Stella. Ein Leben. – Kritik
Die Jüdin Stella Goldschlag verriet während der NS-Zeit Hunderte Juden an die Gestapo. Kilian Riedhofs Film lässt sie mit ihrem Mann wie Bonnie und Clyde durch Berlin streifen und die Geschichte zunehmend in hochästhetisierten Horror driften.

Regisseur Kilian Riedhof ist keiner, der vor dem erstarkenden Antisemitismus und Rechtspopulismus die Augen verschließt. Während die letzten Zeitzeug*innen des Holocausts nach und nach sterben und AfD-Politiker*innen wie Björn Höcke die Erinnerungskultur in die Knie zwingen wollen, leben Juden in Deutschland zunehmend gefährlicher, antisemitische Parolen, auch körperliche Angriffe gegen jüdische Personen häufen sich. Bereits vor dem 7. Oktober 2023 war das so, schon 2019, als Riedhof mit der Konzeption seines Films begann. Dass eine der kontroversesten Geschichten über jüdisches Leben zur NS-Zeit ausgerechnet jetzt ins Kino kommt, ist durchaus brisant: Stella. Ein Leben erzählt von einer deutschen Jüdin, die von 1943 bis zum Kriegsende Hunderte Jüdinnen*Juden an die Gestapo verriet und auslieferte.
Ambivalenzen und Grautöne

Spricht Riedhof über seinen Film, ist dessen Bedeutung für ihn glasklar. Eine Warnung soll er sein. Vor rechtsradikalen Tendenzen, die in Deutschland zunehmend salonfähig werden. Und davor, sich zur Mittäterin, zum Mittäter zu machen. Aber zugleich auch davor, Mittäter*innen vorschnell zu verurteilen. Kurzum, ihm geht es um Ambivalenz, um die moralischen Grautöne, die sich bei Stella Goldschlags Übergang zur sogenannten „Greiferin“ zeigen. Riedhof verspricht in den ersten Sekunden des Films ein möglichst akkurates Porträt der historischen Person, konzipiert mithilfe der Akten beider Prozesse gegen Stella Goldschlag, in deren Rahmen sie zweimal schuldig gesprochen wurde.

Dass Stella (Paula Beer) eine moralisch diffuse Zone symbolisieren soll, wird bereits zu Beginn des Films deutlich. Zwar lebt und performt die aufstrebende Jazzsängerin inmitten der NS-Diktatur, jedoch ist es ihr noch uneingeschränkt möglich, in Berlins Kunst- und Kulturszene ein hedonistisches Leben zu führen. Als die Hinweise auf die Gräueltaten des Regimes jedoch zunehmen und ein Bandkollege aus Angst um den inhaftierten jüdischen Vater vor seinem Instrument kapituliert, ist Stella unerbittlich. In ihrer Welt dreht sich alles ausschließlich um sie und steht die Musik und die Performance über allem. Dass sie selbst hochgradig gefährdet ist, scheint für sie zweitrangig.
Bonnie und Clyde im Dritten Reich

Und darin offenbart sich bereits die Hauptproblematik von Stella. Ein Leben. Riedhof versucht sich an einem Balanceakt. Er will eine jüdische Figur schaffen, die moralisch ambivalent und so vielschichtig wie authentisch ist, etabliert aber bereits zu Beginn eine Protagonistin, die ihre jüdische Identität schlicht negiert. Sie reißt sich den gelben Stern im Close-up vom Mantel, flirtet mit Nazi-Offizieren und durchtanzt mit ihnen die Nächte. Im Eifer, Stella bloß nicht in eine passive Opferrolle zu drängen, macht Riedhof sie fast schon zur Antagonistin und erschwert es, ihren Verrat nachvollziehbar zu machen.

Eigentlich soll eine gewalttätige Konfrontation mit den Nationalsozialisten als realistischer Grund für Stellas Überlaufen herhalten und somit ihre Mittäterschaft erklären. Allerdings verliert sich Riedhof dabei in einer inszenatorischen Überkompensation, lässt die physische Gewalt, die Stella – mittlerweile Kleinganovin und Passfälscherin – nach ihrer Festnahme durch die Nazis erleidet, in hochästhetisierten Horror driften. Makaber ist dann vor allem, wie Riedhof nach der exzessiven Gewaltdarstellung, die die Handlung zweiteilt, mit der Inszenierung fortfährt. Stella wird zur ruchlosen Ganovin, die gemeinsam mit Ehemann Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner) wie Bonnie und Clyde durch Berlin streift, immer auf der Suche nach neuen Opfern zum Ausliefern. In überstilisierten Bildern bewegt sich das Paar durch die Stadt, denunziert jüdische Mitmenschen und erfreut sich an illegal erbeuteten Gütern. Dass Stella gewaltsame Folter erleiden musste, die eigentlich als Motivation für ihre Mittäterschaft dienen soll, wird vollständig beiseitegeschoben und der Film erzählt die Geschichte eines ausgefuchsten wie charmanten Gaunerpaares.

Wie ein verhaltenes Eingestehen hastet Stella. Ein Leben dann durch seine letzten zwei Abschnitte, die sich in den Jahren 1957 und 1984 abspielen, die Jahre ihres zweiten Prozesses und ihres Suizids. Und in diesen beiden kurzen Fragmenten gibt der Film zu, was eigentlich schon seit Beginn spürbar ist: dass Stella Goldschlag antisemitisches Denken keineswegs fremd war und sie sogar versuchte, auf dieser Basis ihre Taten später zu rechtfertigen. Hier landet Kilians Vorhaben, moralische Grautöne und Ambivalenzen darzustellen, endgültig in einer Sackgasse, und die Grautöne werden über Umwege wieder ziemlich schwarz und weiß.
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Kommentare
Karl Alich
Stella. Ein Leben.
Eine richtige und wichtige Filmkritik. Die letzten zwei Abschnitte der Jahre 1957, erster Prozess in West-Berlin, und 1984 Suizid sind sehr unglücklich plaziert. Hier landet der Film nicht nur in der Sackgasse, sondern im Abseits. Die wichtigste Szene, der Suizid zum Ende des Films, überrascht nach der verkrampften Restaurant-Szene ohne jeden Kontext zu den Verbrechen. Hatte Stella nun ihre Schuld eingesehen und wollte büßen? Hat sich Obersturmbannführer Dobberke auch umgebracht? Er hatte doch im Film mit Stella Weihnachten gefeiert und sich an ihrer Schulter ausgeheult. Es geht doch nicht nur um die eine Opfer-Frage: Wie hättest Du Dich anstelle von Stella verhalten? Es geht doch auch um die zentrale Täter-Frage: Hättest Du den Eid auf den Führer geleistet und Juden gemordet?
Ein Abschied vom starren Schwarzweiß-Denken sieht in der Tat anders aus. Die Vergangenheitsbewältigung brauchen wir jetzt, damit sich niemand mehr die Frage stellen muss: Wie hättest Du Dich entschieden?
Nur der Vollständigkeit halber: Das Urteil von 1957 wurde durch den BGH aufgehoben. Der zweite Prozess fand in West-Berlin 1972 statt, ihr Suizid - erfolgte final im Jahre 1994, nach Ausstrahlung der Fernsehdoku "Die Greiferin" von Ferdinand Kroh. Ein möglichst akkurates Porträt der historischen Person sieht anders aus.
Karl Alich, Rechtsanwalt
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