The Great Pretender – Kritik

Woche der Kritik 2019: Ein Theaterstück, vier Perspektiven – In The Great Pretender erzählt Nathan Silver von amourösen Verflechtungen zwischen schönen Französinnen und bärtigen Amerikanern, ob als Beziehung, als One-Night-Stand oder als Sex mit dem Ex.

Alles weichgezeichnet in diesem Film, auch die Liebe. Den Blick immer nur für den Moment haben, und für jene, mit denen man ihn teilt. Egal was war, egal was sein wird. Leben im Close-up, kein Sinn für Totalen. Und selbst wenn die Kamera mal eine ganze Szenerie fokussiert, ist es, als hätte die Welt keine Struktur, als würde alles irgendwie ineinander übergehen. Der Bildhintergrund bleibt oft diffus, besteht aus Schemen oder einfarbigen Flächen. Lichtquellen erhellen selten Objekte, sondern fransen sich lieber Farbflächen aus, die das Schleierhafte noch verstärken, das über den Gesichtern im Vordergrund liegt. In dieser sanften Welt ist Verführung in aller Regel einfach, und so landet man in Nathan Silvers The Great Pretender denn auch häufig im Bett.

Libidinöse Algebra

Manchmal sind auch konkrete Schleier im Bild, etwa die wahnwitzigen rosa Gardinen von Thérèses (Esther Garrel) Schlafzimmer in Brooklyn, in dem Chris (Keith Poulson) einmal verkatert aufwacht und sich an nichts erinnern kann, oder wenigstens gibt er das vor. Thérèse ist trotzdem ganz verzückt, dass da überhaupt einer liegt, erzählt das gleich ihrer Mama im fernen Frankreich, die ihre Tochter nur ins nächste Unglück rennen sieht. Thérèse ist, man kann das kaum anders sagen, das naive Dummchen dieses Films. Sie hat noch nie gekifft und trinkt auch fast nie, erzählt sie einmal dem Skype-Gesicht von Mona (Maëlle Poesy-Guichard), der Regisseurin, in deren Theaterstück Thérèse gerade die weibliche Hauptrolle probt und Chris die männliche.

Noch vertrackter wird The Great Pretender, weil sich das Stück um Monas letzte Beziehung dreht und Thérèse jetzt den echten Ex-Freund kennenlernen will, um ihre Rolle besser zu verstehen, wie sie sagt, aber eigentlich um Mona als Nebenbuhlerin um Chris zu verlieren, weil sie hofft … Es ist ja auch egal, jedenfalls ist das Quartett mit Nick (Linas Phillips) dann komplett, und das ist die Hauptsache: Libidinöse Algebra mit zwei schöne Französinnen und zwei nicht im herkömmlichen Sinne attraktiven Amerikanern. Thérèse vergleicht Chris’ Bart einmal mit dem “Schamhaar einer seriösen Frau”, und aus ihrem naiv-verliebten Voice-over klingt das tatsächlich wie ein Kompliment. Nick kriegt Mona zu einem letzten Sex mit dem Ex rum, indem er die alte Gorilla-Nummer aufzieht, sich mit den Fäusten auf dem Boden vor ihr aufstützt und “wild” guckt. “Was man für blöde Sachen macht, wenn man zusammen ist”, kommentiert Mona im Voice-over, aber das spricht ja auch aus der Zukunft. Im Moment gibt’s trotzdem Sex.

Bis zur Uraufführung

Eben, das Voice-over: Silver spaltet seinen Film säuberlich in vier Perspektiven auf. Alle Figuren kommen in den 70 Minuten für eine Weile zu ihrem Recht, erinnern sich, denken nach über die Liebe, dumme Fehler, Geschlechtskrankheiten, Eifersucht. Am Ende kommt’s zur Uraufführung. Mona sitzt nervös im Publikum, Nick ist auch gekommen, Chris hat einen textlichen Aussetzer, Thérèse verzweifelt deshalb auf der Bühne. Herrlich unernst nimmt Silver diese Leute und macht sie doch nicht lächerlich. New Yorker Kreativlinge und solche, die es werden wollen, bisschen bescheuert halt, aber irgendwie auch sweet. Man kreist sanft um sich selbst, macht Theaterstücke draus, dreht dann Filme drüber. Unterwegs wird verführt, das scheint dem Film wichtiger als alles, was daraus entstehen könnte, wichtiger als alles, was vorher war. Beziehungen sind ja doch nur Theater. Mal trifft man’s auf den Punkt, mal vergisst man den eigenen Text komplett. Besser gleich nur so tun, als ob.

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