Sweet Country – Kritik
Warwick Thorntons Historienwestern Sweet Country ist eine Meditation über den Einzug der Moderne ins Outback – und darüber, was diese Moderne alles beim Alten lässt.

Das Kino liegt im Staub. Auf ein gespanntes Tuch vor dem Saloon wird Die Geschichte der Kelly-Bande (1906) projiziert. Die Moderne scheint über ein weißes Laken den Weg in Australiens Northern Territory der 1920er Jahre gefunden zu haben. Doch das Cinema Paradiso findet ein jähes Ende, als Sergeant Fletcher (Bryan Brown) in die Stadt zurückkehrt. Mit einem Griff reißt der Gesetzeshüter die improvisierte Leinwand hinunter. Niemand protestiert. Fletchers Hand allein ist das Gesetz. Ein Sinnbild, das für die indigene Bevölkerung in dieser Region erdrückende Realität ist. Zwar sind sie den weißen Siedlern nach dem Recht der britischen Krone gleichgestellt, doch im Nordterritorium Australiens gibt es niemanden, der für dieses Recht eintritt. Hier gibt es weder einen Gerichtssaal noch eine Kirche. Gesetz und Barmherzigkeit sind abstrakte Konzepte. Die Realität wird von den Siedlern bestimmt, die über das Land und seine Ureinwohner verfügen.
Bittere Beschwörung eines bekannten Schlussbilds

So nimmt sich Harry March (Ewen Leslie) das Recht, Sam Kelly (Hamilton Morris) und seine Frau Lizzie (Natassia Gorey Furber) für Arbeiten auf seinem Hof abzustellen. Obwohl beide bei ihrer eigentlichen Tätigkeit auf dem Hof des strenggläubigen Fred Smith (Sam Neill) eine rechtliche Gleichstellung genießen, werden sie unter der Führung des Westfront-Heimkehrers March wieder zu Sklaven. Ein gängiger Zustand auf dem Weideland des Nordens, den der Veteran in einen vom Kriegstrauma befeuerten Sadismus eskaliert. „I wanted the other one. But you’ll do“, sagt er zu Lizzie, bevor er die Fenster seiner Hütte schließt und sie vergewaltigt. Eine Szene, die Regisseur Warwick Thornton als bittere Reminiszenz an das ikonische letzte Bild aus The Searchers inszeniert. Es wird die letzte Gräueltat des Rassisten sein – bei einem erneuten Angriff auf die Familie tötet Sam ihn in Notwehr.

Nach Marchs Tod wird eine Gruppe zusammengestellt, um die geflohenen Aborigines vor Gericht zu bringen. Eine Grundkonstellation, die sich erneut als Variante des Ford-Klassikers entspinnt, sich aber nicht zu einem Duell zwischen Fletcher und Sam oder zwischen Kolonialstreitkräften und Aborigines zuspitzt: Die Jagd verläuft sich in den Weiten des Outback. Die Landschaft verschlingt jede Möglichkeit eines Duells. Sie ist kein sinnlicher Schauplatz für eine rechtschaffene Mission, sondern eine gleichgültige und tödliche Umgebung. Die Häscher werden vor dem gewaltigen Panorama der rostfarbenen Landschaften und endlosen Salzwüsten zu bedeutungslosen Statisten. Nicht einmal das nächtliche Lagerfeuer vermag in diesem Niemandsland eine Western-Romantik hervorzubringen: Statt Mundharmonika und gemeinsamem Gesang gibt es ein krächzendes, einzeiliges „I love Jesus“-Solo von Fred Smith.

Der amerikanische Frontier-Mythos, den der Film nach Australien überführt, ist hier nur das Abbild eines gescheiterten Übergangs von der Kolonialzeit in die Moderne. Thornton bricht die Handlung immer wieder auf, um das Australien der 1920er in kurzen, stummen Inserts wahlweise auf eine traumatische Vergangenheit oder in eine gescheiterte Zukunft blicken zu lassen. Während die Aborigines hier ein Leben in Ketten oder in den Blutlachen ihrer Angehörigen sehen, schauen die Weißen zurück auf das Trauma des Ersten Weltkriegs.
Gerichtsprozess mit Liegestühlen

Während Sweet Country die Verbrechen an der indigenen Bevölkerung unverkennbar als Genrevariante durchspielt, findet der Film seinen Rhythmus eher dort, wo das Gesetz der britischen Krone in Konflikt mit einem modernen Rechtssystem gerät. So wird ein Richter aus dem urbanen Teil Australiens herbeordert, um ein Urteil über den angeblichen Mord an Harry March zu sprechen. Der Gerichtsprozess findet wie die Kinoaufführung auf der Straße statt, direkt vor dem Saloon. Wer nicht auf den Liegestühlen einen Platz gefunden hat, steht belustigt auf der Veranda des Saloons und lässt sich vom Richter zur Ordnung rufen. Was schon äußerlich als Farce erkennbar ist, läuft letztlich ganz nach den Regeln des Richters ab. Zeugen sprechen die Wahrheit, den Anweisungen des Gerichts wird Folge geleistet, und der Richter selbst scheint daran interessiert, einen fairen Prozess abzuhalten. So sind vor dem Gesetz alle gleich, die Barmherzigkeit aber wird nur denen zuteil, die das moderne Australien gestalten werden.
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