The Highwaymen – Kritik

Gut 50 Jahre nachdem Bonnie und Clyde zu Kino-Helden der Counterculture wurden, erzählt John Lee Hancock die Geschichte aus der Perspektive der Gesetzeshüter. The Highwaymen legt dabei offen, was den konservativen Backlash so attraktiv macht.

Das ’68 Hollywoods

Schon ohne John Lee Hancocks The Highwaymen überhaupt gesehen zu haben, könnte man angesichts seiner Prämisse fragen: Ist es Zufall, dass in diesen unseren Zeiten ein Film ins Ki…, äh, ins Netflix-Kuddelmuddel eingespeist wird, der sich anschickt, die Legende von Bonnie und Clyde zu reparieren, sie aus der Sicht der Jäger anstatt der Gejagten zu erzählen, also jener Texas Ranger, die das berühmteste aller Gangsterpärchen in einen Hinterhalt gelockt und umgenietet haben? Arthur Penns Bonnie und Clyde stammt zwar aus dem Vorjahr, erscheint aber zumindest aus der Retrospektive als eine Art ’68 Hollywoods: das Gangsterduo als stylishes couple on the run, die Counterculture als bewaffnete Befreier des einfachen, finanzkrisengebeutelten Volkes, zwei Kinohelden für die gegen das Vietnamnuklearrassimus-Amerika aufbegehrende Jugend. So ambivalent der Film selbst mit seinen Figuren auch umgehen, so sehr er die eigene Romantisierung auch reflektieren mochte, gegen seine historische Funktion konnte er sich kaum wehren: Bonnie und Clyde übertrug den Robin-Hood-Mythos in die Sixties-Popkultur und brachte das hippe Anti-Establishment-Ethos der Studentenbewegung ins Kino. Das schrie eigentlich schon damals nach Rache.

Pflicht und Abenteuer

Antwortet 2019 also nun auf 1967? Ist The Highwaymen letzter Beweis für eine komplette Umkehrung kultureller Hegemonie? So einfach ist das natürlich nicht. Zunächst einmal ist Hancocks Film in formaler Hinsicht ein Gegenstück zu Arthur Penns Klassiker, bringt nicht nur rechtschaffene Gesetzeshüter gegen skrupellose Verbrecher in Stellung, sondern rehabilitiert auch das alte gegen das neue Hollywood, das mit Bonnie und Clyde einst seinen Anfang nahm. Lang und langsam ist dieser Film, bleibt auf Distanz, verzichtet auf darstellerische Manierismen wie auf kühne Montagen, sieht den von Kevin Costner und Woody Harrelson gespielten Texas Rangern Frank Hamer und Maney Gault vielmehr geduldig dabei zu, wie sie sich zu einer letzten Jagd auf das Gangsterpärchen überreden lassen, sich mit Vorgesetzten und FBI herumplagen müssen, sich schließlich über Regeln hinwegsetzen und ihre Pflicht erfüllen. 1967 brauchte Bonnie in der Anfangssequenz nicht lange, um sich Clyde anzuschließen: Der Ruf des Abenteuers war zu verlockend, das Banjo auf dem Soundtrack legte ja schon los. 2019 grübelt der alte Hamer eine Weile und hört auf seine Frau, aber dann kann auch er nicht anders: Der Ruf der Pflicht ist zu wichtig, und das Cello spielt ja auch schon pflichtschuldig mit.

Um jenen Kugelhagel in waghalsiger Zeitlupe, der Penns Film einst beschloss und dem Gangsterpärchen ihren existenzialistischen Tod schenkte, als durchaus angemessene Strafe erscheinen zu lassen, streut das Drehbuch von The Highwaymen immer wieder Hinweise auf die Grausamkeit der Barrow Gang in den Plot. „Robin Hood hat niemals einen unschuldigen Tankwart erschossen“, wird da unbedarften Journalisten entgegnet, die anbrachten, die Gejagten würden in Teilen der Bevölkerung – dank ihrer Überfälle auf die während der Großen Depression nicht gerade hoch angesehenen Banken – verehrt wie einst der Rächer aus dem Sherwood Forest. Später wird Hamer einen anderen Tankwart, der es wagt, sich offen auf die Seite von Bonnie und Clyde zu stellen, kurzerhand verprügeln; zu wütend ist der eigentlich längst Ruhestandsreife über die naive Romantisierung von Copkillern. Die Realität von Gewalt, in Penns Film noch zugleich ambivalentes Sujet wie schockhaft in die erst mal heiter vorgetragene Erzählung einbrechender Affekt, ist in The Highwaymen wieder ganz Thema moralischer Debatten – und die werden letztlich in einer störrischen Gewaltmonopol-Logik erstickt. „Goddamn animals“, können die Polizisten nur noch stammeln, als sie die Leiche eines Opfers der Barrow Gang entdecken.

