Suk Suk – Kritik

Zärtliche Verbindung zwischen zwei älteren Männern in Hongkong: Mit Suk Suk bringt uns Ray Yeung eine fast unmögliche Lebensrealität so nah wie nötig.

Zwei Männer im frühen Rentenalter – zwei „Onkel“ (suk suk) – schlendern über einen Markt, kaufen Gemüse und Fisch: den besten. Sie bereiten verschiedene Gerichte zu, teilen die Arbeit auf. Sie essen. Sie sitzen auf dem Sofa, jeder in einer Ecke, und schauen fern. Dann schauen sie sich an. Bis hierhin war die Kamera immer ein Stück näher an die Protagonisten des Filmes herangerückt. Nun streichen übergroße Hände über wenig behaarte, etwas porige und nachgebende Haut. Küsse in Großaufnahme werden getauscht. Im Bett – jetzt wieder in der Distanz: in starker Aufsicht – schmiegen sich die Körper der Männer behutsam aneinander. In dieser Einstellung, nur gänzlich nackt, hatten wir die zwei zuvor schon mehrmals gesehen. Alles ist durch exakte Schnitte getrennt (ein Samstagnachmittag, ein Abend, eine Nacht) und eher lose verbunden. In dieser Szenenfolge, etwa in der Mitte, die die Klimax der Romanze und des Films bildet, läuft dramaturgisch nichts zusammen, sondern die Filmzeit selbst, so wie im gesamten Film, einfach ab.

Ein Tag zu zweit

Dabei stellt diese Szene einen unwiederholbaren Moment im Leben der Protagonisten dar: ungestörte Intimität und Alltäglichkeit. Ein ganzer Tag zu zweit. Um die Radikalität dieser Beiläufigkeit zu verstehen, muss man etwas mehr über die Gesellschaft und Kultur Hongkongs wissen, die ebenso undramatisch wie die beschriebene Schlüsselsequenz ins Narrativ gewebt ist. Denn Suk Suk von Ray Yeung verquickt drei Problemfelder des zeitgenössischen Hongkongs: Sexualität im Allgemeinen, Homosexualität im Besonderen und das Altern.

Daher zum gesellschaftlichen Regelkanon Hongkongs, wie sie der Film präsentiert: Pak (Tai Bo), ein Taxifahrer, lebt mit seiner Ehefrau in einer für Hongkong-Verhältnisse geräumigen Wohnung. Seine Kinder sind ausgezogen und kommen nur zum Essen auf Besuch. Mit seiner Pensionierung, der wir beiwohnen, wird ihm der Sohn großzügigen Unterhalt zahlen, nicht per Gesetz, sondern freiwillig. Deshalb schätzt sich Pak glücklich, der als Geflüchteter aus China einst bei null anfing – und wird an seiner Situation auch nichts ändern wollen. Als schwuler Mann hat er, wie wir lernen, einige Erfahrung im Organisieren anonymer Hook-ups, denen er offenbar reuelos nachgeht. Zu Hause ist er fürsorglicher Patriarch.

Hoi (Ben Yuen) hingegen ist geschieden und lebt mit seinem Sohn, dessen Ehefrau und der kleinen Tochter zusammen. Da in Hongkong aufgrund massiven Raummangels sehr oft mehrere Generationen in einer Wohnung leben, wiegt der Generationenvertrag schwer. Privatsphäre stellt daher keinen eigenen oder gar höheren Wert dar. Hoi hatte, so lässt uns der Film wissen, ebenfalls bereits Beziehungen mit Männern – etwa in einer lang vergangenen Zeit in Taiwan. Obwohl er wegen der räumlichen Nähe zum Sohn in größerer Gefahr schwebt, aufzufliegen, ist er an oberflächlichen Begegnungen offenbar nicht interessiert. So führt er Pak, als sich beide begegnen, sanft an eine fast unmögliche Lebensrealität heran und in eine zärtliche Verbindung hinein. Der Tag zu zweit findet daher in Hois Wohnung statt, an einem Wochenende, an dem sein Sohn mit der Familie verreist ist.

Keine romantische Liebe, wie auch?

Die Enge und die fehlenden intimen Räume nun bilden den Hintergrund, auf dem sich das Thema Sexualität ganz generell und bereits bei der Jugend im realhistorischen Hongkong als problematische entfaltet. Regelrecht zölibatäre Bewegungen haben sich unter den Heranwachsenden gebildet. Auch der fiktive, aber mögliche, als Badehaus getarnte Begegnungsort, an dem Pak und Hoi sich über den Film verteilt regelmäßig treffen, bleibt so ein Refugium ohne Verlängerung in den gesellschaftlichen Raum.

Dennoch wird Hoi von einem schwulen Freund gegen jede Konvention gefragt werden: „What’s it like being a mistress?“ Und Hoi wird antworten: „Being with a married man is always troublesome.” Auch Geschlechterstereotype werden hier wie zufällig thematisiert – und ausgehöhlt. Die Liebschaft ohne Zukunft wird uns in vielen solcher Andeutungen so nah gebracht wie über die eingestreuten Körperbilder, aber nur so nah wie nötig. Das wird leise und ohne filmischen Schnickschnack erzählt – und ist deshalb sehr stark. Denn der Film folgt nicht dem Narrativ der romantischen Liebe. Aber wie könnte er auch.

Die Kamera geht zur Betonung des Gefühligen der Beziehung einfach sehr nah an die entblößten Männerkörper heran, ohne sie allerdings bloßzustellen. Denn der Film zeigt nur so viel, wie wir als Zuschauer*innen wissen müssen und auch aushalten können: Nur ab und zu beschleicht einen das Gefühl, dass man die Intimität nicht weiter stören, ihr nicht zu lange voyeuristisch beiwohnen möchte. Eine Gratwanderung. Den Bildern fehlt hier eigentlich, so könnte man sagen, die zur Distanzierung einladende Ästhetik, obwohl sie auch immer wieder im ganz herkömmlichen Sinne „schön“, also fotogen sind – so wie das abtropfende Essgeschirr, die vom Wind bewegten Putzlappen und Vorhänge oder das von einem Luftzug erfasste Toilettenpapier. Der Film ist randvoll mit derart Momenthaftigem.

Dringend Verleih gesucht

Auch die musikalische Spur des Films zeugt nur von leichter Sentimentalität: Es sind chinesische und taiwanesische Songs aus der Jugendzeit der Protagonisten. Von Hongkong selbst sehen wir daher wenig, der Stadtraum wird nicht zur Verlängerung eines Gefühls, dafür einiges vom Alltag einfacher Menschen und einer wenig bekannten Subkultur. Schon deshalb ist Suk Suk ein aufklärerischer Film, der fast ausschließlich mit privaten Mitteln der LGBT-Bewegung Hongkongs (Homosexualität ist hier erst seit 1991 legalisiert) finanziert wurde, ein Film also, für den es dringend einen Verleih braucht.

Der berührendste Moment ist denn auch in einer Randgeschichte über eine Gruppe von Aktivisten zu finden, die für spezielle „gay nursing homes“ kämpft. Dafür erfindet der Film eine öffentliche Anhörung, die natürlich einem auch für Hongkong noch lange nicht selbstverständlichen sozialen Outing gleichkäme: jedenfalls für ältere, so wie die Protagonisten noch traditionell geprägte Menschen. Die Gruppe selbst gibt es aber wirklich; nach eigenen Angaben des Regisseurs war er während seiner Recherchen zum Film auf sie gestoßen.

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