Spirit in the Blood – Kritik

VoD: Ein paar Freundinnen aus einer abgelegenen religiösen Gemeinde ziehen durch Wald und Wiesen und probieren sich aus, während es ein Monster auf junge Frauen abgesehen hat. Als Horrorfilm bleibt Spirit in the Blood ein wenig blutleer, doch als Abhängfilm ist er sehr schön.

Der Handlungsort ist eine abgelegene, von Wald umschlossene Gemeinde. Sonntäglich wird sich in der Kirche getroffen. Wer eine Verfehlung begeht, kann auch mal vor dem Priester (Michael Wittenborn) landen, der Frevler an sich presst, wonach diese ohnmächtig umfallen. Offiziell, weil der Teufel aus ihnen herausfährt, inoffiziell, weil sich den Spielregeln symbolisch unterworfen wird – der Aussätzige kann so wiederaufgenommen werden. Gezeigt wird uns dieser Ort mittels weiter Wiesen, breiter Waldwege und nur vereinzelter Häuser, doch dieser Hang zur Luftigkeit steht im krassen Gegensatz zum Gefühl des Eingeschlossenseins. Die von außen Kommenden bleiben ohne greifbare Vergangenheit, zwei junge Frauen werden wie an einer unsichtbaren Grenze stehenbleiben, wenn sie von einem Draußen träumen: Wir befinden uns auf einer Art Insel voller Gestrandeter, umgeben von Leere.

Männliche Jäger, weibliche Gejagte

Emerson (Summer H. Howell) verschlägt es in Spirit in the Blood an diesen Ort, weil ihr Vater (Greg Bryk) mit seiner Familie hierher zurückkehrt. Zur Begrüßung in der neuen Schule wird der Jugendlichen in den Rucksack gerotzt – als Auftakt weiteren Mobbings. Auch in der Kirche bleibt sie ausgesondert, wenn auch nicht auf so aggressive Weise. Erst als sie sich mit der älteren Außenseiterin Delilah (Sarah-Maxine Racicot) anfreundet, findet sie Anschluss. Beziehungsweise findet sie andere, die genauso wenig wissen, wer sie sind und wohin der Weg gehen soll. Und die sich lieber von Comics, ihrer Fantasie, ihrem Körper und ihrem Mut leiten lassen, als sich dem Status quo anzupassen. In der Hoffnung, doch entkommen zu können.

Der Twist dieses klassischen Coming-of-Age-Aufbaus stellt eine Spaltung in dieser Gesellschaft dar. Hier die Jäger, die Männer, die Mächtigen. Eine sehr weitgefasste und omnipräsente Menge, die alle Schichten umfasst. Der Priester ist ebenso eingeschlossen wie jähzornige Familienväter, White-Trash-Rowdys oder auch Tomboy-Schlägermädchen. Sie verbindet, dass sie laut sind und fordernd, dass sie ständig – spielerisch oder nachdrücklich – ihre Macht unterstreichen. Ihnen stehen die Sensiblen entgegen, die Unsicheren, Leisen, allesamt Frauen. Diese verbindet, dass sie wie Tiere wirken, auf die Jagd gemacht wird, wenn sie aus der Reihe tanzen oder einfach nur als Sexualpartner infrage kommen.

Das Monster bleibt Randfigur

In Verbindung mit der Enge heißt das, dass Spirit in the Blood das Coming-of-Age-Drama in Form eines Horrorfilms erzählt. Widerholt werden tote Frauen abseits der Gemeinde gefunden. Die Jäger vermuten einen Puma als Täter, den es einfach zu erlegen gilt. Aber Emerson erlebt gleich bei ihrer Ankunft, dass ein Monster im Wald haust. Aus Ästen und Dreck scheint es zu bestehen und erhebt sich aus dem Unterholz, um selbst Jagd zu machen. Die Jäger sind deshalb auch außerstande, das Wesen zu fangen, weil es ganz in ihrem Geist handelt, wenn es Hatz auf Schwächere und Einsame macht.

Bei diesen allgegenwärtigen, starren und klaren Gegenüberstellungen hätte dem Film von Regisseurin Carly May Borgstrom wahrscheinlich ein expressiveres Aussehen gutgetan. Nicht nur die gezeigte Natur ist luftig, auch die Erzählung und die Inszenierung tendieren zum Mäandern und Stromern. Das Horrorelement funktioniert so jedenfalls nicht. Das Monster bleibt Randfigur, das den Wald als Ort der ungestörten Selbstsuche nur hier und da heimsucht. Und die Männer und Jäger bilden eher die unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Grenzen, die die Mädchen einschließen. Von ihnen geht fast durchgehend nur die Drohung von körperlicher oder sozialer Gewalt aus. Über Mobbing hinausgehende Gewalt bleibt die Ausnahme.

Vielleicht eine Liebesgeschichte, vielleicht auch nicht

Der Horror dient so einzig als Spiegel der abenteuerlichen Selbstfindungsversuche der Mädchen, die sozial isoliert und ohne positive Vorbilder sinnbildlich durch eine erschreckende Dunkelheit tappen. Sie suchen den Wald und das Atavistische, weil die vorherrschenden Strukturen nur ins Fleisch schneiden. Umgeben von religiösem Eifer sowie vereinzelt auftretendem Quasi-Inzest und Alkoholismus wenden sie sich der Natur und den tierischen Lauten zu und bilden bald einen Fight Club, der dem von Bottoms (2023) nicht unähnlich ist – wobei die hier gezeichnete Welt sogar noch gröber und holzschnittartiger bleibt.

Aber während der Genrefilm zu nichts führt und blutleere Behauptung bleibt, ist Spirit in the Blood doch ein sehr schöner Abhängfilm. Ein paar Freunde ziehen durch Wald und Wiesen, probieren sich aus und machen seltsame Sachen. Sie gewinnen ihrer sie kasteienden Umgebung eine schöne Zeit ab, während sie mit wachsendem Selbstvertrauen durch Irrungen und Wirrungen stolpern. Und sind damit nicht allein. Auch der Film tendiert dazu, das Naheliegende zu umschiffen oder aufzuschieben. Vielleicht sehen wir eine Liebesgeschichte, vielleicht aber eben auch nicht. In seinen besten Momenten bleibt er unklar, geht es ihm nicht um Bestehendes und dessen Abwehr, sondern um das Finden von etwas Eigenen. Selbst in der schmucken Optik eines gängigen Indiefilms lässt sich das Krude und Eigenartige nicht ganz bändigen.

Den Film kann man bei den meisten Streaming-Plattformen (Sky, Amazon, AppleTV, YouTube) leihen oder kaufen. 

Neue Kritiken

Trailer zu „Spirit in the Blood“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.