The Card Counter – Kritik
The Card Counter ist aus der Sicht eines Spielers und Ex-Soldaten erzählt, der strikt seinen Routinen folgt. Doch unter der aufgeräumten Oberfläche wird ein reißender Strom von Bedrohungen spürbar. Paul Schraders neuer Film ist von fiebriger Kälte

Bevor Paul Schrader selbst Filme zu machen begann, hatte er schon ein Filmbuch veröffentlicht. In Transcendental Style in Film (1972) arbeitet er anhand der Filme von Yasujirō Ozu, Robert Bresson und Carl Theodor Dreyer einen kargen Stil heraus, der gerade durch seine Verweigerung einer einfachen Katharsis zu Transzendenz findet. Es handelt sich aber nur um die Analyse eines Stils von vielen und nicht um die Regel, wie ein Film Schraders Meinung nach auszusehen hat. Der Regisseur, der aus einem hochreligiösen Elternhaus stammt und erst am Ende seiner Jugend seinen ersten Film sah, zeigte und zeigt sich denn auch stets viel zu sehr an den expressiven Qualitäten seines Mediums interessiert, als dass er jemals zum Vertreter dieser Ausdrucksform taugte.
Bet low, lose low

Sein neuster Film The Card Counter führt es anschaulich vor. Es beginnt tatsächlich sehr reduziert. Viel Grau und simple Einstellungen. William Tell (Oscar Isaac) erzählt uns davon, wie er im Gefängnis zu sich fand. Wie er das Lesen für sich entdeckte und damit einen systematischen Zugang zum Glückspiel. Vor allem aber, wie er es genoss, in Routinen aufzugehen. Nun reist er durch die USA von Casino zu Casino und versucht, so unauffällig wie möglich von kleinen Gewinnen zu leben, die er durch Techniken wie Kartenzählen beim Black Jack generiert. „Bet low, lose low“, lautet sein Motto. Hauptsache nicht auf jemandes Radar auftauchen.

Größtenteils ist der Film aus der Sicht eines kalten, berechnenden Mannes erzählt, der strikt seinen Routinen folgt. Dessen Verhalten selbstgemachten Ketten gleicht, die ihm in einer künstlichen Gefangenschaft eine Form von Freiheit schenken. Nämlich die Freiheit von sich selbst. The Card Counter greift damit wie schon Schraders Ein Mann für gewisse Stunden (American Gigolo, 1980) das Thema von Bressons Pickpocket (1959) auf. Erst im Gefängnis finden die Protagonisten der Filme ihre Freiheit – von sich, von ihren Obsessionen, von ihrem Lebensstil.

William Tell hat seinen Gefängnisaufenthalt zwar schon hinter sich, sein Leben entspricht aber einer eigenwilligen Verlängerung dieser Haft. Wiederholungen und allgegenwärtige Kontrolle legt er sich auf. Glückspiel hat bei ihm nichts mit Glück zu tun, sondern mit dem Wissen um die eigenen Chancen, von denen uns der Off-Kommentar der Hauptfigur ständig berichtet. Es ist eine klare Bestimmung seines Ist-Zustands.
Was die Ketten zurückhalten

Dieses spärliche Leben im Glamour hat aber in der Hand Schraders nichts Karges. Noch in den zurückgenommensten Momenten gibt es keinen transzendenten Stil, sondern Entrücktheit. Die Kälte des Films ist fiebrig. Das Sounddesign und die sphärische Musik werden von gutturalen Lauten vervollständigt. Wahn und Druck bestimmen das Unterkühlte. Schon bevor klar wird, vor welchen Problemen Tell flieht, beherrschen den Film seine bedrückenden Verdrängungsanstrengungen. Wenn The Card Counter oft ein aufgeräumter, an Abläufen interessierter Film ist, dann ist er es, weil er sich für den reißenden Strom von Bedrohungen unter der Oberfläche interessiert. Für das, was die Ketten zurückhalten.

Was dort lauert, wird lautstark über den Film hereinbrechen. Relativ früh kommt ein Schnitt, der einen wilden Tonwechsel mit sich bringt. Unvermittelt startet rasender Metal. Die Kamera nutzt ein Fischobjektiv, um uns mit völlig verzerrten Perspektiven durch einen Gefängnistrakt zu jagen und uns diverse Formen von Erniedrigung, Folter und Perversität zu zeigen. Wir erfahren mit der Zeit, dass William Tell eigentlich Tillich heißt. Dass er ins Gefängnis musste, weil er einer der Folterer von Abu Ghuraib war, die 2004 mit ihren Selfies von sich und ihren irakischen Opfern einen Skandal auslösten. Der Spaß, den er bei dieser „Arbeit“ empfand, nagt an ihm. Der Spaß, den er hatte, wenn er die Kontrolle verlor und im Rausch Menschen misshandelte. Paul Schraders Kino offenbart sich hier als eines von Lust und Ekstase – gerade, wenn beides bedrohlich ist.
Wenn Gefühle, dann eben richtig

Tell/Tillich wird den Sohn eines Abu-Ghuraib-Kameraden treffen, der sich das Leben nahm. Cirk (Tye Sheridan) möchte nun Rache an Major Gordo (Willem Dafoe) nehmen, der die Folter austüftelte und organisierte. Der nicht auf den Fotos aus dem Gefängnis zu sehen war und deshalb ungeschoren davonkam. Tillich nimmt Cirk aber mit auf seine Tour und möchte ihm eine andere Perspektive bieten. Er möchte ihn von dem eingeschlagenen Weg abbringen, von seinem eigenen Weg, dem der Gewalt, des kontrolllosen Aktionismus, der toxischen Männlichkeit. Immer wieder steuert The Card Counter auf Punkte zu, an denen sich entschieden werden kann. Entweder den Impulsen nach Rache und Gewalt nachzugeben, weiterzuleben mit Kontrolle und Kälte – oder es einmal anders versuchen. Mit Vergebung und Nachsicht, Liebe und Zärtlichkeit.

Ebenso wird La Linda (ganz toll: Tiffany Haddish) Teil von Tillichs kleiner Entourage. Sie versorgt ihn mit dem Startgeld für große Pokerturniere, wo Tillich Geld für seinen Ziehsohn gewinnen möchte. Wie ein Highschool-Liebesfilm wirkt es zuweilen, wenn die beiden Eisklötze sich gegenseitig auftauen, ganz langsam und vorsichtig, mit kleinen Berührungen, die im Kino Paul Schraders eben große Gesten sind – oder sich gleich in bildgewaltigem romantischem Kitsch von Millionen farbigen Lichtern sich vollziehen. Mit der Annäherung der beiden verschwindet auch das Gurgelnde, Erratische aus der Musik, die sich im Laufe des Films geradezu zu befreien scheint. Wenn Gefühle, dann eben richtig, so scheint das Motto des Regisseurs zu lauten.

The Card Counter ist bei aller Zurückhaltung ein bohrender Film. Einer, der seine Mittel genau kennt und einsetzt. Der sich als Liebes- und Seelendrama gibt, aber auch als Sportfilm über Spieler und Turniere seine Fährten genau legt. Der seine Filmstile genau kennt. Am Ende aber ist er ein Film von Paul Schrader durch und durch, in dem Männer mit ihren Obsessionen und Dämonen mit der expressiven Kraft des Kinos seziert werden. In dem Liebe nur als Teil der Zerstörung möglich ist.
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