlichen an die Wahrnehmung Winslows. Er sieht Wake nackt und entrückt an der Leuchtturmspitze; hat zunehmend fleischlicher werdende Visionen einer Meerjungfrau (initiiert von der Statuette, zu der er im Schuppen masturbiert), Bilder aus seiner schuldbehafteten Holzfäller-Vergangenheit bedrängen ihn ebenso wie die vom möglichen Los seines Vorgängers, dessen verwesenden Kopf er im Hummerkorb findet oder zu finden glaubt; Realität, Traum, Erinnerung, Wichsfantasie und Alkoholdelirium verschmelzen in sich beschleunigenden Montagen. Faszinierend ist dabei nicht zuletzt, wie der Film das sich verlierende Zeitgefühl Winslows nachempfinden lässt. Wenn Wake seinen Kontrahenten lauernd fragt, wie er sicher sein könne, ob schon fünf Wochen vergangen sind oder erst zwei Tage, stellt man als Zuschauer fest, dass man selbst dafür jeden Anhaltspunkt verloren hat.

Zugleich ist der hehre Ernst von The VVitch ein gutes Stück in Richtung grotesken Humors verschoben. Die Hingabe, mit der Willem Dafoe und Robert Pattinson, beide gleichermaßen eine Wucht, diese beiden Männer verbal und körperlich aufeinander prallen lassen, veranlasste eine launige Letterboxd-Kurzreview, den in Lighthouse-Kritiken häufig gedroppten großen Namen wie Tarr, Tarkowski und Bergman noch Itchy und Scratchy als Referenz zur Seite zu stellen. Sie schimpfen und furzen und singen und tanzen, taxieren sich mit blitzenden Blicken, belauern und provozieren sich, halten einander innig umschlungen, spielen Herr-und-Hund-SM-Szenarien durch, gehen wie Berserker mit der Axt aufeinander los. Winslow, der gegen die von Wake verteidigte Ordnung und Tradition aufbegehrt – einmal auch gegen seine Kochkünste –, ist dann auch der, dem die eigene Archetypenhaftigkeit nicht nur zu dämmern, sondern zunehmend zu nerven beginnt, wenn er sich schließlich kurz vorm Finale über Wakes „Captain-Ahab-Horseshit“ mokiert.

Ein strahlendes MacGuffin

Dieses leicht parodistische Verhältnis zu den eigenen Vorlagen, diese Signale ans Publikum, die suggerierte Tiefgründigkeit nicht völlig ernst zu nehmen – eine Ebene, von der The VVitch noch völlig frei war – verstärkt noch die widersprüchliche Wirkung eines Films, der einen in seiner weltverlorenen und morbiden Stimmung fesselt und dabei trotzdem in einer gewissen Distanz hält. Mit einem Horror, der auf Mitfiebern und Mitbangen mit Figuren beruht, hat Der Leuchtturm noch weniger zu tun als The VVitch. Und seine Rätselhaftigkeit ist vielleicht selbst vor allem kunstvoller Effekt. Das Geheimnis um das so symbolträchtige wie unzugängliche Leuchtfeuer zu erfahren drängt es Winslow, den Plot, den Zuschauer – aber vielleicht strahlt uns hier am Ende auch ein MacGuffin an. So präsentiert sich Der Leuchtturm wie ein aus alter Zeit angeschwemmtes, mit Filmgeschichte und Seefahrermythologie vollgesogenes Stück Strandgut, das man staunend betrachten kann, ohne davon allzu sehr involviert zu werden. Ihn deshalb nur eine Stilübung zu nennen, würde seiner Könnerschaft und seiner Selbstbewusstheit nicht gerecht, aber eine virtuose Stildemonstration passt schon ganz gut.

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