Feindbild Follower

Tiere sind also hier nun die Antagonisten, die in Penns Film noch eher liebevolle Karikaturen des Establishments und der spießigen Mittelschicht waren. Und gutmütige, pflichtschuldige, ehrenhafte Männer sind die Helden, wandelnde Anachronismen, von Hancocks nostalgischem Gemüt umschmeichelt. „Do you ever think maybe it ain’t in us no more?“, fragt Gault einmal am Rande der Verzweiflung. Hamer sagt nichts, und das sagt alles. Über Bonnie und Clyde heißt es dagegen einmal: „They’re more popular than movie stars“, und als The Highwaymen dann die Fans der Gangster ins Bild setzt, könnte dieses Bild nicht weiter entfernt sein von den depressionsgeplagten Farmern, die den beiden in der 1967er-Fassung ihren Segen gaben. Während dieses „einfache Volk“ auch bei Hancock hie und da mal auftritt, als Chauffeur des Polizeichefs etwa, springt um das Auto der Barrow Gang eine hysterische Masse herum, vollkommen fremdbestimmt durch einen dem Film unheimlichen Persönlichkeitskult. Kein Wunder, dass wir Bonnie und Clyde selbst kaum mal zu Gesicht bekommen, hält Hancock sie doch für so austauschbar, wie ein 63-jähriger Regisseur die Instagram- und YouTube-Stars der Gegenwart wohl für austauschbar hält.

Kein Wunder auch: Während Bonnie Parker 1967 noch eine selbstbestimmte Frau sein durfte, gleichberechtigter Teil einer Verbrechergang und, im außerfilmischen Universum, Pionierin eines 1930er-Retro-Fashion-Trends, ist Weiblichkeit in Hancocks Film skandalöses Thema und visuelles Spektakel: Da schwadronieren die beiden alten Männer darüber, dass sie noch nie eine Frau getötet haben, und in einer der wenigen Szenen, in denen wir das Gangsterpärchen in Action erleben, sehen wir von Bonnie nur die Stöckelschuhe in Großaufnahme. Das mag ein bewusst klassizistischer Umgang mit tradierten Motiven sein, der narrative Gehalt dieser Motive wird aber bierernst genommen. Auch die kurze licence-to-kill-Szene kommt nicht als wissend witzelnder Genregrizzly daher, sondern als betrübt stirnrunzelnder Erklärbär: Clydes Vater darf den Jägern deutlich machen, dass sein Junge nicht immer so war, ja dass er als Kind mal Musiker werden wollte, aber dann gibt er den Gesetzeshütern eben doch seinen Segen. Ganz ohne Nostalgie lässt sich also nüchtern festhalten: 1967 rächte die Gegenkultur das kapitalismusgebeutelte Volk und machte sich über eine trottelige Staatsmacht lustig; 2019 stellt die Staatsmacht gegen diese „goddamn animals“ und ihre Instagram-Follower Recht und Gerechtigkeit wieder her.

Faktenchecks und Schulterklopfen

Nun waren 1967 die Erzählungen schon so umkämpft, wie sie es heute noch sind, und die politische Umkehrung kultureller Dynamiken ist nichts, was unserer Gegenwart eigen wäre. Es dauerte auch damals schließlich nur ein paar Jahre, bis das Kino des New Hollywood von Selbstjustizlern bevölkert wurde, die angesichts steigender Kriminalitätsraten rot sahen oder aus dem Polizeidienst heraus allzu lasche Gesetze aushebelten und auf eigene Faust gefährliche Killer dingfest machten. Und schon während der zeitgenössischen Rezeption von Bonnie und Clyde sollte den filmischen Mächten des Falschen mit den Fakten der Geschichte beigekommen werden, wurden in der US-amerikanischen Presse Angehörige des echten Frank Hamer porträtiert, die den Film verurteilten, wurde der Romantisierung entschlossen entgegengetreten, wurde schon damals erklärt, was Hancock heute meint in Film gießen zu müssen: Helden waren das nun wirklich nicht!

