Sun Children – Kritik
VoD: Einmal mehr begeben sich Kinder auf Schatzsuche. Statt einem reinen Abenteuer erwartet uns im iranischen Film Sun Children aber auch ein Schuldrama, das die Frage aufwirft, was der tatsächliche Schatz ist.

Ein Parkhaus. Unzählige Luxuskarossen. Vier Jungen. Der Kleinste hält Ausschau, ob sich mögliche Besitzer oder ein Wachmann nähern, die anderen drei heben mit Holzklötzen ein Auto an und wollen mit Steckschlüssel und ein paar geschickten Handgriffen die Reifen entfernen. Es kommt, was kommen muss, die Truppe wird erwischt. Doch sie überwältigen den Mann von der Security gemeinsam und fliehen.

Der Einstieg in den Film ist hektisch, inszeniert wie ein Heist Movie, jede Änderung der Blickrichtung der Kinder ein Schnitt. Dabei erinnert die Prämisse eher an einen Abenteuerfilm: Der 12-jährige Ali (Rouhollah Zamani) und seine Freunde Abofazl (Abofazl Shirzad), Reza (Mani Ghafouri) und Mamad (Mahdi Mousavi) arbeiten in einer Werkstatt und verdienen sich nebenbei schnelles Geld mit Straftaten wie besagtem Autoreifendiebstahl. Als Ali von einem Schatz in den Tunneln unterhalb der Sun School ‒ einer Schule für Straßenkinder ‒ erfährt, meldet er sich mit seiner Clique für den Unterricht an, um sich dort auf die Suche zu machen. Und mit ihrem Antritt an dieser Institution zeigt sich der Film noch von einer anderen Seite. Rasanten Szenen wie der Anfangssequenz, späteren Hetzjagden oder dem eiligen Graben des Tunnels ‒ in den besten Momenten erinnert Sun Children hier an die aufpeitschenden Werke der Safdie-Brüder (Good Time, 2017; Der schwarze Diamant, 2019) ‒ steht das eher gemächlich inszenierte Schuldrama gegenüber. Ein Ruhepol, ja ein Ort ersehnter Sicherheit, inmitten der aufregenden und gefährlichen Schatzsuche.
Ökonomische Zwänge an jeder Ecke

Das iranische Kino hat es immer wieder geschafft, Kinder ernst zu nehmen, sie realistisch in ihren Widersprüchen darzustellen. Ob die Geschichte dabei komplett aus den Augen von Kindern erzählt wird (wie in Abbas Kiarostamis Wo ist das Haus meines Freundes?, 1987) oder sie nur als Randfiguren auftreten (so in Asghar Farhadis Nader und Simin ‒ Eine Trennung, 2011) ‒ ihre Bedürfnisse werden von den erwachsenen Figuren oder zumindest vom Film selbst verstanden und berücksichtigt. Die Vorliebe für Kinderfiguren geht wohl auch auf den Umstand zurück, dass nach der Revolution 1979 gesellschaftskritische Stoffe die Zensurbehörden schnell auf den Plan riefen. Kreative Regisseure umgingen dies, indem sie in Geschichten mit Kindern politische Themen eher allegorisch behandelten.

Dass auch Majid Majidi ein Gespür dafür hat, bewies er bereits mit Kinder des Himmels, der für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert wurde. Und wie in seinem Werk von 1997 werden auch in Sun Children die ökonomischen Zwänge, die auch und vor allem das Leben der Kinder bestimmen, an jeder Ecke deutlich: Da ist der eigentlich nachsichtige Direktor, der die Clique um Ali zunächst nicht aufnehmen will, weil die Spenden, auf die die Schule angewiesen ist, schon jetzt nicht für Miete und Schulessen reichen; da ist der Druck, schon im Kindesalter arbeiten zu müssen, weil die Eltern entweder nicht (mehr) da sind oder teure ärztliche Behandlung benötigen, und nicht zuletzt die Verzweiflung, die deutlich wird, wenn sich auf so etwas Unwahrscheinliches wie das Finden eines goldenen Schatzes verlassen wird. Der sich dann am Ende buchstäblich in Luft auflöst. Die Schule dagegen als Ort der Zusammenkunft und der Bildung ist der wertvollste Schatz: Das vermittelt Sun Children nicht immer subtil ‒ das letzte Bild des Films zeigt das Schulgebäude ‒, aber schließlich doch sehr eindrücklich.
Fliegende Schulranzen

Rouhollah Zamani, auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem Marcello-Mastroianni-Preis für den besten jungen Darsteller ausgezeichnet, rennt, gräbt und prügelt sich mit einer rohen Energie und Intensität durch den Film, die in ihrer unbändigen Wildheit gar ein wenig an Tom Hardy in Bronson (2008) oder Warrior (2011) erinnert. Und wenn er zu den unterirdischen Gewölben des Schulhauses schleicht, hat er zugleich etwas Elegant-Katzenhaftes. Gerade hier fällt auch die clevere Kameraführung ins Auge. Als Ali im Schulgebäude unentdeckt umhertappt, fängt die Kamera sowohl ihn als auch den Blick um die nächste Ecke ein ‒ die Szenerie wirkt dabei fast wie ein Splitscreen. Auch sonst finden Regisseur Majidi und Kameramann Hooman Behmanesh schöne, symbolhafte Bilder, etwa die Aufnahmen der fliegenden Schulranzen, wenn Schüler und Lehrer gegen die Schließung der Schule durch den Vermieter aufbegehren. Oder in der Anfangssequenz, in der wir zunächst immer ganz nah an den Kindern sind, die Schweißperlen, die klebrigen Haare, den Dreck sehen. Nach der erfolgreichen Flucht aus dem dunklen Parkhaus suchen sie Erfrischung in einem Brunnen, sie baden gleichzeitig im Wasser und in der Sonne. Und so wie die Kamera langsam auf Entfernung geht und der Titel eingeblendet wird, so stellt sich auch beim Zuschauen ein kurzes Gefühl von Entspannung ein. Der Film balanciert stets zwischen düsterer Realität und hoffnungsvollen Lichtblicken. Hier das Gleichgewicht zu bewahren, ist nicht einfach ‒ Sun Children gelingt es.
Der Film steht bis 04.10.2023 in der ARD-Mediathek.
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