Evil Dead – Kritik
„Cold Turkey has got me on the run.“ Regiedebütant Fede Alvarez dreht eine spannende Variation auf Sam Raimis blutigen Horrorklassiker.

Das waren noch Zeiten, als junge Horrorregisseure mit wenig Geld und ohne Rücksicht auf Verluste ihre Debütfilme realisierten. Da wurden Freunde, Verwandte und angehende Schauspieler rekrutiert, mit bescheidenen Mitteln versucht, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen und im Idealfall ein Werk vollendet, das in die Annalen der Filmgeschichte eingehen sollte. Viele Klassiker des Genres sind auf diese Weise entstanden: George A. Romeros Die Nacht der lebenden Toten (Night of the Living Dead, 1968), Tobe Hoopers The Texas Chain Saw Massacre (1974) und auch Sam Raimis Tanz der Teufel (Evil Dead, 1981), ein Schlüsselwerk des Splatterfilms, dessen ungekürzte Fassung auch drei Jahrzehnte nach seiner Entstehung in Deutschland noch auf dem Index steht.

Die Zeiten haben sich geändert, was allerdings kein Grund ist, nostalgisch zu werden. Vielmehr ist es eine natürliche Entwicklung, dass sich dem Nachwuchs mittlerweile andere Möglichkeiten bieten, ins Filmgeschäft einzusteigen. Heute können junge Regisseure mitunter Erstlingswerke drehen, die zwar über ein hohes Budget verfügen, dafür aber auch keine großen Experimente wagen, weil sie an der Kinokasse funktionieren müssen. Der aus Uruguay stammende Fede Alvarez bekam etwa den Auftrag, ein Remake von Tanz der Teufel neu zu schreiben und zu inszenieren, und das ohne zuvor einen einzigen Langfilm realisiert zu haben. Lediglich sein im Internet verbreiteter Kurzfilm Panic Attack! (Ataque de pánico!, 2009) diente als Bewerbungsvideo für Hollywood. Eine Methode, die momentan Schule macht: Auch der Spanier Andrés Muschietti konnte vor kurzem seinen Debütfilm Mama auf diese Weise realisieren.

Nun ist ein Remake sicher nicht die dankbarste Aufgabe für einen Nachwuchsregisseur. Im Sinne der Produzenten geht es meist nur darum, dem in die Jahre gekommenen Original eine eher oberflächliche Verjüngungskur zu verpassen. Alvarez gelingt jedoch mehr: eine spannende Variation von Raimis Original, die ihren eigenen Weg geht. Der Unterschied zwischen den Filmen liegt dabei nicht nur in den verschiedenen Produktionsbedingungen begründet – immerhin ist Evil Dead im Gegensatz zu seinem Original durchprofessionalisiert und nicht gerade budgetarm –, sondern auch in seiner anderen Lesart des Stoffes. Raimi versuchte seinerzeit nicht davon abzulenken, dass ihn vor allem das Baden in Eingeweiden interessierte. Das Setting von Tanz der Teufel war denkbar einfach: Eine Gruppe von College-Studenten verbringt ein Wochenende in einer abgelegenen Waldhütte, beschwört aus Versehen einen besitzergreifenden Dämon und wird daraufhin auf alle erdenklichen Arten niedergemetzelt.

Auch wenn Raimi gerade die Paranoia seiner Hauptfigur mitunter sehr fesselnd umsetzt, ist die wahre Attraktion doch das unappetitliche Schlachtfest, das sich aus dem Wochenendtrip entwickelt. Mit deutlichem Augenzwinkern zelebriert der Film Scheußlichkeiten, ohne sich mit Figurenzeichnung oder einer ausgeklügelten Handlung aufzuhalten und auch ohne sadistisch zu sein. Denn obwohl sich der Unterhaltungswert von Tanz der Teufel überwiegend aus spritzenden Körperflüssigkeiten und abgetrennten Gliedmaßen schöpft, hat das alles mit der Wirklichkeit herzlich wenig zu tun. Gewalt ist hier bis zur Karikatur überzeichnet, der Realität entrissen und zum Spaß erhoben.

Alvarez’ Version wird dagegen von einer nicht zu unterschätzenden psychologischen Dimension geerdet. Schon der Grund für den Wochenendtrip ist ein anderer: Abseits von der Zivilisation wollen die Ausflügler Mia (Jane Levy) helfen, ihren Drogenentzug durchzustehen. Und auch ansonsten ist die Handlung dramatisch viel stärker aufgeladen. So bilden ein Familienzwist und die Angst vor dem Tod die sozialrealistischen Vorzeichen, unter denen Alvarez die alte Geschichte auf neue Weise erzählt: Mit ernsterem Grundton, neuen Wendungen, stärker angezogener Spannungsschraube und – man mag es kaum glauben – auch deutlich brutaler.

Dabei ist dem Film vor allem die Analogie zwischen Drogensucht und Besessenheit durchaus gelungen. Der kalte Entzug dient als dunkle Vorahnung dessen, was Mia und später auch die anderen noch ereilen wird. John Lennon hat in der ersten Strophe seines Songs Cold Turkey einmal die Qualen des Entzugs folgendermaßen beschrieben: „Temperature’s rising. Fever is high. Can’t see future. Can’t see no sky. My feet are so heavy. So is my head. I wish I was a baby. I wish I was dead.“ Lennon spricht von einem totalen Kontrollverlust, sowohl über den eigenen Körper als auch über den Geist, fast als ergriffe eine fremde Macht von ihm Besitz. Als Mia nach einem Fluchtversuch in die dunklen Tiefen des Waldes mit den typischen Symptomen einer Drogenabhängigen zurückkehrt, ahnt noch niemand, dass sie die Kontrolle nicht an die Sucht, sondern an den Teufel verloren hat. Ohnmächtig stehen ihr die anderen gegenüber und versuchen selbst noch die heftigsten Reaktionen mit Mias Gesundheitszustand zu rechtfertigen.

