Suburbicon – Kritik
Auf, auf, wir müssen zurück in die 1950er! Hinter Vorstadtfassaden gucken, Abgründe entdecken, uns vielleicht sogar ein bisschen Trump erklären lassen. Aber keine Angst, es wird ganz lustig mit Suburbicon, wir haben nämlich ein altes Drehbuch von den Coens im Gepäck …

Wütende, weiße Hackfressen vermengen sich zu einem Mob, belagern das Haus der schwarzen Familie Myers, die Polizei macht da nicht viel, die Sache wird immer aggressiver, zumindest soweit wir das mitbekommen, wenn wir mal kurz pflichtschuldig rüberschauen aus dem Coen-Film, der nebenan bei Familie Lodge stattfindet und in den wir dann gleich zurückkehren können. Dort geht’s nämlich erst so richtig wild zur Sache: Da wurde die sorgende Mutter und Hausfrau Nancy (Julianne Moore) betrogen und liegt nun unter der Erde, und dem kleinen Nicky schwant so langsam, dass sein Daddy Gardner (Matt Damon) und seine Tante Margaret (auch Julianne Moore!) irgendwas verbergen. Und dann tauchen noch irgendwelche Mafia-Leute und gewiefte Versicherungsagenten auf. Es ist einiges los in Suburbicon, dem Vorzeige-Vorstadtprojekt, das diesem Film seinen Namen gibt.
Die Fifties, das Bälleparadies für Gesellschaftskritiker

Wir sind nämlich in den 1950ern, auch deshalb, weil Regisseur George Clooney sich mal die Zeit genauer angucken will, die als nostalgische Projektion so vieler Trump-Wähler herhält, aber eigentlich guckt er sich da gar nichts genau an. Die Fifties sind ja nicht nur Projektionsfläche für Konservative, sondern auch Negativfolie für Progressive, die dem idealisierten Kitsch um Kernfamilie, Angestelltenjob und Eigenheim im Vorbeigehen entgegenhalten, dass das immer schon eher Mythos als Realität war und zugleich mit allerlei Ausschlüssen einherging. War alles ganz anders, sagen sie dann. Ist uns doch egal, sagen die Gemeinten mittlerweile. Für engagierte Filmemacher wie Clooney sind die 1950er jedenfalls immer noch ein gefundenes Fressen: zum x-ten Mal Abgründe hinter der Vorstadtfassade, Rassismus und politische Relevanz gibt’s gratis dazu. Für die Abgründe hat sich Clooney ein altes unverfilmtes Drehbuch der Coen-Brüder geschnappt und bekommt es hin, dass man in eigentlich jeder Szene von Suburbicon höchstens vermittelt über die Idee lacht anstatt unvermittelt über ihre Übersetzung in Bilder. Für den Rassismus hat er …, ja, was hat er da eigentlich gemacht?

Es gibt da also eine Eingangssequenz, in der ein trotteliger Briefträger bei den frisch eingezogenen Myers klingelt und die Frau, die ihm öffnet, angesichts ihrer Hautfarbe für eine Haushälterin hält. Als ihm und den Nachbarn schwant, was da eigentlich los ist, scheint Suburbicon erstmal stillzustehen und befreit sich nach einem Schnitt aus dieser Schockstarre, als ein weißer Mob beim nächsten Town Hall Meeting wütend gegen den schwarzen Fleck auf der weißen Weste protestiert. So weit, so klar, so damals, so historisch verbürgt: William und Daisy Myers gab es wirklich, sie zogen 1957 nach Levittown. Aber das muss dann eben auch erst einmal reichen, weil Clooney ja noch die Geschichte von Familie Lodge nebenan zu erzählen hat. Also wohnen wir bald einem Einbruch mit tödlichen Konsequenzen bei.
Konkrete und abstrakte Gewalt

Dass diese beiden Stränge von Suburbicon nicht zusammenpassen, das ist schnell gesagt, es ist irgendwie offensichtlich, aber es ist noch nicht einmal das Problem. Reibung zwischen auch ästhetisch unterschiedlichen Welten innerhalb eines Films kann ja produktiv sein, kann auch den Blick schärfen für jene sozialen Reibungen, die tief im filmischen Material versteckt sind. Aber die Myers-Geschichte und der Coen-Plot stehen so unbehaglich nebeneinander, dass sie sich gegenseitig jegliche Kraft rauben. Und die unterschiedlichen Tonlagen, in denen sie vorgetragen werden, machen ein Problem ganz offensichtlich: Es ist nicht unbedingt das repräsentationspolitische Problem, dass die schwarzen Figuren insgesamt vielleicht drei Sätze sagen, sondern dass dieses quantitativ ungleiche Verhältnis jenen qualitativen, ja ästhetischen Unterschied zwischen den zwei Welten umso sichtbarer macht.

Für die ganz normalen Weißen gibt’s da nämlich die konkrete Gewalt, die schwarzhumorige, absurde, makabre, coenesque, körperliche Gewalt, also die mit den originellen visuellen Einfällen, die mit den tarantinomäßigen Oh-ich-bin-über-einen-Huppel-gefahren-Momenten, die mit dem Bildwitz. Für die Schwarzen gibt’s die abstrakte rassistische Gewalt, den Mob und den Hass, die Ihr-wisst-schon-Gewalt, die man mit ein paar weißen Hackfressen, einer Südstaatenflagge und einer verängstigten schwarzen Familie mal so eben aus dem Ärmel schütteln kann. Da mag in den kaputten weißen Figuren noch so viel Subtext über eine kranke Mehrheitsgesellschaft mitschwingen, die ästhetische Arbeitsteilung zwischen dem von weißen Hollywoodstars performten Hauptplot und der schwarzen Familie als Politisierungsvehikel durchkreuzt Suburbicon weder, noch problematisiert er sie, er bedient sich ihrer einfach. Wenn Clooney während der Vorbereitung seines neuen Projekts Rassismus und Trump’sche „white supremacy“ als ein aktuell dringliches Thema erkannt hat, dann nutzt er diese Erkenntnis nicht für eine Veränderung der Rezeptur, sondern nur für einen zusätzlichen Griff ins filmische Gewürzregal: eine Prise Rassenhass drübergestreut.
Das ästhetische Grenzregime von Suburbicon

Das macht den Film nicht gleich ungenießbar, aber hinterlässt doch einen üblen Beigeschmack – auch weil nie so richtig klar wird, was uns hier eigentlich aufgetischt werden soll. Dass die weiße Mittelklasse Leichen im Keller hat oder über welche geht? Dass die Vorzeige-Vorstädte der Fünfziger ein Ort der Gewalt waren? Dass es da eine Verbindung gibt zwischen individualpsychologischen Abgründen und sozialem Ausschluss? Versöhnlich muss es natürlich enden, zum Beispiel mit einem Bild, in dem die beiden Söhne der Familien Lodge und Myers sich einen Baseball über den Gartenzaun hinweg zuwerfen. Suburbicon wäre so gern dieser Ball, der da in kindlicher Unschuld von Schwarz zu Weiß und wieder zurückgeworfen wird, über alle Vorstadtgartenzäune dieser Welt hinweg. Der Film bleibt aber einem ästhetischen Grenzregime verhaftet, das diese Bewegung von vornherein verunmöglicht.
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