The Bodyguard – Kritik
Netflix: Martial-Arts-Legende Sammo Hung steht wie eine Weide im Sturm, während seine Gegner auf ihn zustürmen. The Bodyguard ist ein melancholischer Thriller übers Altern, der auch von der Gentrifizierung des Hongkong-Kinos erzählt.

Frontale Einstellungen vom traurig und verloren dreinschauenden Sammo Hung finden sich in The Bodyguard (My Beloved Bodyguard) zuhauf. Neu sind sie im Werk des Schauspielers, Regisseurs und begnadeten Actionchoreografen nicht. Seit den 1970er Jahren spielte er immer mal wieder liebenswerte, aber etwas tumbe Figuren, die nicht ganz nachvollziehen können, was um sie herum geschieht – bis hin zu einem Dreißigjährigen mit dem Geist eines Vorschulkindes. In The Bodyguard aber dauern diese Einstellungen deutlich länger an. Die Melancholie dieses Films übers Altern und Vergessen transportiert sich eben über das hilflos aussehende Gesicht Sammo Hungs.
Seine Rolle ist die des ehemaligen Elitesoldaten Ding Hu, der sich mit seinen 66 Jahren weder daran erinnern kann, was er am Abend zuvor gegessen hat, noch wie der Gangster aussah, den er beim Morden beobachtet hat. Nur bis zu einem gewissen Punkt in seinem Leben sind die Erinnerungen klar, bis nämlich seine Enkeltochter bei einem Ausflug unter seiner Aufsicht verschwand. Wie als Strafe für diesen Verlust sind es nun die Erinnerungen, die Ding entschwinden.
Leeres Tonbandgerät, leerer Kopf

Im Jetzt des Films sucht Nachbarstochter Cherry (Jacqueline Chan), vor allem wenn sie Probleme mit ihrem aufbrausenden und spielsüchtigen Vater (Andy Lau) hat, immer wieder bei Ding Unterschlupf. Als dieser Vater mit einer Tasche voller Geschmeide, die einem skrupellosen Gangsterboss gehört, untertaucht, kommt sie gänzlich bei ihm unter. Etwas Glück erfährt Ding durch Cherry, aber es droht auch die Gefahr, sein Schicksal zu wiederholen. Denn die Verfolger ihres Vaters sind auch hinter Cherry her – als Druckmittel, oder um sie einfach umzubringen.
Das Verschwinden ist allgegenwärtig in diesem Film: Cherrys Mutter verlässt die Familie, dann haut ihr Vater ab. Dings Tochter bricht nach dem Verlust seiner Enkelin den Kontakt zu ihm ab. Cherry selbst wird irgendwann nicht mehr auffindbar sein. Die Gleise eines Bahnhofs werden gleichzeitig zu Sackgassen und zu einem undurchschaubaren Labyrinth, auf denen Ding jede Spur zu einer Katharsis oder seiner und Cherrys Rettung verliert. Tonbandgeräte werden so leer sein wie Dings Kopf, und ständig holen Rückblenden das Verlorene in die Gegenwart der Erzählung zurück und zeigen damit nur, wie unerreichbar es ist.
Erster Film seit 19 Jahren

Und zwischendrin finden sich überall Marker der goldenen Jahre des Hongkong-Kinos. Wenn Ding und Cherry zum Angeln gehen, kommen sie jedes Mal an drei alten Männern vorbei, die den Rest ihres Lebens ohne Antrieb auf Stühlen an der Straße zubringen. Gespielt werden diese drei gestrandeten Männer von Tsui Hark, Karl Maka und Dean Shek, die alle vor und hinter der Kamera die Filmkultur Hongkongs prägten. Auch Yuen Biao, der zusammen mit Sammo Hung und Jackie Chan die „drei Brüder“ bildete und sich mit ihnen an die Spitze des Martial-Arts-Kinos kämpfte, hat einen kleinen Cameo-Auftritt als Polizist.
Nostalgie durchzieht also den gesamten Film. Bei The Bodyguard handelt es sich um Sammo Hungs erste Regiearbeit seit 19 Jahren. Direkt mit der Rückgabe der Kronkolonie Hongkongs an China hatte er aufgehört, eigene Filme zu machen. Der Gedanke liegt also nahe, dass hier jemand seine Rückkehr feiert und die alten Traditionen wieder aufleben lässt. Aber tatsächlich kann an The Bodyguard abgelesen werden, wie sehr sich das Hongkong-Kino durch die zunehmende Konkurrenz aus Hollywood seit den 1990ern und durch die Rückgabe an China gentrifiziert hat.
Nur ein kleiner, freudvoller Fremdkörper

