The Death of Stalin – Kritik

Eine Schulhof-Rangelei mit Standrecht – The Death of Stalin inszeniert die Machtkämpfe nach Stalins Tod als überdrehte Posse. Die Bilderarmut der tatsächlichen stalinistischen Herrschaft lässt die Energie des Films dabei unkontrolliert übersprudeln.

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Kaum etwas mutet so wenig proletarisch oder volksnah an wie der Apparat der stalinistischen Bürokratie. Selbst zeitgenössische Propagandabilder – in denen Stalin etwa ein jauchzendes Kind im Arm hält oder (wie in dem Film Padenyie Berlina / The Fall of Berlin) einem Fabrikarbeiter weise Ratschläge zur Lebensführung erteilt – scheinen nicht so sehr auf einen Eindruck von Nähe und Erreichbarkeit abzuzielen. Vielmehr sollen sie vor allem den immensen Höhenunterschied erfahrbar machen, den der Herrscher überwinden muss, um sich mit den Angehörigen des Volkes auf Augenhöhe zu begeben. Trotz aller klassengemeinschaftlichen Rhetorik scheint der Stalinismus gerade auf propagandistischer Ebene eine beinahe unüberwindbare Distanz zwischen Herrschern und Beherrschten zu bekräftigen – der Herrscher ist zwar visuell allgegenwärtig, aber dennoch ein undurchdringliches Mysterium.

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Von den inneren Abläufen und Intrigen des stalinistischen Machtapparats konnten so keine prägnanten Bilder entstehen, die Jahrzehnte später noch lebendig wären. Die tatsächliche Mechanik der Herrschaft war nie zur Außendarstellung bestimmt, auch nicht in einer geschönten oder propagandistisch verzerrten Form. Das einzige Bild, das diese Herrschaft von sich entstehen ließ, war das ihrer eigenen Undurchschaubarkeit. Somit ist Stalin auch in unserer heutigen Vorstellungswelt kein lebendiges Individuum, kein Mensch, der redet, sich bewegt oder persönliche Absichten verfolgt. Stalin, das ist eine Statue – starr, stumm und ohne jede Innerlichkeit.

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Die einzelnen Akteure der stalinistischen Herrschaft entziehen sich somit auch einer direkten Satire, sie bieten kein klares, mit individuellen Eigenschaften ausgestattetes Gegenüber, an dem man sich abarbeiten könnte. Und eben dies wird zum Problem für Armando Iannuccis The Death of Stalin, der die Machtspiele und Intrigen innerhalb des innersten Führungskreises der Sowjetunion unmittelbar nach Stalins Tod als überdrehte Posse inszeniert, mit hyperbolischen Schimpftiraden, wilden Raufereien und einem ungeordneten Mix aus amerikanischen und englischen, aber auf keinen Fall russischen Akzenten. Iannuccis Film ist durchdrungen von einem satirischen Gestus, als würde er mit lustvollem Elan ein über Jahre und Jahrzehnte gefestigtes Bild aufbrechen und schelmisch unterwandern – doch das Bild, gegen das er anzurennen meint, gibt es in der Eindeutigkeit, die der Film voraussetzt, eben nicht.

Der undynamische Tanz um eine Urinlache

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Dieses Fehlen eines klaren Gegenübers wird besonders deutlich, wenn man The Death of Stalin mit Iannuccis Fernsehserien The Thick of It und Veep vergleicht, in denen auf ähnlich ironisch-überhöhte Art die chaotischen inneren Abläufe eines britischen Regierungsministeriums bzw. des Büros einer fiktiven US-Vizepräsidentin dargestellt werden. Die inszenatorischen Muster und die grundlegende Atmosphäre sind in allen drei Produktionen nahezu identisch. Doch entwickeln die Serien ihre Dynamik zum einen durch die Reibung mit dem durch diverse Nachrichtenmedien gefestigten Bild demokratischen Regierens – und zum anderen dadurch, dass die dargestellten politischen Akteure immer dem Zwang unterworfen sind, ihr Handeln nach außen, auf eine Massenöffentlichkeit hin darzustellen.

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Derartige Reibungsflächen fehlen in The Death of Stalin nahezu völlig: Wenn Stalin im Watschelgang durch seine Gemächer huscht, wenn Chruschtschow, Geheimdienstchef Beria und diverse andere Mitglieder der sowjetischen Staatsführung sich um den bewusstlosen Körper des Diktators versammelt haben und vor allem damit beschäftigt sind, die Stalin’sche Urinlache zu umgehen, wenn ein General vor dem Vollzug einer Hinrichtung mit breitem englischen Akzent ein „Toodle-oo“ ausstößt – dann hat das kaum je die beabsichtigte komische Wirkung (wie man sie beim bloßen Lesen der Beschreibung vielleicht erwarten könnte). Die Pointe ist hier jeweils eine relativ simple, und sobald sie etabliert ist, rattern die Szenen nur mehr minutenlang unschlüssig vor sich hin – denn es fehlt eben jene ikonografische Substanz aus bereits etablierten Bildern, an der sich der Film abarbeiten und die ihm immer wieder eine neue, unerwartete Richtung geben könnte.

Eine wild um sich beißende Energie, die erst gegen Ende ihre Beute findet

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Somit entsteht im Laufe von The Death of Stalin trotz einiger effektvoller (wenn auch fast ausnahmslos im Trailer vorweggenommener) Situationen mehr und mehr der Eindruck einer gewissen Orientierungslosigkeit: In Ermangelung eines wirklichen Widerstandes strömt die wild um sich beißende Energie des Films irgendwann nur mehr unkontrolliert und unentschlossen in die Breite. Erst gegen Ende entwickelt The Death of Stalin ein eigenständiges thematisches Anliegen und bezieht sich nicht mehr lediglich auf ein nur unzureichend definiertes Außen, sondern entwickelt aus sich selbst heraus eine gewisse dramaturgische Struktur.

In seiner Schlussphase, als sich die chaotischen Wirren des Machtkampfes um die Führung des Sowjetstaates auf brutale Art und Weise langsam zu lösen beginnen, streift der Film auch den Tonfall der absurden Farce zunehmend ab und wird im Grunde zu einer düsteren Tragödie. Unter dem Druck der welthistorischen Situation und angesichts der permanenten Gefahr einer schnellen Hinrichtung versuchen die Figuren verzweifelt, zumindest den äußeren Eindruck von staatsmännischer Souveränität zu erwecken – aber die einzigen Handlungsmuster, auf die sie zurückgreifen können, sind dann doch nur die des Schulhofs: derbe Beschimpfungen, kindische Hänseleien und sinnloses Herumgeraufe. „Kann man jemals einem schwachen Menschen vertrauen?“, stellt Chruschtschow an einer Stelle als rhetorische Frage in den Raum. Die bittere Erkenntnis, die sich in dieser Frage äußert und die am Ende von Iannuccis Film steht, ist, dass es gar keine andere Art von Mensch gibt.

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