The Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke – Kritik
Der Europudding unter den Seuchenfilmen: In The Cassandra Crossing (1976) bewegt sich eine Krankheit in einem Fernzug von Genf in Richtung Stockholm und bleibt ein Problem der Ersten Klasse, während zwei alternde Filmstars voller Hoffnung auf einen schlappohrigen Hund starren.

Dem Hund geht es wieder besser! Er hatte sich in einem Todeszug einen Killerbazillus eingefangen und war dann per Hubschrauber und unter tätiger Mithilfe einer todesmutigen Sofia Loren evakuiert worden. Jetzt liegt er im Genfer Hauptquartier der WHO, in einer Isolationszelle, durch eine Glasscheibe getrennt von den Seuchenbekämpfungsexperten Burt Lancaster und Ingrid Thulin, die über die wundersame Heilung des Tieres staunen. Der Blick der beiden alternden Weltstars auf den schlappohrigen, seinerseits trüb-gutherzig dreinblickenden Hund der Hoffnung: Das ist ein wunderbarer Kinomoment, zu gleichen Teilen beknackt und anrührend.
Charme trotz deplatziertem Melodram

The Cassandra Crossing von 1976 ist der aufgeplusterte Europudding-Blockbuster unter den Seuchenfilmen. Leicht durchschaubar die Ambitionen der Beteiligten: Der Cinecitta-Mogul Carlo Ponti wollte mit der italienisch-britischen Koproduktion an den Erfolg amerikanischer Katastrophenhits wie Airport (1970) und The Towering Inferno (1974) anknüpfen, der griechischstämmige Regisseur George Pan Cosmatos fand in dem hoch budgetierten Spektakel ein Sprungbrett nach Hollywood (wo er in den 1980ern für zwei der ultimativen Sylvester-Stallone-Filme verantwortlich war: First Blood und Cobra), während Loren, Lancaster, Thulin sowie eine ganze Reihe weiterer Schauspieler_innen derselben Generation im Herbst ihrer Karrieren mit vergleichsweise wenig Aufwand einen vergleichsweise üppigen Gehaltsscheck einheimsen durften.

Das Ergebnis wurde seinerzeit von der Kritik in der Luft zerrissen, von heute aus betrachtet hat es jedoch einigen Charme. Ganz allgemein, weil The Cassandra Crossing bei weitem nicht so stromlinienförmig und zielgruppengerecht durchkalkuliert daherkommt wie das Franchise-Kino unserer Tage; vielmehr knarzt und bröckelt es in diesem Sammelsurium nur sehr provisorisch miteinander verlöteten Genreaffekte an allen Ecken und Enden. Ganz besonders deplatziert: Das Melodrama einer erkalteten Liebe, das Loren und Richard Harris inmitten der Seuchenhysterie durchzuexerzieren versuchen. Im Speziellen hat es in Zeiten von Corona etwas Tröstliches, zu sehen, wie hemdsärmelig Drehbuch und Regie mit der tödlichen Infektionskrankheit – es geht um eine Variante der Pest, mithin um eine Übertragung nicht per Viren, sondern per Bakterien – umspringen, die nominell im Zentrum des Films steht.
Hemmunglos exaltierte Schabrackenperformance

Es beginnt damit, dass die Krankheit (die ursprünglich, wie in zahlreichen Seuchen- und Virenfilmen, als Abfallprodukt einer militärischen Intrige entstanden war) in Windeseile in den Grenzen eines Fernzuges eingehegt wird, der von Genf in Richtung Stockholm unterwegs ist. Sie breitet sich also nicht unkontrolliert in der Bevölkerung aus, sondern bewegt sich isoliert, in rasendem Stillstand durch Europa. Tatsächlich gelingt es sogar, den Erreger von den Wagen der zweiten Klasse im hinteren Zugteil fernzuhalten. Die Pest-Ausbruch beschränkt sich in The Cassandra Crossing auf die Passagiere der ersten Klasse, bleibt ein Privileg der Privilegierten, darunter einige herausragende Exemplare der Leisure Class, allen voran Ava Gardner, die als Gattin eines deutschen Waffenfabrikantin und sugar mummy von Martin Sheen eine hemmungslos exaltierte Schabrackenperformance hinlegt. Man könnte es auch so ausdrücken: Quarantiert wird hier das morsche alte Europa – in der ihrerseits ziemlich antiquierten filmischen Form eines revueartigen, einem Kinoverständnis der 1930er Jahre entstammenden Starkinos. (Cosmatos’ unbestreitbares visuelles Gespür kommt lediglich im Prolog zum Zuge, der in der abstrakt-modernistischen Architektur des WHO-Hauptquartiers spielt.)
Kulturindustrieller Todestrieb

Zur expliziten politischen Allegorie a la Snowpiercer verdichtet sich diese Konstruktion jedenfalls zu keiner Sekunde. Stattdessen nimmt The Cassandra Crossing eine reichlich abstruse Wendung, wenn Lancaster, der weiterhin in Genf die Stellung hält, auf die grandiose Idee kommt, den Zug erst in Nürnberg zu „versiegeln“ und dann in Richtung Polen umzuleiten. Es gäbe da so ein Lager, ideal für die Isolation der Erkrankten… „Zufällig“ befindet sich unter den Passagieren des Todeszuges auch ein Holocaust-Überlebender, der ist von diesem Plan natürlich ganz besonders begeistert. Aber zu diesem Zeitpunkt hat der Film sein Resthirn eh schon an der Biegung des Flusses begraben und deliriert zunehmend konfuser vor sich hin. Von dem polnischen Lager ist bald keine Rede mehr, und sogar an seiner vermeintlichen Hauptattraktion, der Seuche, verliert er von einer Minute zur nächsten ziemlich komplett das Interesse. Stattdessen dreht sich plötzlich alles um eine rostige, baufällige Eisenbahnbrücke, der der Zug, und mit ihm der ganze Film, scheinbar unaufhaltsam entgegenbrettert. Wie als wären die medizinischen und zwischendurch gar erinnerungspolitischen Erregungen nur Ablenkungsmanöver gewesen, hinter denen nun ein naiver, geradliniger und weitgehend inhaltsfreier kulturindustrieller Todestrieb zum Vorschein kommt.
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