Ein Film seiner Zeit ist Evil Dead, weil er nicht ganz resistent gegen die aktuellen Modeerscheinungen des Horrorkinos ist. Besonders in der ersten Hälfte gibt es immer wieder Parallelen zu den momentan schwer angesagten Genrebeiträgen, die sich mit Exorzismus beschäftigen. So stellt Alvarez einen Prolog über ein besessenes Mädchen an den Anfang und lässt seine Dämonen nicht nur Körperflüssigkeiten von sich geben, sondern auch reichlich Obszönitäten. Evil Dead entzieht sich jedoch der für dieses Subgenre üblichen reaktionären Lesart: Hier ist es eben kein Vertreter der Kirche, der dem Bösen die Stirn bietet. Vielmehr wirken die Dämonen wie Inkarnationen der Traumata der Figuren. Während Mia durch ständiges Erbrechen und Selbstverletzungen einem Cold Turkey der Superlative erliegt, muss ihr älterer Bruder, Sonnyboy David (Shiloh Fernandez), für die Sünden der Vergangenheit büßen: Weil er die sterbende Mutter damals nicht im Krankenhaus besucht hat, wird er nun auf besonders hässliche Art und Weise mit dem Tod konfrontiert.

Abgesehen von diesen dramatischen Untertönen ist Evil Dead vor allem ein Film der Extreme. So einfach das Rezept dieses gedärmetriefenden Kammerspiels ist, so wirkungsvoll weiß es der Regisseur umzusetzen. Wenn hier mit immer neuen Methoden der menschliche Körper angegriffen und auseinandergenommen wird, ist das nicht weniger als gute Unterhaltung. Vorausgesetzt, man kann zumindest ein bisschen etwas mit dem Genre anfangen. Dann ist es nämlich nicht nur Ekel, der einen beim Anblick von Blutfontänen und abgetrennten Gliedmaßen überkommt, sondern auch eine masochistische Freude.
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Kommentare
etienne
Bin schon gespannt auf diesen Film. Man hört so einiges wie er sein soll, aber am Besten ist es, wenn man sich selbst ein Bild macht. Ich habe schon öfters gelesen, dass Evil Dead weniger ein Remake ist als ein eigenständiger Film. Aber wie gesagt, abwarten und selbst ansehen... dauert schließlich nicht mehr lange bis zum deutschen Kinostart.
Stefan Jung
Komme gerade aus der Vorpremiere. Der Saal war fast voll, aber so richtig supergut unterhalten haben sich nur wenige aus dem Publikum.
Der Film ist eine eigenständige Neuinterpretation, ja. Aber nun kein Biest von einem Film, das einem den Atem verschlägt. Tatsächlich fand ich die Idee anfangs reizvoll, den Humor des Originals fast vollständig aus der Gleichung zu streichen und ich muss zugeben, dass mich einzelne Sequenzen, zu denen ich definitiv auch den Schluss zählen muss, beeindruckt haben.
Doch dann das Ganze. Diese fast schon altbacken wirkende 'Wer ist der nächste?'-Zerstückelungsorgie hat mich irgendwie gelangweilt. Klar, die Effekte (fast ausschließlich phänomenale Prothesen- und Make-up-Kunst) allein sind den Eintritt schon wert. (Und es ist generell toll, dass dieser Film in dieser Fassung tatsächlich in die deutschen Kinos kommt.) Auch die Kamera vermittelt stimmungsvolle Bilder, aber bereits hier bleibt der Film stilistisch eine Zeit lang redundant.
Mir fehlte ganz einfach die Spannung, das erhoffte, so krasse Schaudern, das man von dieser 'ernsten' Neuinterpretation durchaus hätte erwarten können. Da würde ich im Diskurs ansetzen und Sam Raimis Fähigkeit, mit fast null Budget extrem unterhaltsamen Splatter zu kreieren mit Alvarez' erkennbarer Ambition vergleichen bzw. die visuelle Fertigkeit der beiden Regisseure genauer gegenüberstellen. Und obwohl Raimis Schocker merklich komödiantischer war, war er m.E. dennoch auch schockierender, jedoch nicht auf Grund von hochroten, bluttriefenden Bildern, die dieser Film hier vor allem am Schluss in geradezu poetischer Anmut bietet, sondern aufgrund seiner Frechheit.
Der neue EVIL DEAD ist vielleicht brutaler, aber nicht frecher, und demnach für mich auch nicht spannender, unterhaltsamer, geschweige denn schockierender.
bruckner
finde ihn als hommage an das original gelungen, im dialog sehr cool... kurzweilig.
http://manfredbruckner.blogspot.co.at/2013/06/evil-dead-everythings-gonna-be-okay.html
bruckner
finde, dass herrn alvarez eine schöne, kurzweilige hommage ans original gelungen ist. interessanter ansatz betr. story, da hätte sich ev. mehr draus machen lassen... wiewohl - dann hätte er sich vom original wahrscheinlich weiter weg bewegen müssen.
4 Kommentare