Stilles Chaos – Kritik
Das Thema Trauer hat Nanni Moretti als Regisseur, Autor und Schauspieler bereits großartig in Das Zimmer meines Sohnes (2001) behandelt. Stilles Chaos ist eine Variation dieses Stoffes unter helleren Vorzeichen.

Stilles Chaos beginnt dort, wo Das Zimmer meines Sohnes aufhörte: am Strand. In Nanni Morettis 2001 gedrehtem Film um den Tod eines geliebten Kindes, eine über weite Strecken sehr düstere und tieftraurige Geschichte, war das letzte Bild der noch dreiköpfigen Familie am Meer ein hoffnungsvoller Schluss, der erste Schritt aus der Tristesse. Nun sehen wir Moretti erneut am Strand. Er spielt als Fernsehmanager Pietro mit seinem Bruder Beach-Tennis. Sie hören Hilferufe aus dem Wasser. Sie retten zwei Frauen, erhalten dafür aber keinen Dank. Als Pietro nach Hause kommt, ist seine eigene Frau tot.

Regie führt dieses Mal Antonello Grimaldi, aber Moretti ist wieder am Drehbuch beteiligt. Die Geschichte kreist um dasselbe Thema wie der ältere Film, aber heller, auch komödiantischer, wie eine leichte Variante desselben Stoffes. Denn auch wenn der Tod der Frau innerhalb der ersten Minuten wie ein Schock kommt: Die Handlung hört sich ernster an, als sie ist. Stilles Chaos ist ein stellenweise schon fast vergnüglicher Film, der mit herkömmlichen Mitteln, aber auch mit Bravour eine schwierige Balance hält.
Pietros zurückhaltende, melancholische Trauer – ein stilles Chaos eben – geht einher mit einer überschwänglichen Fürsorge für seine Tochter. Als er sie zur Schule bringt, wartet er den ganzen Tag draußen, bis sie wieder herauskommt. Dem Büro bleibt er fern. Und das macht der besorgte Vater ab diesem Zeitpunkt jeden Tag so.

Ort der Handlung ist von nun an fast ausschließlich der kleine Park vor der Schule, wo Pietro sich zunächst im Auto, später auf einer Bank niederlässt. Die Kamera fängt ihn mit sehr flacher Schärfentiefe ein, wie herausgeschnitten aus der Welt. Dort empfängt er Besucher: Verwandte, Arbeitskollegen, Freunde, die aber bald nicht mehr versuchen, den stoischen Einsiedler zur Vernunft zu bringen, sondern Rat bei ihm suchen. Das ist eine helle Parallele zu Das Zimmer meines Sohnes: Dort war die von Moretti gespielte Figur ein Psychiater, der, gefangengenommen von seiner eigenen Trauer, nicht mehr fähig war, seinen Patienten zu helfen. Hier ist er nun eine Art Orakel, zu dem die Menschen pilgern. Ein Mann, der alle Zeit der Welt zum Zuhören hat.
Die Probleme, die ihm geschildert werden, bilden ein Panoptikum moderner Lebenswelten: Die Schwierigkeiten der Schwägerin mit Männern, die turbokapitalistischen Fusionsbestrebungen der früheren Kollegen, der Wert von Religion für den Büromenschen von heute. Zwischendurch bandelt Pietro noch zaghaft mit einer schönen Hundebesitzerin an und gibt dem Wirt des Parkcafés kulinarische Tipps. In einem hübschen Kabinettstückchen kommuniziert er täglich mit einem behinderten Jungen, der sich jeden Morgen darüber freut, wenn das Auto des Witwers ihn grüßt – mit dem Piepsen, das durch die fernausgelöste elektronische Türverriegelung entsteht.

Das Drehbuch nach einem Roman von Sandro Veronesi scheut sich nicht vor solchen humoristischen Inseln, die ja meist eingesetzt werden, um einem allzu ernsten Ton zu entfliehen, und die im Gefühlshaushalt des Zuschauers hinreichend bekannte Schalter umlegen. Auch der Einsatz von Musik ist alles andere als zurückhaltend. In direktem Vergleich zu derartig publikumsbeglückenden Mitteln wirkt Morettis Mimik angenehm kühl, die ungläubige Leere in seinem Gesicht lässt die entstehende Wärme, die Sorge um seine Umwelt nur langsam erahnen. Unter den Nebendarstellern fallen vor allem Hippolyte Girardot als Kollege, Alessandro Gassmann als erfolgsverwöhnter Bruder und Blu Yoshimi als seltsam altkluge Tochter auf. Und in einem kleinen Gastspiel ist Roman Polanski zu sehen.
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Kommentare
mi3000
der film ist wirklich gut.
zudem kenne ich nun alle premiumoptionen eines 5er BWM's - wieviel haben die Bayern für das Productplacement bezahlt?
christian
fand den film nicht wirklich ansprechend,
die "seltsam altkluge" tochter empfand ich, wie viele andere stellen des filmes, hochgradig realtitätsenthoben.
die musik drängte sich scheinbar in den vordergrund um die wenig ergreifende story des filmes dann doch noch zu herzen zu führen, die geschichten um den schauplatz der handlung herum waren zwar interessant, jedoch viel zu kurz und enorm oberflächlich angeschnitten.
der film war im gesamtbild nett, aber ich kann den oft sehr positiven kritiken kaum zustimmen
POYER R.
Es ist ein eigenartiger Film,mit welchem ich nicht allzuviel anzufangen weiß. Er erinnert mich irgendwie an Nicholson`s
"About Smith" welchen ich hervorragend finde
ebenso wie ich die heutigen Filme fast ausnahmslos "scheiße" finde.Ein Chaos sieht anders aus,allzu unglaubwürdig die ganze Story - schade - weil ich ein Fan aller italienischen Filme bin.
3 Kommentare