The Bikeriders – Kritik

Das Fotobuch The Bikeriders porträtierte in den 60er Jahren einen Motorradclub im Mittleren Westen. Jeff Nichols hat daraus einen Film gemacht, der mit Verführungskunst und ethnographischem Gespür von einer Gruppe von Außenseitern erzählt, ihren Enttäuschungen sowie ihrer Sehnsucht, gesehen zu werden.

Lässig, erhaben und ein wenig bedrohlich brettert der Motorradclub Vandals durch den abgefuckten Chicagoer Vorort McCook. Wie eine in sich ruhende Armee besetzen die Männer (und teilweise ihre Freundinnen) mit laut knatternden Choppern die Straße. Für die angepasste Mehrheitsgesellschaft sind die derben und ungepflegten Außenseiter eine ungemeine Provokation. Ein Junge (Toby Wallace) beobachtet dagegen staunend, wie unverfroren sie sich den öffentlichen Raum zu eigen machen. Einem Autofahrer, der ihn wenig später anhupt, zertrümmert er mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein erstmal den Scheinwerfer. Der verführerische Wunsch, gesehen zu werden und sich nichts mehr gefallen zu lassen, ist gesät.

Raue, emotional vernarbte Männer

The Bikeriders basiert auf dem gleichnamigen, zwischen 1963 und 1967 entstandenen Fotobuch von Danny Lyon. Porträtiert wird darin der heute noch existierende Outlaws Motorcycle Club aus dem Mittleren Westen. Regisseur Jeff Nichols greift zwar auf Interviews aus dem Buch zurück und zitiert einzelne Fotos, hat den Club aber, vermutlich wegen der fiktionalen Anreicherungen, umbenannt. Schon immer interessierte sich Nichols für raue, geerdete und emotional vernarbte Männer aus der US-Provinz. Anders jedoch als in früheren, oft leiseren und zurückhaltender dramatisierten Filmen spielt er diesmal offensiv mit der Verführungskraft seiner Figuren. In Zeitlupe stilisiert er sie mitunter zu coolen Outcasts, während auf dem Soundtrack wilde und exzessive Rockmusik von den Animals, Them, Cream oder den Stooges aufgedreht wird.

Gerahmt wird die Geschichte der Vandals von einem Interview, das Danny (Mike Faist) mit Kathy (Jodie Comer) – Freundin des ebenso gut aussehenden wie selbstzerstörerischen Benny (Austin Butler) – führt. Auch Kathys Blick ist zunächst bewundernd. Anfangs noch abgestoßen von den unflätigen Biker-Machos, verfällt sie schnell Bennys schweigsam mysteriöser Art. Als Frau, die kein vollwertiges Club-Mitglied, sondern nur Freundin ist, vereint sie Innen- und Außenperspektive. Gerade das Waghalsige und Gefährliche zieht sie zunächst an, aber sobald es wirklich brenzlig wird, sehnt sie sich nach Ruhe. Anhimmeln lassen sich die Biker besser aus der Distanz.

Widerspruch zwischen Rebellentum und bürgerlicher Existenz

Insgesamt ist The Bikeriders tatsächlich weniger mythisierend als ethnografisch beobachtend und unaufdringlich einfühlsam. Nichols versucht die Gruppe von damals nicht in eine ideologische Schablone der Gegenwart zu pressen. Er betont ihre Außenseiterposition und ihr Rebellentum ebenso wie die Tatsache, dass sie mit ihrer klaren Geschlechterhierarchie und ihrer Ablehnung von klugscheißenden Studenten politisch eher konservativ sind.

Das betrifft auch die Struktur des Clubs mit seinen Regeln, Sitzungen und Mitgliedsbeiträgen. Dann werden Meinungsverschiedenheiten aber auch wieder mit blutigen Schlägereien ausgetragen und wird bis zur Bewusstlosigkeit gesoffen. Besonders Anführer Johnny, den Tom Hardy meisterhaft als halb delirierend vor sich hin krächzenden, zugleich aber wachen und weisen Koloss spielt, steht für diesen Widerspruch. Mit einem festen Job sowie Frau und Kindern lebt er eigentlich ein bürgerliches Leben, aus dem er mit den Vandals wieder ausbricht. Auch er sehnte sich einst danach, ein unnahbarer Held zu sein, der es allen zeigt. Als Geburtsstunde seines Clubs sehen wir, wie er vor dem Fernseher die Dialoge von Marlon Brando in Der Wilde (The Wild One, 1953) nachspricht.

Immer ist jemand ruchloser und brutaler

Benny wird vom Anführer beneidet, weil er nichts hat, sich aber auch um nichts schert und damit das Ideal von Freiheit am vollkommensten verkörpert. Immer stärker spitzt sich The Bikeriders auf ein Beziehungsdreieck zu, in dem Johnny und Jody gleichermaßen um Bennys Gunst buhlen – er, weil ihn das Wilde und Furchtlose anzieht, sie, weil sie ihn (wie alle Frauen, heißt es einmal) letztlich doch nur zähmen will. Obwohl die drei Figuren im Mittelpunkt stehen, verliert Nichols entspannte Erzählung nicht die randständigeren Charaktere aus dem Blick. Bis zu den kleinsten Nebenfiguren widmet sich der Film mit einem souveränen Gespür für Authentizität ihren derangierten, dreckverschmierten Gesichtern wie auch ihren gescheiterten Biografien. So unterschiedlich sie sind, vereint sie doch die Enttäuschung darüber, nirgendwo dazuzugehören.

Nichols widmet sich einem goldenen, in seiner Offenheit und seinem Gemeinschaftsgefühl gewissermaßen auch unschuldigen Zeitalter des Motorradclubs, das irgendwann in die Ära des organisierten Verbrechens umschlägt. Ähnlich wie in vielen Gangsterfilmen liegt die Tragik dabei in einem für Underdogs attraktiven, auf Stärke und Dominanz ausgerichteten System, das letztlich immer von jemandem unterwandert wird, der noch ruchloser und brutaler ist. The Bikeriders zeichnet diesen schleichenden Prozess nach, als der Club immer größer und unübersichtlicher wird, traumatisierte Vietnamveteranen mit Knarren ebenso dazustoßen wie machthungrige Halbstarke, für die Regeln nichts mehr gelten. Wenn ehemals verlachte Bewunderer zu ernstzunehmenden Gegnern werden, erweist sich die Zeit für die Biker als größter Feind.

Neue Kritiken

Trailer zu „The Bikeriders“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.