Fridas Sommer – Kritik
Neu auf VoD: Carla Simón spürt in ihrem ersten Langfilm Fridas Sommer der traumatisierten Psyche ihres siebenjährigen Ichs nach. Bis endlich wieder einer weint.

Und plötzlich ist es komplett dunkel. Gerade hat die siebenjährige Frida noch vor der jüngeren Cousine Anna mit ihren Puppen angegeben, als das Gewitter das Licht im Haus von Onkel und Tante ausknipst. Hat die kleine Anna eben noch brav und stillschweigend dem Aufzählen der Puppennamen zugehört, ist sie jetzt die Einzige, die spricht. Und wir hören, wie sie ihre Eltern mit kindlicher Neugierde ausfragt: Bringt ein Blitz die Glühbirnen zum Platzen? Nein? Dann eher das Haus zum Brennen? Auch nicht? Tatsächlich ist einfach nur kurz der Strom ausgefallen, doch das reicht schon, damit Frida ganz still wird, sich zusammenkauert und fast schon paralysiert ist. Nicht dass der Film in den bisherigen zehn Minuten eine andere Frida gezeigt hätte, im Gegenteil: Vorher wird sie noch von einem Jungen gefragt, warum sie eigentlich nicht weint, so wie alle anderen Kinder um sie herum. Die Frage ist naheliegend, erfahren wir doch im nächsten Moment, dass sie mit dem Ableben ihrer Mutter nun beide leiblichen Eltern verloren hat, weswegen sie nun bei Onkel, Tante und Cousine auf dem katalanischen Land leben soll. Später, als es wieder über ihr zu gewittern anfängt, schaut sie abermals mit leerem Blick gen Himmel. Doch nur Donner ist da zu hören, kein einziger Blitz ist zu sehen.
Ein Kind unter Einfluss

Für Ursachen jeglicher Art scheint sich Regisseurin Carla Simón in ihrem Langfilmdebüt Fridas Sommer zunächst nicht zu interessieren. Was in der Inszenierung des kindlichen Traumas ihres Alter Egos Frida zählt, ist erstmal die reine Wirkung, das pure Hier und Jetzt einer Situation, die es zu verarbeiten gilt. Ihre Einsamkeit, die fehlende Zugehörigkeit zu einer Kernfamilie schlägt sich deswegen in einer streng linearen Erzählweise und in der Bildsprache nieder. Häufig ist Frida dort alleine kadriert, ganz ohne formalen Bezug zu den Menschen um sie herum, und die Anwesenheit anderer Figuren im Raum wird dann nur über den Sound erzählt. Ob als Tratsch an der Metzgertheke („Ich hätte nicht gedacht, dass man an einer Lungenentzündung sterben kann“) oder als verharmlosend-verklärende Erzählung gegenüber dem Kind („Mit deinem Vater hat sie sehr dumme Sachen gemacht“). So sehr Frida mit den Auswirkungen des Traumas beschäftigt ist, so sehr ist die Trauerarbeit der erwachsenen Stimmen aus dem Off vom Reden über die Ursachen geprägt.
Kindliche Perspektive

Dass ihre Mutter an AIDS gestorben ist, wird nie expliziert, ist jedoch für jeden Erwachsenen im Film und jeden Zuschauer aus den Gesprächsfetzen zu schließen, und spätestens dann, wenn sich Frida beim Spielen das Knie aufschlägt und eine andere Mutter Angst vor ihrem Blut hat. Simón erzählt damit die kindliche Perspektive, ohne den Zuschauer in sie zu versetzen, ihn also die Welt aus den berühmten Augen eines Kindes zu zeigen, aus denen jedes noch so komplizierte Problem irgendwann seine Schlichtheit offenbart. Dass die kindliche Psyche indes ernst genommen wird, erkennt man schon daran, dass die Kamera sich immer wieder nur dem ruhigen Beobachten der faszinierenden Dynamik zwischen Frida und ihrer Cousine Anna hingibt. Wie Anna versucht, in Frida eine Schwester zu finden, wie Frida Anna mit ihrem Alter beeindrucken will oder wie sie mit ihr in einen Wettbewerb um die Liebe der Eltern treten möchte. Obwohl Carla Simón hier ihre Kindheit verfilmt, ist es kein wissender Blick, der diese Handlungen erkundet, vielmehr einer, der erst langsam versucht zu verstehen.
Rückwärtsgewandtes Coming-of-Age
Der Wettbewerb um die Liebe der Eltern offenbart die Grundbewegung von Fridas Sommer. Simón will nicht nur die traumatisierte Psyche eines Kindes greifbar machen, sondern auch potenziellen Heilverfahren nachspüren. Von der Oma wird gewissermaßen Religion verschrieben, deren Placebo-Effekt sich nunmal nicht entfalten kann, wenn das Vaterunser jeden Abend mechanisch vom Rezeptzettel abgelesen werden muss. Stattdessen ist es die Rückführung in die Familie, an die Simón glaubt. Damit verfolgt sie gewissermaßen eine umgekehrte Coming-of-Age-Logik: Fridas Sommer ist kein Film, in dem die Freiheit von familiären Zwängen wartet und am Ende ein wichtiger Schritt in Richtung Erwachsensein getan wird. So ruhig, wie sich Frida bewegt und selbst im Mutter-Kind-Spiel noch die divenhaft-rauchende Mama mimt, geht es darum, den Schritt zurück zu machen und endlich wieder Kind sein zu können. Und das, bis sich diese kontrollierten Bewegungen wieder zum umgestümen Rennen verwandeln, Onkel und Tante zu Mama und Papa werden und das ausdruckslose Gesicht endlich mal beweist, wie schön es plärren kann.
Den Film kann man sich bei Grandfilm on Demand ansehen.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Fridas Sommer“


Trailer ansehen (2)
Bilder




zur Galerie (7 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.