The Kegelstatt Trio – Kritik
Berlinale 2022 – Forum: In The Kegelstatt Trio verwebt Rita Azevedo Gomes ein Mozart-Stück und ein Rohmer-Stück zu einem Film, der ein doppeltes Spiel spielt, aber ganz und gar sinnlich bleibt.

Der sperrig klingende Titel des Films verweist auf gleich zwei Kunstwerke, die ihn einerseits unmittelbar motivisch, andererseits mehr in der Art und Weise seiner Inszenierung prägen: Gemeint ist Wolfgang Amadeus Mozarts Trio in Es-Dur für Klavier, Klarinette und Bratsche, um das wiederum das gleichnamige und zugleich einzige Bühnenstück des französischen Filmemachers und Spezialisten für bürgerliche Beziehungsgeflechte, Éric Rohmer, gruppiert ist.
Liebe, Musik und Sprache – über Musik und Liebe diskutieren, letztlich Immaterielles, schwer Greifbares im Gespräch ausloten, das ist in Rita Azevedo Gomes’ verschachtelter Bühnenadaption Rohmers zentral. Daneben spielt auch die Pandemie-Situation eine Rolle, inmitten derer Gomes’ Film eine hermetische Welt baut. Denn es ist zunächst einmal eine ganz kleine Form, die keine großen Filmdrehprobleme bereitet: The Kegelstatt Trio (O trio em mi bemol) ist ein Zwei-Personen-Stück, das aber nicht auf einer abgeschirmten Bühne, sondern in unmittelbar filmischen, weil von tatsächlichen Tageszeiten und Lichtverhältnissen geprägten Räumen performt wird.
„Cut!“
The Kegelstatt Trio beginnt mit einer Szene, in der ein älterer Mann in der späten Abenddämmerung auf dem Bett sitzt und Notizen betrachtet; die Sprache fehlt hier noch, kurze Zeit später ist sie omnipräsent. Dann ein Schnitt: Eine Frau, Adélia (Rita Durão), besucht den deutlich älter wirkenden Paul (Pierre Léon) in seiner modernistischen, in ruhiger Umgebung gelegenen Villa. Die eng kadrierten und statisch aus der Distanz aufgenommen Bilder strahlen sogleich eine Formstrenge aus, die den ganzen Film bestimmen wird. Wie sich Adélia und Paul bewegen und wie sie ihr Sätze akzentuieren, wirkt kontrolliert bis künstlich, worum es ihnen geht, ist aber ganz alltäglich.
Sie waren einmal ein Paar und haben sich ein gutes Jahr nicht gesehen. Nun begegnen sie sich herzlich wieder, vielleicht auch etwas aufgeregt. Nach wenigen Minuten hören wir ein „Corte!“, ein „Cut!“, aus dem Off. Die Begegnung stellt sich als Film-im-Film-Situation heraus, sie müsse komplett wiederholt werden, meint der ältere Herr der ersten Einstellung – wie sich nun herausstellt, der Regisseur des Dramas, das fast ausschließlich in diesem Haus und dessen begrüntem Grundstück spielt.
Wechselnde Blicke

Film-im-Film-Stories laden ja häufig dazu ein, durch Stellvertreterfiguren vom eigenen Filmemachen, speziell den damit verbundenen Unwägbarkeiten und Leiden, zu erzählen. Das scheint The Kegelstatt Trio kaum, vielleicht sogar überhaupt nicht im Sinn zu haben. Es geht hier nämlich nicht darum, zu einem bestimmten Kino Stellung zu beziehen oder eine Meta-Kritik an den Bedingungen des Filmemachens zu formulieren; alles, was an einen Thesenfilm erinnern könnte, wird umgangen.
Stattdessen stehen unterschiedliche, ganz sinnliche Prozesse im Zentrum der von Kameraschwenks nur selten in Bewegung versetzten Tableaus, und diese Prozesse scheinen sich im Verlauf des Films immer weiter zu verzahnen: Wie sich Adélia und Paul im Anschluss an das erste Wiedersehen mehrmals in vom Film nicht weiter definierten Abständen treffen, um in ihrer zurückgewonnenen Freundschaft die gegenwärtige Lebenssituation und die gemeinsame Vergangenheit auszuloten; dann wiederum die Anstrengung, mit denen sich die beiden Schauspieler dem Stoff in Proben annähern, wie es sie etwa mitnimmt, intensive Drehmomente wiederholen zu müssen. Schließlich kommt auch die Art und Weise in den Blick, mit der der alte Portugiese in aller Ruhe den französischsprachigen Film-im-Film dirigiert und sich nicht in die Karten schauen lässt, während der Drehstab um ihn herumwuselt und seine engagierte Assistentin verloren in der Gegend herumsteht.
The Kegelstatt Trio will sein Publikum, abgesehen vielleicht von einer unverhofften Albtraumsequenz, nie wirklich herausfordern, auch nicht „fesseln“. Er stellt uns mitten in den Zeit und Raum umspannenden Dialog und katapultiert uns mit dem nächsten Schnitt sogleich wieder heraus. Man kann vielleicht sagen: Wie die großzügigen Innenräume der Villa ständig den Blick auf die sommerliche, still daliegende Natur und ihr Tageslicht preisgeben, wechseln auch die Innen- mit den Außenansichten auf das Geschehen ab.
Sanfte Ironie

Es ist nicht leicht, manchmal sogar unmöglich, sein Inneres dem Gegenüber verständlich zu machen: Gerade Paul, der zurückgezogene, gepflegte Hardcore-Intellektuelle, redet eigentlich lieber über klassische Musik als damit herauszurücken, ob er sich nicht eigentlich doch nach mehr als der Freundschaft zu seiner Ex-Freundin sehnt. Sie hingegen erzählt immer wieder von ihren Liebschaften und von deren Scheitern und belässt es in Sachen Musik bei dem sich einstellenden Gefühl; er spricht prompt vom Verstehen und Lernen. Das hat schon manchmal etwas vom Meister und Lehrling, und die beiden scheinen sich in diesen Rollen – abseits einiger Dissonanzen – gar nicht so unwohl zu fühlen. Sie spielen hier vielleicht auch ein bisschen ein Spielchen, so wie der Film sein doppeltes Spiel spielt.
Dass die Menschen entweder zu viel oder zu wenig erzählen, aber nie genau so viel, dass sie sich verstehen, erinnert an die Gespräche in den Filmen Rohmers, die aus einer gewissen Distanz heraus und mit milder Ironie zwischenmenschliches Verhalten erkunden. Der Augenblick, ab dem zwischen Paul und Adélia etwas aufscheint, dessen sie sich auch nach zahllosen vorangegangen Sätzen nicht sicher waren, ist der, in dem Adélia Mozarts Kegelstatt-Trio beschreibt. Hier habe die Musik sie wirklich innerlich getroffen, was wiederum Paul trifft, denn ihm geht es ausnahmsweise einmal genauso. Dieser intime Tag verheißt eigentlich eine Annäherung der beiden, lässt sie aber – und hier ist wieder die Ironie – voneinander wegdriften.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „The Kegelstatt Trio“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (4 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.