Herz aus Eis – Kritik
In ihrem düsteren Märchen Herz aus Eis spielt Regisseurin Lucile Hadžihalilović gekonnt auf der Klaviatur des Unheimlichen. Vor lauter Schönheit wird jedoch auch der Plot manchmal von einer allzu eisigen Starre erfasst.

Eskalation ist nicht die Sache von Lucile Hadžihalilović. Ihre Werke setzen auf Atmosphäre statt auf Eruptionen, auf Andeutungen statt aufs Ausschlachten, auf Ruhe und Eleganz statt Rasanz und Schock. Ihr neuer Film Herz aus Eis (La Tour de Glace) führt uns in die 1970er-Jahre und in die eisigen Alpen. Dort flieht die 16-jährige Jeanne (Clara Pacini) aus einem Waisenheim auf dem Dorfe und versteckt sich in einer Kleinstadt in den Katakomben eines großen Gebäudes, das sich als Filmstudio entpuppt. In diesem Gewölbe dreht die Schauspiel-Diva Cristina (Marion Cotillard) gerade ein Wintermärchen namens Die Schneekönigin.
Die Schneekönigin: wunderschön und eiskalt
Ob es an einer störenden Statistin liegt, einem widerspenstigen Raben oder ihren Kindheitstraumata, von denen wir später im Film erfahren: Cristina erweist sich als eine äußerst labile Person. Immer wieder hat sie hysterische Anfälle, bricht in Tränen aus oder bekommt Beruhigungsmittel von ihrem Leibarzt verabreicht. Der obdachlosen Jeanne gelingt es derweil, sich als Komparsin auszugeben, sodass sie einerseits im Studio übernachten und sich andererseits auch langsam Cristina annähern kann, von der sie spürbar fasziniert ist. Der eisig-distanzierte Filmstar beginnt nach und nach aufzutauen, nachdem Jeanne ihr von ihrer eigenen Kindheit erzählt. Zwischen den beiden ungleichen Frauen entwickelt sich langsam eine undurchsichtige, intensive Beziehung, die von changierenden Abhängigkeiten und unklaren Begehrlichkeiten gekennzeichnet ist.

In Herz aus Eis wählt Hadžihalilović ein Erzähltempo, das einem Mittelweg zwischen ihrem letzten und ihrem vorletzten Film entspricht. In der ersten Hälfte nimmt sie sich ähnlich viel Zeit, um die Figurenverhältnisse aufzubauen, wie in ihrem plotarmen und sehr atmosphärischen Earwig (2021). Diese Geduld macht sich aber bezahlt, sobald der Plot in der zweiten Hälfte ähnlich ins Rollen kommt, wie in ihrem wunderschönen und durchaus handlungsgetriebenen Sci-Fi-Film Évolution (2015).
Variationen des Unheimlichen
Wie in all ihren Werken entspinnt Hadžihalilović auch in ihrem neuen Film gekonnt Variationen des Unheimlichen in berauschenden Bildern. Im blauen Licht einer morgendlichen Schneelandschaft zeichnen sich Figuren ab, die mal durch eine alpine Eiswüste ziehen und mal von einer Klippe aus in den Abgrund schauen. Am allerschönsten ist Herz aus Eis, wenn wir Szenen aus Die Schneekönigin sehen: Mal tropft rotes Blut auf den schneebedeckten Boden, mal hebt sich ein Rabe mit pechschwarzem Federkleid vom jungfräulichen Schnee ab und mehrfach bricht ein Kristall das Bild kaleidoskopartig in unzählige Einzelteile auf. Und dann ist da natürlich noch Cristina als anmutige, aber einsam-traurige Königin, die durchaus Ähnlichkeit mit Isabella Rossellinis Bierkönigin in Guy Maddins verschneitem Musical The Saddest Music in the World (2003) hat.

Über die entrückten Bilder legt Hadžihalilović hypnotische Theremin-Klänge, sodass man sich in der zweiten Hälfte ganz dem sinnlichen Sog des düsteren Märchens hingeben kann. Als atmosphärischer Bilderfilm funktioniert Herz aus Eis in diesen späteren Sequenzen wunderbar. Vielleicht hätte der Film zuvor aber erzählerisch etwas mehr aufdrehen sollen, damit das Publikum auch tatsächlich bis zu dieser zweiten Hälfte durchhält.
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