Sorry to Bother You – Kritik
Erst mit seiner weißen Stimme erlebt ein schwarzer Callcenter-Mitarbeiter den Karrieredurchbruch. Boots Rileys Debütfilm Sorry to Bother You ist so explosiv und fiebrig wie ein langer MTV-Spot.

In Spike Lees neuem Film BlacKkKlansman ermöglicht die perfekte Imitation einer „weißen Stimme“ einem schwarzen Polizisten die Infiltration des Ku-Klux-Klans. Sorry to Bother You, das Regiedebüt von Conscious-Rapper Boots Riley (ein Teil des Duos The Coup), nimmt diese Idee gleichermaßen als Ausgangssituation. War die verbale Mimikry in Lees Film noch Ermächtigung im Kampf gegen den Rassismus, bedeutet sie für Cassius Green (Lakeith Stanfield) allerdings Selbstverleugnung und Anpassung. Eine Anpassung, die ihm eine steile Karriere vom unterbezahlten Callcenter-Mitarbeiter hinein in die Entourage von Steve Lift (Armie Hammer), dem CEO eines Ausbeuterbetriebs und reichsten Mann Amerikas ermöglicht – während seine ehemaligen Freunde und Arbeitskollegen einen Generalstreik ausfechten. In der englischen Originalfassung leiht Comedian David Cross (Arrested Development) auf herrlich exaltiert-biedere Weise Cassius seine weiße Stimme, deren mitklingende Sorgenfreiheit für schwindelerregende Verkaufszahlen sorgt.
Gesellschaftskritischer Rundumschlag

Nach BlacKkKlansman und Get Out reiht sich Sorry to Bother You, der in einer Art Parallel-Gegenwart der USA spielt, in eine Riege von Filmen ein, die sich dem Schwarzsein in den USA über groteske und fantastische Ansätze annähern. Rassismus ist in Rileys Film jedoch nur ein Thema unter vielen. Riley holt zum gesellschaftskritischen Rundumschlag aus und vermengt die Race-Frage mit alten Gewissenskonflikten und neuen Schamlosigkeiten des modernen Kapitalismus, macht die Niederungen der Unterhaltungsindustrie sowie die schrille Eigendynamik des Internets und seiner Memes gleichermaßen zu Angriffspunkten seiner Satire.

In der ersten Hälfte nimmt sich die Story noch Zeit, Cassius und einige Nebenfiguren zu etablieren und eine klassischen Erzählmustern folgende Parabel in Aussicht zu stellen. Dann jedoch wird das Tempo aufgedreht und die Ereignisse überschlagen sich, während eingeführte Handlungsansätze nicht wirklich weitergeführt und stattdessen unvorhersehbare Haken in abstruse Szenarien um massentaugliche Cola-Dosen-Verletzungen und Körpertransformationen geschlagen werden. Insgesamt fühlt sich der Film so explosiv und fiebrig an wie ein langer MTV-Spot. Das ist einerseits mitreißend und amüsant, kann andererseits aber auch enervierend und etwas unstet wirken.
Plastizität vor Subtilität

Das lückenlose Nachvollziehen der Handlung ist Riley dabei kein großes Anliegen. Schon früh ist erkennbar, dass der Regisseur und Drehbuchautor sichtlich mehr Spaß hat an einer poppig-bunt überbordenden Form, an wenig subtilen und umso plastischeren Bildgestaltungen und Szenarien, als an einer differenzierten dramaturgischen Auserzählung. Bereits der Name des korrumpierbaren Protagonisten (sprich „Cash is green“) verleiht der ungehemmten Freude am Plakativen Ausdruck. Auch visuell frönt Riley in spielerischer Manier einer stets direkten Umsetzung. Wenn Cassius etwa seine „cold calls“ startet, also Leuten ungebetenen telefonischen „Besuch abstattet“, wird diese Form des Zu-nahe-Tretens nicht nur im Splitscreen inszeniert, sondern Cassius mit seinem Schreibtisch gleich direkt in die Wohnzimmer der anvisierten Kunden verpflanzt. Und die beliebteste, im Laufe des Geschehens immer aufgegriffene Fernsehsendung im Amerika von Sorry to Bother You nennt sich „I Got The Shit Kicked Out of Me“ und zeigt Showteilnehmer, die exakt so etwas in verschiedenen Varianten freiwillig über sich ergehen lassen.
Ein Film von Michel Dongry

Hier und dort platzierte kleine Bastelkonstrukte, sich transformierende Räume, die nur allzu deutlich mit der jeweiligen Lebenssituation des Protagonisten korrespondieren, musikvideoartig künstliche Dekors, analoge, vor der Kamera inszenierte Spezialeffekte oder die impulsive Freundin der Hauptfigur, deren Haarfarbe sich mehrmals ändert: All das erscheint wie ein Mash-Up des Werks von Michel Gondry, jenem Großmeister des Videoclips der 1990er Jahre, der seit den Beginn der 2000er Jahre auch Langfilme realisiert und vielleicht eine der deutlichsten visuellen Handschriften des Gegenwartskinos besitzt. Die Naivität und Unbeholfenheit, mit der Stanfield seine Figur zum Ausdruck bringt, hat viel mit Mos Defs Performance in Abgedreht (Be Kind Rewind, 2008) gemein, und auch Vergiss mein nicht! (Eternal Sunshine of the Spotless Mind, 2004) und Schaum der Tage (L'écume des jours, 2013) standen für Sorry to Bother You Pate. An Letzteren erinnert vor allem die den Ton verdüsternde und chaotisch ausartende Sprunghaftigkeit der Handlung. Dass sich Riley dieser Filme nicht nur aus reiner Zitierlust bedient, sondern Sorry to Bother You auch ausdrücklich als Huldigung an Gondry verstanden wissen will, wird spätestens deutlich, als sich für einen Stop-Motion-Film-im-Film ein gewisser Michel Dongry verantwortlich zeichnet.

Mit der für Gondry typischen Ästhetik übernimmt Sorry to Bother You allerdings auch den fahrigen Manierismus, der die Filme des Franzosen mitunter nicht immer ganz einfach macht. Die zunehmende Sprunghaftigkeit der Handlung ist der Wahrnehmung des Films als einem runden Ganzen nicht unbedingt zuträglich. Und doch macht die bissige Satire schon jetzt gespannt darauf, wie sich die Filmsprache eines der interessantesten Regie-Entdeckungen dieses Kinojahres weiter emanzipiert.
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