Tenet – Kritik

Protagonist, Antagonist, Auteur: Tenet schließt die Obsessionen von Weltzerstörer, Weltretter und dem kontrollwütigem Regisseur Christopher Nolan miteinander kurz. Währenddessen laufen Verfolgungsjagden rückwärts ab und die Erde droht vernichtet zu werden.

Für einige wenige Sekunden zu Beginn ist die Welt der Hochkultur noch in Ordnung. Dann wird das Opernhaus, in das uns die erste Einstellung in medias res geworfen hat, von Männern mit Maschinenpistolen gestürmt, unkenntlich gemacht durch die Helme ihrer Kampfanzüge. Das Cello, das einer von ihnen arglos zertritt, hat dabei Symbolcharakter: Es geht um die Rolle der Kunst in der Zerstörung oder der Rettung der Welt – darunter macht es Christopher Nolan nicht. In Tenet kommt er damit ganz zu sich: Wo es etwa in seiner Dark Knight-Trilogie noch darum ging, dass Batman ein ums andere Mal die Zerstörung Gotham Citys durch verschiedene Superschurken vereiteln musste, steht hier nun gleich die Vernichtung allen menschlichen Lebens auf dem Spiel. 

Ein Mann allein mit seiner Knarre

Den Meisterregisseur erkennen wir daran, wie Nolan gleich in dieser Auftaktsequenz im Chaos die Übersicht behält, wenn die Kamera Hoyt van Hoytemas, der auch die beiden vorherigen Filme Nolans fotografierte, sich an die Fersen der Männer haftet, ihnen atemlos folgt. Aber auch am gesamten Rhythmus des Films. An den Momenten der Ruhe etwa, die Tenet nach dieser ersten fulminanten Actionszene dem von John David Washington gespielten The Protagonist (der laut den Credits genau so heißt, wobei es gerade darum geht, dass er ein solcher im Verlauf des Films erst vollumfänglich werden muss) gönnt. Nach zunächst ganz und gar nicht erfolgreicher Mission fährt der auf einem Schiff zum nächsten Einsatzort, macht Klimmzüge und Liegestütze, putzt und lädt seine Pistole: schöne kleine Momente des Alleinseins eines Mannes mit seiner Knarre. 

Bald führt Tenet als essenziellen Bestandteil seiner Welt eine besondere Technik der Zeitreise ein, oder genauer: eine spezielle Möglichkeit der Inversion der Zeit. Neil (Robert Pattinson), der dem Protagonisten als Partner und zweiter Teil eines schwarz-weißen, amerikanisch-englischen Buddy-Gespanns zur Seite gestellt wird, versteht die wissenschaftlichen Ausführungen sofort, weil er einen Master in Physik hat. Wer den, wie ich, nicht hat, könnte sich mit den physikalischen Grundlagen von Tenet durchaus schwer tun. Das Wichtige dabei ist allerdings eh, dass es diese neue Technik ist, mehr noch als der große Atomkrieg, die die Erde und alles Leben auf ihr mit einem Schlag vernichten kann, wenn sie in die falschen Hände gerät.

Ein Anachronismus namens Nolan

Diese falschen Hände gehören im Film dem russischen Waffenschmuggler-Boss Andrei Sator (Kenneth Branagh), und der Kern des Figurenensembles wird komplettiert durch seine Frau Kat (Elisabeth Debecki). Dass Andrei zu ihr eine ähnlich destruktive Beziehung hat wie zur gesamten Welt ist übrigens ein Zusammenhang, den der Film ganz explizit in seinen Dialogen herstellt: Wenn Sator die Frau/Welt nicht haben, ganz und gar besitzen kann, dann soll sie auch kein anderer bekommen.

Es gehört zu den Stärken von Tenet, dass Nolan es zulässt, diese Obsessionen der Figuren kurzzuschließen mit dem Kontrollfreak, der er selbst als Filmemacher immer schon auch ist, auf den er sich aber nie oder zumindest nur in seinen allerschwächsten Momenten reduzieren lässt. Von letzteren gibt es in Tenet kaum welche. Vielmehr offenbart Nolan einmal mehr, dass er einer von nur sehr wenigen waschechten Blockbuster-Auteurs ist – jemand, dem die Studios (in diesem Fall) 205 Millionen Dollar zur Verfügung stellen, um Filme zu machen, die trotzdem immer zuerst Christopher-Nolan-Filme sind. In einem Hollywoodkino, das sich immer mehr in alle möglichen und unmöglichen Richtungen expandierenden Cinematic Universes totläuft und die Regisseure dabei zu bloßen Handwerkern verdammt, ist jemand wie Nolan ebenso sehr ein Anachronismus wie das analoge Filmmaterial, auf dem er auch unter den Bedingungen des komplett digitalisierten Gegenwartskinos beharrlich seine Filme dreht (in diesem Fall auf 65mm-Material, wobei der fertige Film, wo möglich, auch als 70mm-Kopie projiziert wird).

Größenfantasien überall

Die vielleicht einzige Schwachstelle des Films ist seine Auflösung: dass Nolan dort, wo man längst verstanden hat, worum es ihm geht, alles noch gründlich auserzählen muss, inklusive eines finalen Voice-overs zur Moral von der Geschicht’. Dazu kommt, dass er es zwar versteht, Verfolgungsjagden bildgewaltig in Szene zu setzen – die hier aufgrund der Zeitinversion teilweise auch noch rückwärts ablaufen. Die Feuergefechte werden dagegen irgendwann eher repetitiv und Tenet durch sie auch schließlich etwas lang, darüber können auch die Bässe der Schüsse, Explosionen und der düster dräuenden, bedrohlich aufspielenden Filmmusik Ludwig Göranssons (der hier deutlich in die Fußstapfen Hans Zimmers tritt), die direkt in den Magen gehen und einem den Kinosessel unterm Hintern vibrieren lassen, irgendwann nicht mehr hinwegtäuschen. 

