The Editorial Office – Kritik
Berlinale 2024 – Forum: Roman Bondarchuk begann seinen Film um einen Biologen in einer unseriösen Zeitungsredaktion vor der russischen Invasion in Cherson, stellte ihn nach Besetzung und Befreiung der Stadt fertig. The Editorial Office zeigt in skurrilen Episoden eine Gesellschaft, an der man verzweifeln möchte.

Die Welt gerät außer Kontrolle. Auf der Suche nach Murmeltieren, die im Gebiet um Cherson als ausgestorben gelten, entdeckt der junge Biologe Jura (Dmytro Bahnenko) Brandstifter. Von seinem erhöhten Standpunkt aus kann er sie gut fotografieren, wird dann aber beinahe von den aus dem in Flammen stehenden Wald fliehenden Tieren überrannt. Roman Bondarchuk beginnt seinen zweiten Spielfilm The Editorial Office (Redaktsiya) mit einem gewaltvollen, aufsprengenden Bild. Weder die regionalen Zeitungen noch das städtische Naturkundemuseum zeigen Interesse für Juras Beweise und seine Aufnahmen von den Tätern. Das Museum entlässt ihn ohne Angaben von Gründen.
Beunruhigende Assoziationen

Wenn Jura aus dem Fenster blickt, dann sieht er nicht nur die schwarzen Rauchwolken aus dem Wald. Unweit von Cherson kämpft seit Februar 2014 die russische Armee. Die Dreharbeiten von The Editorial Office begannen vor der Eskalation des Krieges 2022 und wurden erst später – nach der Besetzung und Befreiung Chersons – fertiggestellt. Da der Krieg, den man sich beim Schauen dieses Films nicht wegdenken kann, kaum unmittelbar vorkommt, wirkt der Film zunächst eigentümlich un-gegenwärtig. Umso beunruhigender daher die Assoziationen, die sich aufdrängen. Schon die aus der Ferne aufgenommenen, einheitlich gekleideten Brandstifter erinnern an die verdeckt operierenden russischen Soldaten auf der Krim, die schnell als Grüne Männchen bekannt wurden.
In Cherson leben die Menschen am Rande des Kriegsgeschehens, wie schon die Dorfbewohner in Bondarchuks Dokumentarfilm Ukrainian Sheriffs (2015). Während die Verdrängung dort noch etwas Unheimliches hatte, wird sie hier zum paradoxen Prinzip: Wir konnten uns eher das Ende der Welt vorstellen als einen Angriff auf das gesamte Land. Anders verhält es sich mit den Bildern nach dem Krieg, die Bondarchuk vorrausschauend einlöst.
Keine falschen Auswege

Jura lebt in einer gestörten Welt, zu deren Prinzip es gehört, dass sich unwahrscheinliche Zufälle kausal aneinanderreihen. Eine nur selten seriöse, aber auflagenstarke Tageszeitung nimmt ihn in seine Redaktion auf. Das Ziel des Chefredakteurs ist die Wiederwahl des Bürgermeisters, der, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, schon lange im Koma liegt. In den aberwitzigen Episoden, von sich mafiös bekriegenden Bestattern, gestohlenen Leichen, einer Attrappen-Pipeline und einer festgesetzten Influencerin – in den Geschichten lassen sich in Teilen reale, zumindest kolportierte Fälle wiedererkennen –, zeigt sich eine Gesellschaft, an der man verzweifeln möchte. Gegen die Menschen um ihn herum kann sich Jura kaum durchsetzen. Wenn sie nicht leichtgläubig sind, dann verhalten sie sich korrupt und gewalttätig. Schließlich eskaliert die Welt vollends, ein Sturm weht diesen Film in den Bereich Fantasy. Die beständige Produktion von Fake News wird damit überboten.
Mit dem Nachweis, dass in der Steppe hinter Cherson Murmeltiere leben, könnte das Gebiet Teil eines europäischen Naturschutzprogrammes werden. Das Murmeltier wird zu einem der vielen Hoffnungsschimmer, die diesen Film durchziehen. Am Ende bleibt The Editorial Office aber aufrichtig, indem er keine Auswege aufzeigt, die eigentlich unerreichbar sind. Der Film zeigt ein Land der Widersprüche, das mit brutaler Skurrilität anzuprangern und es gleichzeitig wert ist, verteidigt zu werden.
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