The Life of Chuck – Kritik

Geheimniskrämerei soll Bedeutung erzeugen in Mike Flanagans Stephen-King-Adaption The Life of Chuck. Tatsächlich jedoch läuft der assoziativ erzählte Film auf ein Lob der simplen, allzu tröstlichen Schönheiten hinaus.

Mike Flanagans Steven-King-Verfilmung Life of Chuck läuft erzählerisch, ästhetisch und philosophisch auf einen Aha-Effekt hinaus. Der Film fällt in drei Teile auseinander, die chronologisch rückwärts angeordnet sind. Es beginnt also mit dem dritten Akt, der von der Apokalypse erzählt. Landstriche verschwinden im Meer. Menschen entschwinden aus ihren bisherigen Leben. Technik und Zivilisation brechen zusammen. Die Zurückbleibenden sehen sich von den Ruinen ihres bisherigen Lebens, von einer eindrucksvollen Leere umgeben.Es folgt ein Tag im Leben einer Straßenmusikerin (Trinity Bliss), eines Buchhalters (Tom Hiddleston) und einer verlassenen Frau (Annalise Basso). Zuletzt der erste Akt, der von der Kindheit und Jugend der Titelfigur Chuck (je nach Alter: Benjamin Pajak oder Jacob Tremblay) erzählt, eines Jungen, der nach dem Tod seiner Eltern bei seinen Großeltern aufwächst.

Gedichte und Dachkammern

So weit so rätselhaft. Die Abfolge der drei Akte strukturiert sich nicht klassisch narrativ, sondern impressionistisch, entlang von Augenblicken in den Leben der Protagonisten. Am Ende ergeben sie zwar einen erzählerischen Bogen, doch die Zusammenhänge sind eher assoziativ. Statt an einer geschlossenen Erzählung ist Life of Chuck an der Verschleierung einer solchen interessiert. Bis uns der letzte, also erste Akt langsam die Werkzeuge in die Hand gibt, um zu erschließen, wie die unterschiedlichen Puzzleteile ein Ganzes ergeben, müssen wir hinnehmen, dass der Film mehr verbirgt als offenlegt.

Verkompliziert wird die Sache zudem dadurch, dass manche Figuren zwischen den Abschnitten älter werden, andere hingegen immer die Gleichen bleiben. Immer wieder spielt das epische Walt-Whitman-Gedicht Song of Myself eine Rolle. Sowie ein Gedankenexperiment, das die Geschichte des Universums auf einen Tag komprimieret, um sich des lächerlich kleinen Abschnitts bewusst zu werden, den die Menschheitsgeschichte einnimmt. Oder auch die verschlossene Tür zu einer Dachkammer, die sowohl in der Apokalypse auftaucht, als auch im Haus der Großeltern. Der Großvater möchte nicht, dass Chuck hochgeht, weil ein unausgesprochener Schrecken dort lauert – was selbstverständlich nur dessen Neugier weckt.

Das Universum in uns

Letzteres ist auch das Konzept des Films: Geheimniskrämerei soll Bedeutung und Aufmerksamkeit erzeugen. Dabei ist im Grunde alles sehr simpel. Zwei Prinzipen spannen die Geschichten auf, Mathematik und Tanz. Auf der einen Seite die beiden Buchhalter, der erwachsene Chuck und sein Großvater (Mark Hamill), sowie die Suche nach Stabilität. Mit Zahlen lässt sich alles erklären, Zahlen strukturierten unser Leben. Mittels der Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich gar ein Blick in die Zukunft werfen. Die Welt wird greifbar, aber auch eng und karg. Auf der anderen Seite die Tänzer, Chuck, seine Großmutter (Mia Sara) und eine Tanz-AG, die das Leben bereichern. Auf der einen Seite eine Naturwissenschaft, die einem sagt, dass unser Gehirn von der Schädeldecke begrenzt ist, auf der anderen Seite die Poesie, die uns zeigt, dass sich ein ganzes, ewig weites Universum in uns befindet.

Insgesamt ergibt das einen Film, der Leuten ein einfaches Glück verspricht. Die Befreiung von Internet und Handys in der Apokalypse, die einem den Blick dafür öffnet, was wirklich wichtig im Leben ist. Die Befreiung von der Buchhaltung, von emotionalem Ballast, von Ängsten. Man folge nicht den ausgetretenen Bahnen des Lebens, sondern öffne sich den eigenen Wünschen. Sicherlich, wir wissen, dass wir sterben werden und dass wir unser Leben strukturieren müssen, um nicht unterzugehen, was aber nicht heißen muss, dass wir uns der Schönheit der kleinen Dinge verschließen müssen. Dass wir nicht immer wieder in einen Sternenhimmel schauen und uns in dessen Unendlichkeit verlieren können.

I contain multitudes

Die zentrale Stelle im erwähnten Whitman-Gedicht lautet: “Very well then I contradict myself / (I am large, I contain multitudes).” Die letzten drei Worte dieses Verses werden zur Überschrift des ersten Akts. Dem Film geht es um den Reichtum, der sich in einem selbst auftut. Um einen Reichtum, der manche Leute poetische Reden halten lässt und andere dazu bringt, diesen zuzuhören.

Was dabei unter den Tisch fällt, sind die Widersprüche, die in Whitmans „I“ enthalten sind. Im besten Akt, dem dritten (also ersten), sind sie noch am ehesten spürbar, weil Schönheit dort ambivalent ist und mit dem Weltuntergang Hand in Hand geht. Ansonsten sorgen die ruhige Gangart des Films sowie seine auf Wärme und Nähe ausgelegten Bilder und vor allem die poetischen Monologe und der ewige Off-Kommentar des Erzählers für Absicherung. Der ambitionierten erzählerischen Struktur zum Trotz ist alles klar, einfach und bittersüß. Selbst der Tod von Eltern, Großeltern und einem selbst ist kein Trauma, keine Vielheit von Gefühlen, sondern in eine enge, nur tröstliche Schönheit eingesperrt.

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