The Hill of Secrets – Kritik
Berlinale 2022 – Generation: The Hill of Secrets dreht sich um ein zwölfjähriges Mädchen, das sich für seine proletarische Familie schämt und deshalb einfach eine neue erfindet. Lee Ji-euns Langfilmdebüt ist ein Juwel im diesjährigen Generation-Programm.

In den Massenmedien wird die Berlinale häufig auf den Wettbewerb reduziert – die wichtigste Sektion, die allerdings laut unserem Kritikerspiegel eher mau begonnen hat. In filmspezifischen Medien findet man dann noch einiges zu den Nebenreihen Encounters, Panorama und Forum. Über die Kinder- und Jugendsektion Generation hingegen gibt es sehr wenig zu lesen. Das mag zum Teil an dem Irrglauben liegen, dass Filme über Kinder zwangsweise auch Filme (ausschließlich) für Kinder sein müssen. Diese geringe Aufmerksamkeit ist gerade deshalb bedauerlich, weil die Berlinale hier fast jedes Jahr ein paar echte Juwelen versteckt – meist von jungen Regisseur*innen, die noch keinen großen Namen haben, dafür aber mitunter mehr zu sagen als manch arrivierter Filmemacher, der kraft seines Renommees den Wettbewerb verstopft.
Familie im uneigentlichen Sinne
Lee Ji-euns Langfilmdebüt The Hill of Secrets (Bimileui eondeok, 2022) ist ein solches Juwel. Ähnlich wie die Filme von Hirokazu Kore-eda spürt dieses Drama mit viel Feingefühl und Wärme der Frage nach, was Familie bedeutet. Im Mittelpunkt steht die zwölfjährige Myung-eun (Moon Seung-a) – ein sensibles Mädchen mit großem Schreibtalent und noch größeren Schamgefühlen angesichts seiner eher einfachen Arbeiterfamilie. Myung-eun erfindet mit viel Aufwand eine alternative Familiengeschichte, die sie ihrer Lehrerin und ihren Mitschüler*innen auftischt. Natürlich muss dieses Kartenhaus irgendwann in sich zusammenfallen. Doch zuvor läuft sie erst mal von zu Hause weg und lebt eine Weile bei ihrem Ersatzonkel und ihrem Ersatzopa, die zwar nicht im eigentlichen Sinne Familie sind, im uneigentlichen Sinne aber vielleicht die bessere Familie für Myung-eun.

Regisseurin Lee Ji-eun lässt ihre Protagonistin eine Kaskade von Emotionen durchleben, die mindestens so komplex ist wie die Gefühlswelt von Erwachsenen: die Suche nach Anerkennung und Liebe, Freude, Enttäuschung, Verlegenheit, Eifersucht, Schuld, Verzweiflung, innere Zerrissenheit. Sie hat zudem das große Glück, mit Moon Seung-a eine junge Schauspielerin gefunden zu haben, die all diese Gefühlslagen nuanciert vermittelt. Wenn Myung-eun vor Freude hüpft, strahlt man auch im Kinosaal mit – und wenn sie den Kopf weinend auf den Tisch fallen lässt, zerreißt es einem ein bisschen das Herz. Das Drehbuch macht dabei nicht den Fehler, sie als makellose Heldin aufzubauen – stattdessen ist Myung-eun eine Figur mit Fehlern, Schwächen und Widersprüchen, ein Mensch eben. Sie lügt, betrügt hier und da und verletzt andere Menschen.
Kleine Gesten, große Fragen
The Hill of Secrets arbeitet viel mit kleinen Gesten, in denen die eher verschlossenen Figuren ganz zart ihre Gefühle offenbaren: Am schönsten ist eine Szene, in der Myung-euns Mutter – eine eher raue, unsentimentale Fischverkäuferin – alles geben muss, um ihre Rührung zu verstecken und nicht vor lauter Stolz über die ihr eigentlich so fremde Tochter zu platzen. Doch neben diesen kleinen Gesten streift der Film auch ganz große Fragen: Irgendwann muss sich Myung-eun zwischen Ehrlichkeit und Rücksichtnahme, Egoismus und Empathie, Erfolg und Familie entscheiden. Sie hasse ihre Familie, gesteht sie ihrer Lehrerin einmal voller Schuldgefühle. Am Schluss wird sich zeigen, wie sehr sie sie gleichzeitig liebt.
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