In einer Filmlandschaft, die kaum Wert auf Drehbücher und Dramaturgie legte, sondern an Schauwerten und Aufregung interessiert war, gehörten Sammo Hungs Beiträge zur Speerspitze des Unausgeglichenen. Filme wie Wheels on Meals (1984), Twinkle Twinkle Lucky Stars (1985) und Heart of the Dragon (in Deutschland wurden diese drei als Powerman-Trilogie veröffentlicht, obwohl sie nicht zusammenhängen) oder Pedicap Driver (1989) erzählen keine geradlinigen Geschichten. Vielmehr sind es Collagen aus Action- und Sketch-Set-Pieces oder wild überzogenen Melodrama-Miniaturen. Es sind Filme, die ihren losen roten Faden nur hier und da verfolgen und stattdessen auf sagenhafte Anarchie und noch sagenhaftere Action setzen. The Bodyguard aber hat eine klare Geschichte, verfolgt seine Motive höchst konzentriert und bietet nur mit einer koreanischen Nachbarin (Li Qinqin), die Ding zu ihrem künftigen Ehemann auserkoren hat, einen kleinen freudvollen Fremdkörper in seiner Geschichte.
Aber auch die Action ist eine andere. Gehörten die Choreografien Hungs in den 1980ern zu den akrobatisch aufwendigsten, wird nun sichtlich mehr in der Postproduktion erschaffen – schon allein deshalb, weil Sammo Hung nicht mehr der Jüngste ist. In den Kämpfen steht er zumeist da wie eine Weide im Sturm. Chinesische und russische Gangster stürzen auf ihn ein. Er weicht lediglich mit seinem Oberkörper aus und macht sie durch Schläge und Griffe unschädlich. Die dadurch schwindende Intensität der Kämpfe wird damit aufgefangen, dass das Comichafte der Gewalt wegfällt. Nicht nur das Tondesign, auch digital eingefügte Röntgenansichten machen unmissverständlich klar, dass die Knochen hier nicht nur brechen, sondern zersplittern.
Jetzt auch noch das Alter

Dieses Verhältnis zur Action fängt aber auch wieder die Trauer des Films ein. Denn diese findet sich nicht nur im Gesicht, sondern auch in der Statik und Unbeholfenheit des Körpers seines Hauptdarstellers und Regisseurs. Steif schleppt sich Sammo Hung von A nach B. Wie ein Anachronismus wirkt er in der beschleunigten Welt, die ihn umgibt, und in einem Film, der all seine zeitlichen wie inhaltlichen Ebenen geschwind zu einer runden Erzählung verknüpft.
Sammo Hung hatte für das, was er bewerkstelligte, immer einen ungewöhnlich massigen Körper. Fatso, Fatty oder Moby hießen seine Rolle oft, und an Dicken-Witzen fehlte es in seinen Filmen selten. Nun kommt noch das Alter hinzu, das jemanden wie Sammo Hung zum ungewöhnlichen Kämpfer und Helden macht. Mehr denn je wird es offensiv reflektiert. Und vielleicht ist das auch das Schönste an The Bodyguard: dass ein inzwischen relativ alter Mann einen einfühlsamen Film über das Älterwerden macht und darüber, wie schwer es ist, die Vergangenheit loszulassen; und dass er diesem ein zeitgemäßes Gewand verpasst, das so wirkt, als habe Sammo Hung nie etwas anderes gemacht.
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