Sundown - Geheimnisse in Acapulco – Kritik

Ein apathischer Tim Roth lässt seine Familie nach einem Trauerfall im Stich, um in der Sonne Mexikos zu verweilen. Auch Michel Francos neuer Film will sich nicht erklären, fordert uns dafür aber umso stärker heraus.

Eine All-inclusive-Urlaubsreise bedeutet vor allem, Verantwortung abzugeben. Alltägliche Pflichten werden zuhause gelassen, das Bett wird einem gemacht, die Route ist schon entworfen, die Flüge sind nach Möglichkeit ebenso schon bezahlt wie das Essen. Man lässt es sich kosten, keine Entscheidungen treffen zu müssen, keinen Finger zu rühren und vor niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Die Idee ist, im Urlaub nichts vom Alltagstrubel wissen zu müssen, um dafür gestärkt in ihn zurückzukehren.

Freiheit ohne Euphorie

In Michel Francos neuem Film Sundown erlebt Neil (Tim Roth) genau das. Er verbringt mit seiner Familie einen Urlaub in Acapulco. Einen Urlaub, in dem man sich offenbar bemüht, in die Tat umzusetzen, was man zuletzt vom Reiseinfluencertum auf Instagram gesehen hat. Man gibt sich mittelmäßig amüsiert leichten Genüssen hin: Es wird geangelt, Klippenspringern zugesehen, im Infinitypool gelegen und Margheritas getrunken. Den Servicekräften nuschelt man geniert ein Danke zu oder ignoriert sie.

Freude will trotzdem nicht so recht aufkommen. Neil befindet sich von der ersten Einstellung an in einem halblebendigen Urlaubszustand, der Welt um sich herum in entspannter Gleichgültigkeit zugewandt. Als die Nachricht von einem Todesfall in der Familie eintrifft, muss der Urlaub abgebrochen werden, doch Neil will nicht weg. Mit einer Finte bleibt er in Acapulco und lässt die anderen nach Hause fliegen.

Doch da ist keine Freiheitseuphorie. Wir schauen vielmehr recht dabei lange zu, wie sich Neil immer stärker einer Apathie hingibt. Er lässt sich in den Mühlen der lokalen Tourismuskleinindustrie durchwalken, die ihn verlässlich in Taxi, Hotel, Strand und Bar führt. Selbst um die nasse Kleidung muss er sich nicht kümmern, die mexikanische Sonne trocknet alles. Franco schafft es, diese Urlaubslethargie regelrecht verstörend wirken zu lassen. Da lässt einer seine Familie sitzen und dann verlässt ihn jede Initiative. Das ist ein wenig, als würde das lyrische Ich in Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ in den Flieger steigen, in ebenjene Stadt fliegen und dann nichts weiter tun, als den ganzen Tag Hot Dogs zu essen. Solche sanften Schocks strukturieren Sundown und bringen uns regelmäßig ins Schlingern.

Synthetische Anteilnahme

Dass das Apathische nicht langweilig wird, ist auch der Hingabe geschuldet, mit der Tim Roth in seinem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, den Shorts und den Sandalen sich in Liegestühlen fläzt und durch die warmen Straßen schlurft. Zu Beginn hält er noch Kontakt zu seiner Familie – der storchklappernde Klingelton ist das nagende Gewissen –, irgendwann sperrt er sein Handy dann aber doch in eine Schublade. Nichts scheint mehr so richtig zu ihm durchzudringen, erklären kann er sich nicht, seine Unfähigkeit zu antworten verstört die anderen. Seine Anteilnahme an der Welt wirkt synthetisch. Er spricht nicht mehr als nötig, dennoch bahnt sich eine Liebes- oder zumindest Lustgeschichte mit einer einheimischen Kioskbesitzerin (Iazua Larios) an.

In alldem ist Neil kein Suchender, es gibt nichts zu finden für ihn. Ein Publikum aber will etwas finden, und um den Film in Gang zu halten, blättern sich Enthüllungen nach und nach wie sonnenverbrannte Haut aus der Handlung. Ein Krimiplot legt sich über die Geschichte, ein paar wenige Gewaltspitzen gibt es, schließlich sogar Tote. Den mehr angedeuteten als ausgefleischten Hintergrund bildet die Klassenkluft zwischen den reichen westlichen Urlaubern und den prekär lebenden Einheimischen.

Geheimnisse in Acapulco

Dass Sundown bei seinen gewichtigen Themen und der angedeuteten symbolischen Tiefe kaum Thesen anbietet und sich selbst nicht so recht zu Ende zu denken scheint, kann frustrieren. Doch wo ein ähnliches Problem in Francos letzten Film New Order für einen Eindruck der Belanglosigkeit sorgte, fordert sein stringenter Stil, der aus der Handlung ein Mysterium macht, uns hier beim Sehen tatsächlich heraus. Wo unsere Sympathien liegen, was wir als Ziele der Figuren vermuten, ob wir den Film als Krimi oder Satire betrachten, ist keinesfalls festgelegt. Wird hier nur eine dekadente Urlaubskultur persifliert oder auch globale Machtverhältnisse konkret gemacht? Ein Individualist gezeichnet oder von einer Familienkonstellation erzählt? Die Verunsicherung ist Methode, und sie passt zu einer Hauptfigur, die aufhört, sich und ihre Umwelt erklären zu können.

Der hübsche deutsche Untertitel des Films lautet „Geheimnisse in Acapulco“. Die größte Ambiguität des Films besteht womöglich darin, dass offen bleibt, ob es hier überhaupt ein Geheimnis zu ergründen gibt – oder man nur zusieht, wie Tim Roth sich die Lust am Leben von den Wellen am Strand abtragen lässt.

Neue Kritiken

Trailer zu „Sundown - Geheimnisse in Acapulco“


Trailer ansehen (2)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.