Diese filmkritische Version des Faktenchecks nimmt gegenüber The Highwaymen, also mit veränderten politischen Vorzeichen, nun SZ-Redakteur Tobias Kniebe ein, der seinen Text zu Hancocks Film um den Umstand baut, dass der Zeuge, der einst für eine besonders grausame Episode in der Karriere von Bonnie und Clyde bürgte, „längst diskreditiert“ sei. Kollege Wieland Freund von der Welt labt sich derweil am „radikalen Perspektivwechsel“ eines Films, in dem zwei alte, weiße Männer ein romantisches Gangsterpaar jagen, und fragt treudoof rhetorisch: „Ist das jetzt reaktionär?“ Vielleicht ist die Netflix-Produktion also weniger Beweis eines Zeitenwandels als neuerliche Illustration der vorhersehbaren Reaktionen auf diesen Wandel. Die liberale Öffentlichkeit hantiert beleidigt mit Gegenfakten, die konservative übt sich im unschuldigen Schulterklopfen derjenigen, die es wagen, mutig gegen den angeblich linkswärts fließenden Strom zu schwimmen.

Eigentümliche Affinitäten

Dabei müsste man der Logik des Kulturkampfes vielleicht mal lieber entkommen und fragen, was da bei aller Umkehrung noch eigentümlich gleich bleibt. Schon damals ging es nicht einfach um Backlash, sondern auch um Aneignung. Auch Dirty Harry jagte nicht einfach nur einen Hippie-Killer, sondern holte mit seiner Old-School-Coolness die in den „narzisstischen“ 1970ern langsam ermüdende Counterculture-Hipness wieder affektiv ein, um sie in den Dienst der schweigenden Mehrheit zu stellen, arbeitete den Anti-Establishment-Ethos in die eigene Persona ein, verlegte den Kampf gegen das System ins Innere dieses Systems: Eigenbrötler gegen Paragraphenfetischisten, „I don’t know about the law, but I know what’s right and wrong.“ Auch in The Highwaymen geht es nicht einfach nur um den Kampf zwischen Gegenkultur und Establishment. „How is the view up there, Mr. Hoover, you high-flying sissy“, sagt Hamer einmal in Richtung des FBI-Hubschraubers, der elitär über den Köpfen der Texas-Ranger-Underdogs kreist.

Was die politische Umkehrung also schließlich überlebt, ist das transgressive Begehren, die Affektpolitik der legitimen Grenzüberschreitung. In einer zentralen Szene in Penns Film jagte das Auto der Barrow Gang einst von Texas nach Oklahoma rüber, während die mit der Verfolgung beschäftigten Cops plötzlich bremsen mussten: Polizeiliche Autorität war Mitte der 1930er Jahre noch an Staatsgrenzen gebunden. Die Szene war nicht nur Gag im Sinne eines gegenkulturellen mocking-the-establishment, sondern zehrte auch von der politischen Fantasie, dass Counterculture und Establishment unterschiedliche Zeit- und Räumlichkeiten bewohnten, dass allein durch Geschwindigkeit, Style, Tabubruch, Grenzüberschreitung gesellschaftliche Veränderung möglich werden würde, das starre System im wahrsten Sinne des Wortes ausgebremst werden konnte.

Auch in The Highwaymen erinnert der Auftraggeber den Texas Ranger zu Beginn: „Technically your job ends at the state line.” „Technically …“, wiederholt Hamer, schon im Proto-Vigilante-Modus. Und klar lässt Hancock es sich nicht nehmen, die hier bereits sorgsam vorbereitete Grenzüberschreitung zu genießen. Als Hamer und Gault auf dem Highway gestoppt werden, als Oklahoma übernehmen will, setzen die beiden ihr Auto zwar erst zurück, brechen dann aber durch die Sperre der Kollegen und erweitern damit ihr Gebiet. „It’s open range now“, sagt Gault. Die Fantasie der Systemflucht wird zur Fantasie extralegaler Staatsmacht. Nicht die Umkehrung an sich ist also gefährlich, denn der Kampf um kulturelle Hegemonie ist kein Schachspiel, in dem nur mal eben die Farben getauscht werden. Gefährlich ist, dass der Rechtsruck sich seine Energie nicht vom Bewahren, sondern vom Überschreiten von Grenzen holt, nicht den Marsch durch die Institutionen antritt, sondern das offene Feld sucht, sich ausgerechnet das zu eigen macht, was der Gegenkultur einst eine derartige Power gab, dass sie noch immer unsere Welt bestimmt und zum Volksfeind Nummer Eins geworden ist.

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