Das ändert jedoch nichts am starken psychologischen Kern der Erzählung: der mindestens impliziten Erkenntnis, dass die narzisstische Größenfantasie des Protagonisten, des großen Strippenziehers im Hintergrund – der nicht nur die ganze Welt retten will, sondern dies auch so, dass diese davon nichts mitbekommt und sich weiterdreht – derjenigen des Antagonisten, der lieber die ganze Welt auslöschen möchte als hinzunehmen, dass sie sich bald ohne ihn weiter drehen wird, erstaunlich nahe ist. Die eine ist nur sublimierte Variante der anderen.

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Kommentare


Leander

Also, ich mochte den sehr, aber mal ehrlich, eine fünftel milliarde? Wo the heck is dieses Geld nur versunken? Damit macht Herzog fünfzig Filme.


Sigi

Es ist ja doch immer am interessantesten, über einen Film zu diskutieren, wenn die Wahrnehmung anderer ganz anders ist. Deshalb hier auch kurz ein SPOILERALERT!!! Für mich ist das der schwächste Nolan, den es bislang zu sehen gab. Es ist wortwörtlich alles nur noch Schall und Rauch.
Christopher Nolan gleicht für mich einem schachspielenden Puzzle-Magier. Alle Teile werden zu Beginn so clever arrangiert, dass wir Zuschauer mit offenem Mund ca. zwei Stunden staunen dürfen, wie Nolan ein stimmiges Endbild entwickelt, auch weil alle Teile ohne Wenn und Aber von Nolan auf das Ziel hinbewegt werden. Garniert wird der vermeintliche Zaubertrick mit spektakulären Bildern und dem adequaten, epochalen Soundtrack, dessen knarrzende Bässe oder dröhnende Bläsergruppen, die Leinwand jeden Moment zum Bersten bringen könnten. Wow! DAS ist Kino, denken wir dann in den Sessel gepresst, die wir alle insgeheim vermuten, dass Kino doch irgendwie selbst anachronistisch sei oder zumindest nicht mehr als das Medium des Films schlechthin zählen kann.
Soweit so gut. Aber etwas ist anders in Tenet. Etwas grundlegendes fehlt, damit der Film seine mutige Prämisse - es gibt eine Möglichkeit, sich in der Zeit vor und zurück zu bewegen - glaubhaft transportieren kann. Und das ist der Mensch. Niemand wundert sich mit uns, niemand versucht es zu verstehen für uns. Ganz im Gegenteil "Versuchen Sie nicht, es zu verstehen. Fühlen Sie es." spricht uns Nolan recht unverhohlen direkt über das Drehbuch an. Schaltet eure Hirne aus, und macht den Affekt an. Vertraut mir blind. Ein erfahrener Magier wie Nolan sollte wissen, dass uns das nur noch stutziger macht (und dass man das herrlich nutzen kann als Regisseur!).
Aber da geht die Hatz auch schon los. Mumbai hier, "temporaler Zangenangriff" da (das Kino-Unwort des Jahres). Sorry Mr Nolan. Ich musste bei dem Ausdruck laut lachen. Vielleicht liegt es an der Übersetzung, aber ich traue mich zu behaupten, dass das auch auf Englisch nicht weniger lächerlich wirkt.
Und so machen wir diese "Tour de Temps" mit, unter Protest und einem ständigen "wie geht das denn jetzt?" im Hinterkopf. Währenddessen tun alle auf der Leinwand so als wär klar, was zu tun wäre. Die Kluft zwischen Figuren und Zuschauer wächst proportional mit der Anzahl der Szenen. Denn nicht nur fehlt der Geschichte die in sich schlüssige Logik, nein, wir werden mit Menschen abgespeist, die entweder gar keine psychologische Tiefe haben (der Protagonist) oder deren Konflikte einzig dazu da sind, die Abläufe zu rechtfertigen (Mutter-Sohn-Beziehung, Erpressung der Ehefrau wegen einer Kunstfälschung durch den Ehemann aka der Waffenhändler).
Mit einem Wort ist das alles hanebüchen.
Und hier schließt sich aber der Kreis. In der Rezension von Herrn Bühnemann wird zurecht Nolan als einer der ganz wenigen Blockbuster-Autoren im heutigen Hollywood herausgestellt. Dreistellige Millionenbudgets für eine Geschichte ohne Batman, Wolverine, Thor und Co. ist etwas besonderes. Aber vielleicht ist es in der Denke der heutigen Studiowelt nur konsequent. Nolan selbst ist mittlerweile eine Marke. Marvel hat ein Cinematic Universe, Nolan hat sein eigenes Cinematic Universe. Mir scheint, Nolan wird langsam auch zum Handwerker degradiert. Er muss eben Nolanfilme herstellen und auch dieses Cinematic Universe droht sich tot zu laufen.


fifty

Sigi, ich kann nur zustimmen! Sicherlich hat der Film eine schöne Idee, die das Filmemachen gut herausfordert. Doch irgendwie konnte auch ich dem ganzen Gemache und Geholze von Sätzen schon in der ersten halben Stunde kaum folgen. Oder ich wollte dem kaum noch folgen, weil der Film gnadenlos alles seiner Idee opfert. So als müsse er sein selbst auferlegtes Pensum irgendwie durchpeitschen, gibt es keinen Raum für die Figuren, keinen einzigen glaubwürdigen Dialog, keine Entfaltung von Tiefe und vor allem: nicht einen Funken Humor. Alle visuellen Genüsse sind im Tempo erstickt. Der ganze Film ist eine Pose, die genau deshalb auf mich ziemlich billig wirkte.






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