The Last Showgirl – Kritik

Gia Coppolas The Last Showgirl singt ein schwebend-trauriges Lied über das in die Jahre gekommene Venue „Le Razzle-Dazzle“ in Las Vegas, dessen Ende Shelley (Pamela Anderson) und Annette (Jamie Lee Curtis) die Herzen bricht.

Meine Brüste hatten eine fabelhafte Karriere − ich bin einfach immer nur mitgetrottet.“ (Pamela Anderson in einem alten Interview mit der Daily Mail)

Oh, Pamela Anderson! Unverwüstliche Süße in ihren Gesichtszügen. Als Shelley in The Last Showgirl lebt in ihr mit 57 Jahren immer noch ein nervenschwaches Teenie-Mädchen. Unsicher verhaspelt sie sich bei einem Einstellungsgespräch. Panisch versucht sie, die Telefonnachricht zu löschen, die offenbart, dass sie ihre Tochter aus Versehen für zwanzig statt für zweiundzwanzig gehalten hat. Klappt nicht. „C’est la vie“, sagt sie, weil sie Paris verehrt, aber sie ist verzweifelt und erschöpft. Alles im Alltag wird schnell zum Monster, wenn man so ein Mensch ist.

Dann bleibt sie auch noch im hektischen Trippeltrappel mit den anderen Girls unterwegs zur Bühne mit ihren künstlichen Feenflügeln an einer Scheiß-Tür hängen; die Direktion wird ihr die Reparatur zum Abschied auf die Rechnung setzen. The Last Showgirl umfasst die letzten Tage von Shelleys Arbeitsplatz, der Venue „Le Razzle-Dazzle“ in Las Vegas. 38 Jahre lang lief dort die immer gleiche altmodische, nein „traditionelle“ (O-Ton Shelley) Show – viel wertiger als die heutigen pornographischen, die Wurzeln liegen im ehrwürdigen Lido, erzählt Shelley mit naivem Stolz ihren sehr heutigen und wenig interessierten jungen Kolleginnen. Es gab anfangs Riesenbesetzungen von über 100 Girls, aufgezäumt mit Straußenfedern, Strass und Glitzer. Auf Werbefotos posierte Shelley mit Kolleginnen vor der Chinesischen Mauer als „ambassadors for style and grace“. Shelley liebt und romantisiert ihre Arbeit − auch weil sie fürchtet, dass sie in nichts Neues mehr passen wird. In ihrer Wohnung mit Zirkuswagencharme übt sie ihre Tanzschritte im Beamerlicht alter Aufnahmen und beschützt ihre Erinnerungen und Träume.

Oh, furchtlose Jamie Lee Curtis! Als Annette, beste Freundin Shelleys, kellnert sie in einer Spielhalle. Grandios herbe Rockerbraut-Aufmachung, gegerbte Haut, bleichrot kaputtgefärbtes Haar, silbrigrosa Lippenstift: Iggy Pop in Drag. Sie gibt das alte Show-Schlachtross lustig und großartig. Zusammen mit Shelley kämpft sie mit einem dieser neuen Self-Service-Scanner im Supermarkt und versucht, herauszufinden, was er von ihnen will. Müde Anspannung in ihren Gesichtern wie bei so vielen älteren Leuten. Annette sagt, sie will nicht aufhören zu arbeiten, bis sie stirbt; Vorbild ist eine 83-jährige Kollegin: „She‘s still cocktailing!“

Wie man wird, wenn man älter wird. Es ist nicht zu fassen. Man kann praktisch nichts retten.

Auch Stars werden alt. Im Hallenbad treffe ich manchmal einige lokale Ex-It-Girls morgens beim Schwimmen; im lokalen Rockclub feiern sie dann abends ihre Partys wie Shelley und Annette, Spaß und Geschnatter. Die jüngeren Kolleginnen betrachten Shelley als ihre Mama und Stagemanager Eddy als ihren Papa.

Shelley schaut oft auf die Skyline der bunten Lichterstadt von einem Dach/Balkon herunter, da oben sieht man auch mehr vom Himmel. Das alte, schwedisch aussehende Mädchen. Ein himmelblauer Kunststoffengel macht unten Reklame für irgendwas. Sie sind auch so Kunststoffengel im Le Razzle-Dazzle. Aber die Rhinestone-Show, so billig sie auf andere wirken mag, ist ihr Himmel, ihr Zuhause.

Ich wünschte, du hättest mir diesen lahmen Müll nicht zugemutet“

Oh, Billie Lourd als Hannah, Shelleys Tochter! Ihr pragmatisches, un-naives Gegenteil, mit einem skeptischen Mona-Lisa-Lächeln. Sie achtet nicht auf ihr Äußeres, sondern auf das der Welt: Leidenschaftlich, wenn auch schon fast resigniert, konzentriert sie sich auf ihr Fotografiestudium. Shelley versteht ihren Traum. „Zu einer kreativen Gemeinschaft zu gehören“, sagt sie, eingedenk des Razzle-Dazzle, „das ist einfach das Beste.“ Aber Hannah versteht Shelleys gelebten Traum nicht. „Ich wünschte, du hättest mir diesen lahmen Müll nicht zugemutet“, sagt sie ihr unbarmherzig nach einer Show. Und hat dabei auch ihre Kindheit im Kopf, in der sie auf ihre bühnenverrückte Mutter oft verzichten musste. Doch ihre versonnene Art, alleine durch die Straßen zu gehen, ist wie die der Mama. „Mütter sind keine Heilige oder Retterinnen − nur normale Menschen, die es so gut machen wie sie können“, antwortet ihr Michelle schließlich, „ich bin es leid, mich dafür zu rechtfertigen.“

Oh, Stagedoor Eddy (Dave Bautista)! Immer etwas verlegene, hochachtungsvolle Seele des Auftrittsorts. Respektvoller alter Hase mit rauchiger Bluesstimme. Angenehme, zurückhaltende Umgangsformen. Langwierig erworbenen Ruhe.

All diese Leute umfließt eine unaufdringliche, weich glitzernde Musik (Andrew Wyatt). Ziemlich zauberhaft, wie sich alles, was sie bewegt, in den Bildern behutsam entfaltet.

Jetzt: Taschentücher! Michelle und Annette tanzen zu „Total Eclipse of the Heart“. Annette allein auf der Tanzfläche ihrer Spielo, Michelle alleine morgens auf der menschenleeren Straße. Fühlen und weinen mit Bonnie Tyler. Perfekt. Ich kapituliere.

P. S.: Handwäsche kann man zum Trocken an den Deckenventilator hängen! Shelley tut das, und ich fass’ es nicht, dass ich noch nicht selbst auf die Idee gekommen bin.

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