That Kind of Summer – Kritik

Neu auf MUBI: In seinem kalkuliert unbefriedigenden Film That Kind of Summer will Denis Côte von drei hypersexuellen Frauen erzählen und wirkt dabei aufgeregt wie ein Teenager.

Immer dann, wenn die Figuren dazu ansetzen, sich selbst wie Spielkarten auf den Tisch zu werfen, um sich im Alleingang oder gegenseitig aufzudecken, dann nach der Entblößung wieder aufzuheben, zurückzunehmen, wenn sie plötzlich, endlich an eben jene Grenzen stoßen, von denen That Kind of Summer (Un été comme ça) doch dringend erzählen will – immer dann also, wenn es gefährlich wird, weil es um etwas geht, wird geschnitten. Ab in die nächste Szene, das nächste Antäuschungsmanöver von Tiefe und Interesse an den eigenen Figuren, von Erwartungen, die sich selten einlösen in diesem kalkuliert unbefriedigenden Film von Denis Côte.

Denn das Unbefriedigende hat Konzept, drängt aus dem Inhalt in die Form: That Kind of Summer zeigt drei sexsüchtige Frauen, die ihr gesteigertes Verlangen in den Griff bekommen wollen. 26 Tage dauert der kollektive Entzugsversuch, dem sie in einem schicken, großen Haus am See unter Supervision nachgehen. Unterstützt werden sie durch Sozialarbeiter Sami (Samir Guesmi), der zügig eindeutige Angebote von den Bewohnerinnen erhält, und der deutschen Therapeutin Octavia (Anne Ratte-Polle). Letztere ersetzt eine kanadische Kollegin, Mathilde (Marie-Claude Guérin), die schon eine vorherige Gruppe Hypersexueller betreut hatte, sich nun aber zurückzieht, da sie schwanger ist.

Hilfe zur Selbsthilfe?

Wegen dieser Mathilde, die am Anfang bemerkenswert viele Auftritte hat, rückt zunächst das Entzugshaus selbst in den Vordergrund, mitsamt einer ominösen, internationalen Kooperation zweier Universitäten, die die beiden Akademikerinnen vertreten. Welche geheime Forschungsmotivation gibt es? Was soll anhand der drei Probandinnen, die sich freiwillig dort hinbegeben haben, herausgefunden werden? Anders gefragt: Was will eigentlich der Film mit dem Setting, das er benutzt? That Kind of Summer verweigert darauf Antworten; eine autoritär-medizinische Einrichtung, so viel ist klar, mag Côte aber auch nicht zeigen.

Daran lässt er schon keinen Zweifel, wenn That Kind of Summer mit einem Monolog Mathildes beginnt, der die Option aushebelt, dass Octavia und Sami hier irgendwen heilen. Es hilft alles nix: Léonie (Larissa Corriveau), Eugénie (Laure Giappiconi) und Geisha (Aude Mathieu) müssen da schon selbst ran. Zwar gibt es im Haus feste Essenszeiten und ein Drogenverbot, Alkohol ist aber in Maßen erlaubt – und wird wirklich häufig getrunken, sodass die Verhältnismäßigkeit wieder fraglich wird. Einen Tag zur freien Verfügung haben die Frauen später auch, den sie für ihre Zwecke nutzen. Während Eugénie erstmal den nächsten LKW-Fahrer aufreißt, kehren Léonie und Geisha zu zwei Liebhabern zurück, an deren Gesichtern That Kind of Summer nicht im Geringsten interessiert ist. Denn als Schwänze werden die Männer hier gebraucht. Da muss der Film sie nicht noch als Personen auftreten lassen.

Umgedrehter Gangbang

Wirkliche Lust auf einen veränderten Umgang mit Sexualität haben die drei Frauen nämlich nicht. Oder zeigt Côte sie schlichtweg beim genussvollen Scheitern, dem hingebungsvollen Erliegen im Angesicht der Lüste, die so gewaltig sind, dass sie schier unkontrollierbar überschwappen? Es wäre Léonie, Eugénie und Geisha nicht übel zu nehmen, denn die eigentlich unterstützende Einrichtung gibt ihnen neben ein paar Gesprächsangeboten nicht sonderlich viel Hilfestellung oder Werkzeuge zur Emanzipation an die Hand. Stattdessen pathologisiert der Film die Sucht, führt Traumata an, die die gestörte Begierde zwar formulierbar, aber, wie festgestellt wird, bei Weitem nicht erklärbar machen. Sie entzieht sich dem Film und dem Regisseur, bleibt geheimnisvoll, mystisch, gerade in der Verschlossenheit anziehend.

Weibliches Personal dominiert die Leinwand in That Kind of Summer – ein umgedrehter Gangbang, wenn Sami es ist, der von der Gruppe umgarnt und umkreist wird. Allerdings wird in der Art und Weise, wie bei Côte gefilmt wird, der männliche Blick auf weibliche, unerfüllte Körper kaum produktiv. Eher entsteht über die wackelige Handkamera, die gerne abschweift oder sich auch nicht an Blättern vor der Linse stört, ein halbgarer Voyeurismus, der selten reflektiert wird. In seiner Faszination für Léonie, Eugénie und Geisha wirkt der Film wie ein aufgeregter Teenager, der gerade erst bemerkt hat, dass es ja nicht nur männliche Lust gibt in der Welt, und jetzt weiß der Arme gar nicht, wie er mit dieser Erkenntnis umgehen soll: Slutshaming betreiben, nein, auf keinen Fall, er bewundert doch die Mädchen aus der Oberstufe!

Schrödingers Happy End

Aber wenn masturbiert wird in That Kind of Summer, da braucht es schon die Performancegesichter der Frauen, in denen das Orgiastische zum Ausdruck kommen soll, aus denen es mit jedem Stöhnen herausbrechen muss, wie es aus gängigen pornografischen Aufnahmen bekannt ist. Côte findet keine anderen Auflösungen, schafft eher drei Fantasien statt Figuren, die sich nackt am Rotweinglas und am Malen mit dem Kohlestift berauschen, dauerharte Nippel präsentieren, lasziv mit der Zunge am Piercing rumspielen und Unterwäsche zur Arbeitskleidung erklären. Auch Octavia ist irgendwann wahlweise im kurzen Nachthemd oder BH-Slip-Kombination unterwegs, einmal befriedigt sie sich mit einem Vibrator. Diese eine Szene scheint genug zu sein für den Regisseur, um anzudeuten, dass auch die Therapeutin nicht mehr mit den eigenen Bedürfnissen haushalten kann, die Fassung verloren hat. Kreisch.

Mit That Kind of Summer legt Côte einen Beitrag vor, der unbedingt von Frauen erzählen will (und es sicher auch auf interessante Art und Weise hätte tun können), es aber eben nicht so richtig ernst meint mit ihnen. Aus den machtvollen Bildern, die uns umgeben und unsere Wahrnehmung vorstrukturieren, gibt es keinen Ausweg, das will dieser Film möglicherweise zeigen – und verstrickt sich selbst in ihrem Netz, bis er stockend zu einem, seinem Abschluss findet: Schrödingers Happy End, das irgendwo kein glückliches Ende meint und doch eins sein könnte, in diesem einen Moment auf der Leinwand, der dem Vibrierenden des Sommers gehört.

Der Text ist ursprünglich während der Berlinale am 15.02.2022 erschienen.

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