Suspiria – Kritik
Gedärme, geteiltes Deutschland und Hexenkraft, wenn der Arzt kommt. Luca Guadagninos Suspiria ist nur zum Teil der Horrorfilm, der er zu sein verspricht. Weil er viel mehr sein will.

Frauen tanzen, ein alter Mann therapiert und trauert. Das beschauliche Freiburg im Breisgau weicht West-Berlin unter dem Einfluss der RAF: David Kajganich hat das Drehbuch von Dario Argento und Daria Nicolodi nicht einfach nur adaptiert, hier und da umgeschrieben oder aktualisiert. Das Suspiria von 2018 hat mit dem Suspiria von 1977 ein eher weit gefasstes Verwandtschaftsverhältnis. Viele der Figuren sind wieder da, um ihr Unwesen zu treiben, allen voran die sagenumwobene Tanzlehrerin Madame Blanc (Tilda Swinton), die strenge Herrscherin über die Ordnung im Haus Miss Tanner (Angela Winkler) und die neue Tanzschülerin aus der amerikanischen Provinz Susie Bannion (Dakota Johnson). Sie sind allerdings wiedergeboren in eine Welt, die voller historischer Bezüge ist – Bezüge just zu dem Jahr, in dem das Original das Licht der Welt erblickte und der Deutsche Herbst die Bundesrepublik in Atem hielt.
Remake mit eigener Zeitrechnung

Verschwunden ist der geradlinige Plot, der half, den Film ins Gedächtnis zu brennen, verschwunden sind auch die Männer, die gemeinsam mit den Frauen in der Tanzschule lernten. Die homoerotische Dimension der miteinander der rhythmischen Bewegung huldigenden Hexen und dem unwissenden Nachwuchs tritt so oder so klar zu Tage. Wie fast jede gute Literaturadaption und fast jedes beachtliche Remake macht sich der von Luca Guadagnino (Call Me By Your Name, A Bigger Splash) inszenierte Film sehr schnell und sehr deutlich frei von den so prägenden Bildern der Vergangenheit. Passé sind die farbigen Flächen in rot und grün genauso wie der schnelle Schock. Dieses Suspiria schafft eine eigene Zeitrechnung.
Guadagnino entfaltet gemeinsam mit dem thailändischen Bildgestalter Sayombhu Mukdeeprom ein architektonisch-stoffliches West-Berlin, wie es nur Fremde inszenieren können. Kalt, aber weich, gefährlich und zugleich heimelig, mysteriös und anregend erstreckt es sich in den verstohlenen Blicken, die Suspiria auf diese Welt, oft von innen nach außen, wirft. Dort draußen geht etwas vor sich, das mehr ist als nur ein Rahmen für das, was in den Häusern passiert. Eher spiegeln die äußeren Unruhen die inneren Tumulte, die entstehen, wenn zu lange Männer den Ton angeben. Politisches und Privates verschränkt das Drehbuch auf uneindeutige, ständig suchende Weise, und die dynamische Reise, die der Film antritt, sucht stets die dritte, wenn nicht vierte Dimension.
Die Bilder beben

Neuankömmling Susie Bannion beherrscht auf eigenartige Weise das Tanzen, mehr noch durchdringt das Tanzen sie, spricht zu den anderen durch ihren Körper. Ihre Auftritte wirken vom ersten Moment an merkwürdig zeitgenössisch und fremd in den Siebziger-Jahre-Kostümen und den noch älteren Settings, über die sich schon einige Patina des falschen Lebens gelegt hat. Während das Übersinnliche viele Formen annimmt in Suspiria, ist die erste und schönste Art, sie hervorquellen zu lassen, ihre Verkettung mit dem nie ganz greifbaren Eigenleben des Körperlichen. Aus den Bewegungen des allzu wachen Mädchens entfesselt sich eine ungeahnte Macht, die im Schnitt, also aus der Synthese entsteht, aber auch unmittelbar wie ein Wirbelwind in der Gegenwart die Bilder zum Beben bringt.
Das Übermenschliche als Kraft der Mutterfiguren artikuliert sich erst nach und nach, das Faszinosum der weiblichen Beherrschung hingegen ist ohne Umschweife präsent. „A mother is she who can take the place of all others but whose place no one else can take.“ Ein Kalenderspruch, den Suspiria sowohl an ausgesuchtem Ort ins Bild setzt als auch zu demontieren sich anschickt. Die Mutterfiguren, es gibt ihrer viele im Film, überführen den Psychothriller, den Guadagnino atmosphärisch betont, in eine spielerischere Anordnung in den Gefilden um Neo-Giallo, postmodernem Horror und der Renaissance von Gore. Tilda Swinton, Angela Winkler und Ingrid Caven entwickeln sich im Licht der zunehmenden Gefahren zu einem ungleichen Trio Infernale, das kaum vorstellbar ist ohne ihre Leinwand-Personas.
Verliebte Ratio inmitten des Wahnsinns

Guadagnino interessiert sich zwar weniger für das Ikonische als für die instabile Bewegung, setzt aber nicht nur im Schauspiel beides lustvoll in Verbindung. Ab und an bleibt ein Blick stehen, wiederholt sich die Position der Hand der Lehrerin auf dem Körper ihrer Schülerin, frisst sich das im Schneefall reflektierende Licht in den Kinosaal, so dass der herausgehobene Moment den alles mit sich reißenden Fluss kurzzeitig aushebelt, ultimativ aber dessen Wirkung nur verstärkt. Neben Swinton, Winkler, Caven hat der Regisseur in der einzigen, allerdings sehr bedeutenden männlichen Rolle einen Laien besetzt: Lutz Ebersdorf, ein 1934 geborener Psychoanalytiker, der einen Psychoanalytiker gibt, der die Wahrheit über die Machenschaften in der Tanzschule aufdecken will (oder steckt doch Tilda Swinton dahinter?). Er ist, auch körperlich, so etwas wie die verliebte Ratio inmitten des brutalen Wahnsinns. Klar, wer da den Kürzeren ziehen muss. Er erdet aber auch, was eigentlich keiner Erdung bedarf.
Suspiria 2018 ist ein dramatisch entwickelter Stoff, der um ein vielfaches ambivalenter und emotional komplizierter als das Original ist, vor allem im Glauben an die widersprüchlichen Facetten seines Figurenarsenals. Die zweieinhalbstündige Laufzeit bietet zwar bereits jede Menge Gelegenheiten, Gewalt, Angst und auch etwas Verführung zu entfalten. Nichts davon aber fühlt sich definitiv und abgeschlossen an. Es ist der Witz und die Verheißung von Guadagninos Variationen: Die Schrecken, die sie versprühen, suchen die ewige Fortpflanzung, als Mütter vieler Kinder, als Mütter, die ihre Kinder gleichzeitig gebären und fressen. Viele Zeichen stehen deshalb auf Fortsetzung, eine Hoffnung, die der Regisseur selbst befeuert. Das kann, nein, das muss garstig werden. Im Horrorfilm ist schließlich der Schatten der Schattierung vorzuziehen.
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